Porträt
Die Frau mit dem kaiserlichen Ziel

Tierärztin Annette Wyrwoll war Vielseitigkeitsreiterin und ritt bei Olympia in Sydney. Nun will sie ein Olympiapferd züchten.

30.08.2018 | Stand 16.09.2023, 6:03 Uhr

Seit 1989 leitet Dr. Annette Wyrwoll eine Tierarztpraxis, außerdem züchtet sie Trakehner. Foto: Wyrwoll privat

Als Mitglied im Bundeskader der Deutschen Vielseitigkeitsreiter ritt Dr. Annette Wyrwoll bei den Olympischen Spielen in Sydney unter die 20 Besten, seit 1989 leitet sie eine florierende Tierarztpraxis mit Pferdeklinik (erst in Münchsried, dann in Neuhof bei Duggendorf) und als Referentin hält sie Vorträge zu Fragen der Tiermedizin oder Reitlehre. Ganz nebenbei züchtet sie auch noch erfolgreich Sportpferde der Rasse Trakehner und bekleidet etliche Ehrenämter rund um Zucht und Pferdesport. Kurz: Dr. Annette Wyrwoll ist einer der bekanntesten Veterinärmedizinerinnen der Oberpfalz. Die Frau, die so viel erreicht hat, träumt noch von einem großen Ziel: Sie möchte ein Olympiapferd züchten. „Dann wäre ich ein bisschen wie ,Kaiser’ Franz Beckenbauer, der war auch als Spieler und Trainer Weltmeister“, sagt sie.

Annette Wyrwoll wurde 1955 als Annette Bartholmes in Neuwied am Rhein geboren und war schon als kleines Mädchen begeistert von Pferden. Auf einem Bauernhof in der Nähe ihres Elternhauses begann sie, auf Ponys zu reiten. Und als beim Neuwieder Reitverein das Landesleistungszentrum Rheinland-Pfalz praktisch direkt vor ihrer Nase gebaut wurde, war für das talentierte Mädchen der Weg in den Spitzensport fast schon vorprogrammiert. „Ich bekam damals alles unter den Sattel, was bei anderen Reitern Zicken machte“, erinnert sich die 62-Jährige. „Auch mein erstes eigenes Pferd war so ein Kandidat. Diesen Wallach mit dreiviertel Trakehnerblut konnte ich mir drei Jahre nach dem Abitur nur leisten, weil er für ein Sportpferd ziemlich klein und unter dem Reiter recht schwierig war.“ Die Studentin kaufte das Pferd 1977 von ihrem Ersparten, bildete es aus und ritt mit ihm bis zur schweren Klasse S. „Mein damaliger Reitlehrer Adi Jachmich, der mich sehr gefördert hat, empfahl mir von Beginn an die Vielseitigkeit.“ (Anm. d. Red.: Kombination aus Dressur, Geländeritt mit Hindernissen und Springprüfung).

Die Vielseitigkeit stellt im Gesamtpaket die wohl höchsten Ansprüche an Pferd und Reiter und filtert so das kompletteste Team heraus. Diese Versiertheit versucht Dr. Annette Wyrwoll auch auf ihre Berufung, die Tiermedizin, zu übertragen. „Ich möchte kein Fachidiot sein und halte die zunehmende Spezialisierung in der Human- und Tiermedizin, ja im ganzen Leben, für äußerst fragwürdig. Dass ein exzellenter Neurochirurg keine Bindegewebsentzündung am Bein erkennt, habe ich selbst schon erlebt. Dabei hat doch auch dieser Spezialist mal ein Grundstudium der Medizin absolviert“, sagt sie leidenschaftlich.

Vielseitig interessiert war Annette Bartholmes schon als Schülerin. Weil sie aber, laut eigenem Bekunden, zu viel Zeit im Reitstall verbrachte und zu wenig lernte, schloss sie ihr Abitur ‚nur’ mit einem Notenschnitt von 1,8 ab. „In dieser Zeit wurde in Deutschland gerade der Numerus clausus eingeführt, und der lag für Tiermedizin bei 1,7. Ich wurde nicht zugelassen. Also begann ich, Sport und Mathematik an der Uni Bonn zu studieren.“

Das Tiermedizin-Studium sollte kein unerfüllter Traum bleiben

Parallel zum Studium machte die junge Frau ihre Bereiterprüfung. 1977, mit nur 22 Jahren, ritt sie bereits auf internationaler Ebene. Trotzdem war sie unglücklich mit der Vorstellung, den Rest ihres beruflichen Lebens als Lehrerin zu verbringen. Im Winter 1978, nach neun Semestern Wartezeit, begann sie daher, doch noch Veterinärmedizin zu studieren – an der renommierten Tierärztlichen Hochschule Hannover. 1983 folgten das Staatsexamen und die Approbation, dann eine mehrmonatige Weiterbildung in verschiedenen Pferdekliniken/-praxen in den USA. Anschließend verschlug es Annette Wyrwoll, wie sie nach ihrer Heirat hieß, nach Bayern. Von 1985 bis 1988 arbeitete sie als Assistentin an der Pferdeklinik München-Riem, 1989 gründete sie mit ihrem Mann eine eigene Pferdeklinik. Das private Glück vervollkommnete sich mit der Geburt von Tochter Stephanie, die heute ebenfalls Tiermedizin studiert.

Auch in sportlicher Hinsicht ging es für Dr. Annette Wyrwoll immer weiter bergauf: Sie wurde nicht nur mehrfach Landesmeisterin in der Vielseitigkeit in Rheinland-Pfalz und Bayern, sondern war von 1980 bis 1985 und später noch einmal von 1995 bis 2000 auch Mitglied im Bundeskader der Deutschen Vielseitigkeitsreiter. Mit ihren besten Pferden holte sie vorderste Plätze bei Deutschen Meisterschaften, sie wurde 18. bei der EM 1995 in Pratoni und landete bei der EM 1999 in Luhmühlen auf dem 24. Platz. Die Krönung ihrer sportlichen Karriere war natürlich die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2000 in Sydney.

Und wie war es, als die Wahl des Deutschen Olympischen Komitees der Reiterei (DOKR) auf Annette Wyrwoll fiel? „Spannend! Denn man kommt zunächst auf die sogenannte Longlist möglicher Kandidaten, später auf die Shortlist, also in die engere Auswahl, und als Reiter bist du ja bis zum Schluss immer am Zittern, ob’s klappt oder nicht. Denn nicht nur du selbst musst gesund und fit bleiben, sondern auch dein Pferd. Sonst stehen schon die Reservisten parat, um deinen Platz einzunehmen. Richtig gefreut hab ich mich erst im Flieger nach Australien.“

Als Amateur-Reiterin Herausragendes geleistet

Und bis dahin war es ein langer Weg, denn die Quarantäne-Bestimmungen in Down Under sind rigoros. Normalerweise stehen Pferde dort ein halbes Jahr in Quarantäne, für Olympiateilnehmer wurde die Zeit auf sechs Wochen verkürzt, davon durften die ersten 14 Tage in Deutschland absolviert werden, danach vier Wochen in Australien. Und das alles für 14 Tage Olympia. „Es war schon eine ganz spezielle Atmosphäre. Wir waren zwei Monate lang quasi mit den Pferden kaserniert und hockten auf recht engem Raum zusammen, denn das Training musste ja weitergehen. Wir Reiter mussten uns in einer Schleuse umziehen, um von unseren Heimatställen keine Erreger zu den Quarantäne-Pferden mitzubringen.“

Die Spiele endeten für Annette Wyrwoll mit dem 19. Platz. „Damit war ich sehr zufrieden, denn 2000 gab es nur noch wenige Amateurreiter wie mich. Heutzutage findet man fast ausschließlich Profis.“ Zeit für Ausflüge rund um Sydney blieb außerdem und die Reiter kamen mit anderen Sportlern in Kontakt. „Es war ein wunderbares Erlebnis und ein Traum, den ich mir mit 45 Jahren erfüllt habe. Deswegen war es für mich dann Zeit, zu gehen. Ich nahm Abschied vom Turniersport und verabschiedete auch mein Olympiapferd Bantry Bay, genannt Benni, aus dem Sport. Er war damals 15 und lebte noch weitere zwölf Jahre bei uns am Hof. Auch mein Ersatzpferd Dingle Dancer blieb bis zu seinem Tod bei uns.“

Mitte der 90er Jahre stiegen die Wyrwolls in die Zucht edler, hochblütiger Trakehner ein. Beide Olympiapferde von Annette stammten von irischen Züchtern und waren angekauft. Ihr erklärtes Ziel ist es nun, selbst einmal einen vierbeinigen Spitzensportler von olympischem Format zu züchten. Der richtige Weg sei schon eingeschlagen, berichtet die erfahrende Reiterin: „Championatsreiter Kai Steffen Meier und der Franzose Astier Nicolas haben Nachwuchspferde von mir gekauft.“ Und Ingrid Klimkes mittlerweile verstorbenes Olympia- und Weltmeisterschaftspferd „Sleep Late“ hatte seine Grundausbildung unter Annette Wyrwoll absolviert. Als Reiterin und Ausbilderin hat die Tierärztin die Olympiateilnahme also schon geschafft, bleibt also „nur“ noch der Zuchterfolg.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.