Kreuzhof
Barbing: Die Hüterin des Grals

Von hier aus zogen einst die Ritter ins Morgenland. Ilse Kammerbauer schrieb die Geschichte einer unbekannten Kapelle auf.

14.08.2018 | Stand 16.09.2023, 6:08 Uhr
Michael Jaumann

18 Meter lang, aber sogar 16 Meter hoch ist der Kirchenbau am Kreuzhof. 1972 wurde er von Barbing nach Regensburg eingemeindet. Foto: Jaumann

Am Rande der Großstadt wirkt die Kreuzhofkapelle mit ihren unverputzten Bruchsteinmauern zwischen Betonschachteln und stählernen Tanks wie aus der Zeit gefallen. Von der Donau aus ist sie hinter mächtigen Kastanien, Linden und Ahornbäumen versteckt. Von der Stadtseite aus ziehen Verkehrsadern, Möbelmärkte, Lagerhäuser und das Klärwerk alle Aufmerksamkeit auf sich. So ist die aus dem 12. Jahrhundert stammende Kirche St. Ägidius wie der Heilige Gral – gleichermaßen sichtbar und unsichtbar zugleich.

Und wenn man so will, ist die 85-jährige Dr. Ilse Kammerbauer die Hüterin dieses Grals. Die Geisteswissenschaftlerin kümmert sich um das Gotteshaus. Sie bewahrt den großen Schlüssel zum Portal auf, sie hat die bisher einzige Kunstausstellung dort betreut, sie hat den Kirchenführer geschrieben und auf eigene Kosten drucken lassen und sie sperrt mehrmals im Jahr die Kreuzhofkapelle zur Besichtigung auf. Den staunenden Zuhörern bringt sie Geschichte und Geschichten rund um den Bau nahe, der Kreuzhofkapelle heißt, obwohl er mit seiner Höhe von 16 Metern ein stattliches Kirchenmaß erreicht.

Die Nonnen gaben den Namen

Zu erzählen gibt es aus der mehr als 800-jährigen Geschichte mehr als genug. Sicher ist, dass Kaiser Friedrich Barbarossa die Kreuzhofkapelle sehen konnte, als er 1189 von hier mit seinem Kreuzfahrerheer ins Heilige Land aufgebrochen ist. Vielleicht ist die Kirche sogar 1156 erbaut worden, als Barbarossa seinen Hoftag auf den Feldern Barbings hielt und die Ostmark vom Herzogtum Bayern abgetrennt worden ist – die Geburtsstunde Österreichs.

Die Gegend um den Kreuzhof war immer besiedelt. Eine römische villa rustica stand hier und ein Bajuwarendorf. Später ließen sich die Ritter nieder und Ende des 13. Jahrhunderts gehörte das Land bei Oberbarbing den Dominikanerinnen vom Heiligen Kreuz, auf die der Name der Kirche zurückgeht.

Dass die Kirche nicht irgendwann mal in einen Haufen Schutt verwandelt wurde, grenzt an ein Wunder. Bis zur Säkularisation 1803 gehörte sie dem Nonnenkonvent und kirchenrechtlich zur Pfarrei Barbing. Vom Fürstbischof Carl von Dalberg über den Staat bis hin zu diversen Privatleuten wechselten die Besitzer dann in schneller Schlagzahl. Das Gotteshaus wurde nie profaniert, geriet aber in Vergessenheit. Es war nur mehr Abstellraum und Getreidespeicher. 1866 kaufte das Fürstenhaus Thurn und Taxis Gut und Kirche und wollte die Kapelle eigentlich abreißen. Ein pflichtbewusster fürstlicher Beamter wandte sich deswegen an den Barbinger Pfarrer, der mit Hilfe der Diözese den Abbruch verhinderte.

Im Februar 1945 trafen Fliegerbomben den Gutshof und legten ihn in Schutt und Asche. Die Kirche überdauerte mit zerstörtem Dach und kaputten Fenstern. Plünderer gaben dem Bau den Rest. Nach dem Krieg musste das Fürstenhaus, wie andere Großgrundbesitzer auch, Land zur Besiedlung an Vertriebene abgeben. Georg Rauchenberger, ab 1950 ehrenamtlicher Bezirksheimatpfleger, hatte damals nicht nur Burg Wolfsegg gekauft, um sie vor dem Verfall zu bewahren. Er warf auch auf die Kreuzhofkapelle ein Auge. Damit er das Grundstück mit der Kirche kaufen konnte, musste er sogar einen Nachweis als „Nebenerwerbslandwirt“ beibringen. 1950 durfte der damals 55-Jährige das Anwesen, das er schon vier Jahre gemietet hatte, kaufen.

Das Hafenbecken verlegt

Über 20 Jahre lang bewahrte Rauchenberger als Maurer, Glaser, Zimmerer und Dachdecker das Bauwerk vor dem Verfall. Um 1960 erreichte der Heimatpfleger, dass beim Bau des Osthafens das Hafenbecken weiter westlich angelegt wurde. Zusammen mit seiner Frau liegt Rauchenberger unter dem Fußboden der Hallenkirche begraben. Heute gehört die Kirche dem Bistum und das Gelände davor der Stadt Regensburg. Kirchenrechtlich ist immer noch die Pfarrei Barbing zuständig.

Als sie vor rund 20 Jahren in Pension ging, war ihre erste Aufgabe, eine Geschichte der Pfarrei Barbing zu schreiben, erzählt Ilse Kammerbauer, die in Regensburg in Geschichte und Politik promovierte. Bei den Recherchen für das 1999 erschienene Buch entdeckte sie den Kreuzhof. Bei Recherchen für weitere Publikationen stieß sie immer wieder auf die Kreuzhofkapelle und fing Feuer für das traditionsreiche Bauwerk.

Ein 360-Grad-Foto vom Inneren der Kreuzhofkapelle sehen Sie hier. Klicken Sie einfach in das Bild und nutzen Sie dann ihre Maus (oder ihren Finger, wenn Sie ein mobiles Endgerät nutzen), um sich im Bild zu bewegen:

Seit 2006 hält sie mehrmals im Jahr Führungen und irgendwann wurde sie gefragt, ob sie ihr Wissen nicht schriftlich niederlegen wolle. Weil ihr der Druck zu lange dauerte, finanzierte ihn die Pensionistin selbst. Erhältlich ist die Broschüre beim Morsbach-Verlag oder bei ihr selbst, wenn sie die Kirche zu Führungen öffnet. An Mariä Himmelfahrt wird es wieder soweit sein. Von 14 bis 16.30 Uhr kann man die in schlichtem Weiß gehaltene Kirche besuchen, auf die Empore klettern, einen Blick ins Obergeschoß werfen und den vielen Geschichten lauschen, die Ilse Kammerbauer kennt.