Krieg
Todesmärsche: Verdrängt, nicht vergessen

Lappersdorfer Zeitzeugen schwiegen lange über die Todesmärsche. Das ändert sich langsam. Eine Zeitzeugin erzählt.

10.04.2018 | Stand 16.09.2023, 6:10 Uhr
bettina Mehltretter

Die SS-Trupps haben rund 600 KZ-Häftlinge über Schwaighausen und Unterkaulhausen Richtung Pielenhofen getrieben. Am Eingang des Schwaighauser Forsts nahe der Abzweigung der Straße Richtung Pielenhofen erinnert nun ein Mahnmal daran. Ein zweites steht direkt in Schwaighausen. Foto: Mehltretter

Mitte April 1945, es sind die letzten Tage des zweiten Weltkrieges: Maria Schönsteiner, Bauerstochter aus einem Einödhof in Unterkaulhausen, hört, dass ganz in der Nähe, in Schwaighausen, mitten im Dorf mehrere hundert ausgemergelte Männer lagern, scharf bewacht von der Waffen-SS. Wenig später muss sie mit ansehen, wie ein SS-Mann einen Häftling erschlägt. Und dann muss die damals 14-Jährige nur 20 Meter neben einem SS-Mann warten, der gerade mehrere Leichen im Wald verscharrt. „Es war sehr schlimm“, sagt Schönsteiner heute. „Ich weinte um die Toten.“

Die 87-Jährige hat viele Jahre nur wenig von dem erzählt, was sie im Krieg erlebt hat. Ihr Mann, Fliegerpilot in Stalingrad, war traumatisiert, die Kinder waren anfangs nicht an den Kriegsgeschichten der Mutter interessiert. Am nächsten Sonntag aber wird Schönsteiner am Auburger-Hof in Schwaighausen nun sogar vor Publikum sprechen (Beginn 16 Uhr). Anlass ist die Segnungzweier Mahnmale, die an die Todesmärsche erinnern sollen.

Zehn Tote im Raum Lappersdorf

Gemeinsam mit Erwin Hadwiger, einem pensionierten Deutsch- und Geschichtslehrer aus Oppersdorf, will die Rentnerin alles dafür tun, damit die jüngeren Generationen ein Bewusstsein für die Situation im Krieg und in der Zeit danach entwickeln. Hadwiger ist jünger als sie, 74, aber trotzdem Experte: Er hat den Verlauf der Todesmärsche auf dem Lappersdorfer Gebiet rekonstruiert.2015 hat er erstmals darüber referiert. „Es war ganz still im Prößl-Saal“, erzählt er. Kaum ein Zuhörer habe damals gewusst, dass Schwaighausen und Hainsacker auf den Routen der Märsche liegen.Ebenso wenig wussten sie, dass zwischen 15. und 18. April 1945 in Schwaighausen sieben der insgesamt 1200 KZ-Häftlinge ermordet wurden und in Hainsacker drei. Darunter war einer, der aus Hunger zum Eier-Dieb geworden war.

„Wir mussten die Toten in längere, viereckige Naturholzkisten legen. Die Toten waren aber schon Matsch. Es war grauenvoll.“Zeitzeugin Maria Schönsteiner

„Das ist alles vertuscht worden“, sagt Schönsteiner. „Jeder hat’s gewusst, aber keiner hat davon erzählt.“ Augenzeugen haben die Bilder teils lange verdrängt. Vergessen haben sie sie aber nicht.

Inzwischen hat Schönsteiner ihre Erinnerungen zu Papier gebracht. Sie erzählt auf fünf Din-A4-Seiten unter anderem vom Geruch der Leichen, der über den Hof ihrer Familie geweht ist, und davon, wie Schwaighausener die toten Körper in Särge legen mussten. Am Ende schreibt sie: „Meine Schrift ist zittrig, da es mein Herz berührt. Ich bin froh, das alles noch zu erzählen.“

Lesen Sie hier Ausschnitte aus den Aufzeichnungen von Maria Schönsteiner:

Das KZ vor der eigenen Haustür

Wenn Schönsteiner heute, 73 Jahre nach den Todesmärschen, Fotos aus dem syrischen Kriegsgebiet sieht, hat sie sofort wieder die Bilder aus ihrer eigenen Kindheit vor Augen. Für Heimatforscher Hadwiger ist das aber nicht vergleichbar: „In Aleppo darf man Kranken helfen – bei uns hier war das nicht erlaubt.“ Eine Schwaighausener Familie etwa hatte damals angeboten, einen Ochsen zu schlachten, um die Not der KZ-Häftlinge zu lindern. Doch die Wachmänner der Waffen-SS hatten abgelehnt bzw. ablehnen müssen. „Da haben bei uns die Regeln des KZs gegolten“, erklärt Hadwiger. Die Bewohner der Region hätten drei Tage lang den KZ-Alltag vor ihrer eigenen Haustür erlebt, aber nicht helfen dürfen.

Es gibt kein Bildmaterial von den Todesmärschen durch Hainsacker und Schwaighausen. Einen Eindruck, was die Bewohner der Region erlebt haben müssen, liefert aber folgendes Video der Baltimore Sun. Die Fotos und Videos darin stammenaus Neunburg vorm Wald (Lkr. Schwandorf), wo auf dem Todesmarsch etwa 160 KZ-Insassen des KZs Flossenbürg gestorben sind:

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