Initiative
Brautkleider für tote Babys

Martina Pangerl und ihr Mann aus Alteglofsheim nähen und häkeln für Frühchen und verstorbene Babys. Der Grund: ihre Tochter.

24.04.2018 | Stand 16.09.2023, 6:06 Uhr

Wenn Martina Pangerl für Sternenkinder und Frühchen näht, sitzt die kleine Sophie gern daneben. Sie hat inzwischen selbst eine kleine Spielzeug-Nähmaschine. Damit nähe auch sie „für die Babys“, sagt die Zweieinhalbjährige. Dass Sternenkinder schon tot sind, hat ihr Mama Martina noch nicht erklärt. Foto: Mehltretter

Manche Babys überleben nur wenige Minuten. Andere sterben noch im Bauch ihrer Mutter, bevor sie auf die Welt kommen. Sie nennt man Sternenkinder – oder Sternchen. Paare, die zu Sternchen-Eltern werden, machen oft die schlimmste Zeit ihres Lebens durch. Oft klingelt in Tagen wie diesen auch bei der Familie Pangerl in Alteglofsheim das Telefon. Vater Jürgen nennt das „Sternchen-Notruf“. Erst kürzlich war das wieder der Fall: Irgendwo in Deutschland hatte ein Paar in der 20. Schwangerschaftswoche die Diagnose erhalten, dass die Drillinge im Bauch der Mutter gestorben waren. Die Pangerls, Mitglieder des Vereins „Handgemachtes für Sternenkinder und Frühchen“, haben versucht, ihnen zumindest etwas zu helfen. Ihr Ziel: Eltern einen würdevollen Abschied zu ermöglichen.

Eine Frühgeburt, ein Frühchen

Wenn Martina Pangerl wieder einmal an ihrer Nähmaschine sitzt und ihr Mann Jürgen ein Sternenkinder-Bett häkelt, spielt ihre Tochter, die zweieinhalbjährige Sophie, oft gleich daneben. Sophie ist eigentlich das zweite Kind der beiden Finanzbeamten. Doch ihr kleines Geschwisterchen starb nach nur acht Wochen im Bauch der Mutter. Trotzdem denkt Pangerl vor allem an Sophie, wenn sie zum Beispiel den Stoff für ein Tuch zuschneidet, in das einmal ein totgeborenes Baby gehüllt werden soll. Denn die Tage rund um Sophies Geburt waren dramatisch.

Acht Wochen vor dem errechneten Termin kam die Hochschwangere mit extrem hohem Blutdruck und Kopfschmerzen in die Hedwigsklinik – Verdacht auf Schwangerschaftsvergiftung. Nach zwei Wochen im Krankenhaus entschieden sich die Pangerls, Sophie als Frühchen auf die Welt zu holen. Zu groß war die Angst, dass ihr Kind wegen der starken Medikamente, die die werdende Mutter schlucken musste, Schaden nehmen könnte.

„Da war nichts Buntes, nur diese ausgewaschene, weiß-graue Klinikkleidung.“Martina Pangerl

Sophie kam gesund zur Welt, war aber nur 1800 Gramm schwer und 43 Zentimeter groß. Die Klinikmitarbeiter steckten sie in eine übergroße Babyhose. Auch der Pullover war so groß, dass die Ärmel mehrfach umgekrempelt werden mussten. Ein trauriger Anblick. „Da war nichts Buntes, nur diese ausgewaschene, weiß-graue Klinikkleidung“, sagt Mama Martina. Die Pangerls wären auch in Baby-Modegeschäften nicht fündig geworden. Oft bieten die erst Kleidung ab Größe 42 an, die Babys ab der 32. Schwangerschaftswoche passen. Einige Monate nach Sophies Geburt begann ihre Mutter deshalb zu recherchieren: Gibt es tatsächlich nirgends hübsche, passende Frühchenklamotten? Bald darauf nähte sie sie selbst – für Frühchen, denen Klinik-Klamotten viel zu groß sind, aber auch für Sternenkinder.

Hedwigsklinik: 350 Kinder kamen zu früh zur Welt

Neben den Pangerls hat die Initiative „Handgemachtes für Sternenkinder und Frühchen“ inzwischen rund 170 weitere Mitglieder. Auch Mütter aus Geisling und Pfatter sind darunter. Sie nähen gratis für Geburtskliniken in ganz Deutschland – etwa Kleidungssets ab Größe 32, Kuscheldecken oder Tücher, die empfindliche Frühchen-Augen vor grellem Licht schützen sollen. An der Hedwigsklinik, wo 2017 350 Kinder zu früh geboren worden sind, darunter rund 90 mit weniger als 1500 Gramm, versorgen sie momentan aber nur Sternenkinder. Wie viele dieser Sternchen dort 2017 auf die Welt gekommen sind, verrät die Klinik aber nicht. „Aus Pietätsgründen“, heißt es.

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Manche spenden Brautkleider

Die Pangerls nähen viel für Totgeburten. „Aber wenn ich oft darüber nachdenke, wie das mit Sophie hätte ausgehen können, brauch’ ich aber auch einmal etwas Lebensbejahendes“, sagt Martina. Dann arbeitet sie wieder an bunten Mützchen, Hosen und Pullis. Die Pangerls investieren viel für fremde Eltern. Ungefähr 15 Stunden sitzt allein Martina jede Woche an ihrem Nähtisch. Auch ihr Ehemann Jürgen häkelt abends oft. Zu den Einsatzstunden kommen monatlich zwischen 50 und 100 Euro für das Porto zum Versand der Teile oder für das Material, das nicht gespendet wird. Erst kürzlich aber hat wieder eine Frau ein blaues Abendkleid bei den Pangerls abgegeben. Beliebte Spenden sind auch Brautkleider. Der Stoff eignet sich gut, zum Beispiel für Taufkleider.

Wenn Mama Martina näht, setzt sich die kleine Sophie gerne daneben. Inzwischen hat sie ihre eigene Spielzeug-Nähmaschine. Sie sagt dann, sie würde „für die Babys“ nähen. Dass viele schon tot sind, weiß sie noch nicht.

Wer den Verein mithilfe von Materialspenden unterstützen möchte, kann sich telefonisch unter der Tel. Nr. (0 99 61) 7 01 48 24 melden oder per E-Mail anfuersternenkinderundfruehchen@gmx.deanfragen. Wer Geld spenden möchten, kann es auf das Konto von „Handgemachtes – Für Sternenkinder und Frühchen e. V.“ überweisen (IBAN: DE 87 7429 0000 0001 0307 60, BIC: GEN0DEF1SR1).

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