Grabungen in Regensburg
„Alles voller Friedhöfe“: Was schlummert unter der Bahnhofstraße?

21.06.2022 | Stand 12.10.2023, 10:25 Uhr
Juliana Ried
Jetzt wird gegraben: Am Dienstag arbeiteten bei den Untersuchungen in der Bahnhofstraße Grabungstechnikerin Meike Schmitt (in der Grube vorn), Kampfmittelräumer Felix Schoberth und Baggerfahrer Manuel Kuglmeier (von rechts) zusammen. −Foto: Fotos: Tino Lex

Im Areal der künftigen Tiefgaragen-Baustelle in Regensburg ist „alles voller Friedhöfe“, sagt der städtische Chef-Archäologe Lutz Dallmeier. Das kann Konsequenzen haben.



In der Bahnhofstraße klaffen die ersten Löcher. Seit Montag wird hier gebaggert. Zeigen soll sich unter anderem, ob jüdische Gräber im Boden sind – damit die Stadt weiß, wie groß die künftige Tiefgarage am Bahnhof werden darf. Ab 2024 sollen sie und der neue Zentrale Busbahnhof entstehen.

Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) erläuterte: „Damit wir die richtigen Baugrenzen bestimmen können, müssen wir bestimmte Sachen erst mal klären im Untergrund.“ Da gehe es um Leitungen, aber auch um Kampfmittel, weil der Bahnhof im Zweiten Weltkrieg stark bombardiert worden sei. Besondere Sorgfalt sei jedoch bei der Suche nach jüdischen Gräbern gefragt, erläuterte der städtische Chef-Archäologe Lutz Dallmeier.

Jüdische Gräber wären „ein K.O.-Kriterium“

Dallmeier erklärte: „Wir müssen ganz ganz sensibel sein und besonders aufpassen, dass wir ja nicht in den Friedhof reinkommen mit unserer Planung.“ Jüdische Gräber wären „ein K.O.-Kriterium für egal welche Baumaßnahme“. „Eine jüdische Bestattung hat das Recht auf ewigen Bestand“, so stehe es im Talmud. Dallmeier hat den Verdacht, dass der 2009 entdeckte jüdische Friedhof an der Maximilianstraße mit 4000 bis 4500 Gräbern sich bis zum Bahnhof erstrecken könnte.

Was Dallmeier weiß: 1210 kauften Juden ein Areal nördlich des Hauptbahnhofs. 2009 fanden Archäologen zwischen Maximilianstraße und dem 2020 abgerissenen Studentenwohnheim am Ernst-Reuter-Platz jüdische Gräber, als die Stadt prüfen ließ, ob hier ein Kultur- und Kongresszentrum entstehen könnte. 2014 wurden bei Kanalarbeiten beim „Schwammerl“ weitere entdeckt. Die Archäologen kennen also das nordöstliche sowie das westliche Ende des Friedhofs. Jetzt suchen sie das südliche. Denn 1278 wurde die Ruhestätte erweitert. „Wo, weiß man nicht.“ Grabsteine gibt es keine mehr.1519 wurden die Juden der Stadt verwiesen, der Friedhof verwüstet.

„Hier ist alles voller Friedhöfe“

So bleibt den Archäologen nur, in dem Lehmsand zwischen den vielen Leitungen „letzte Stücke von unberührtem Boden zu finden“ und diesen nach „dunklen Verfärbungen“ abzusuchen. Sind diese etwa zwei Meter lang und einen halben Meter breit, handelt es sich wohl um ein Grab. „Wenn hier eins drin wäre, würde man es sofort sehen“, sagte Chef-Archäologe Dallmeier am Dienstag vor den ersten zwei, zwischen 1,60 und 1,70 Meter tiefen Löchern, im Boden. Was sie angeht, könne er deshalb Entwarnung geben. „Die Gräber dürften nicht tiefer liegen als 1,80 bis zwei Meter.“

Drei Wochen lang sollen sich Baggerfahrer, Kampfmittelräumer und Grabungstechnikerin den Untergrund vornehmen – wenn die Beteiligten nichts finden. Finden sie etwas, würde die Stadt die jüdische Gemeinde informieren, auch übergeordnete religiöse Gremien. Sie könnten etwa die Erlaubnis erteilen, ein Grab zu öffnen, wenn sonst nicht feststellbar ist, ob es sich um ein jüdisches oder römisches handelt. „Hier ist alles voller Friedhöfe“, erklärte Dallmeier. Jüdische Gräber zeichnen sich etwa durch die „Beigabenlosigkeit“ aus.

Tiefgarage mit zwei Ebenen

Eigentlich soll die Tiefgarage etwa zehn Meter vor dem Bahnhofsgebäude beginnen und sich über die komplette Breite der Straße davor erstrecken.In ihr sollen die Autos, die jetzt am Bahnhof parken, verschwinden, wie Planungsreferentin Christine Schimpfermann erklärte: etwa die auf dem „Park and Ride“-Platz, aber auch die von Mitarbeitern der Bahn und der Bundespolizei. „Uns schweben 100 bis 120 Stellplätze vor“. Dazu kämen etwa 1000 Fahrradstellplätze. Sollten jüdische Gräber gefunden werden, müsse die Stadt die Pläne wohl abspecken, denn mehr als zwei Ebenen will sie nicht in die Tiefe gehen. Das würde erheblich teurer. Dass die Garage nur halb so groß wird, sei aber nicht zu befürchten, erklärte Schimpfermann.