Ermittlungen
Aufregung um die „Akte Isarstraße“

Die Schilderung der Vergewaltigung sorgt für den größten Kripo-Einsatz 2014 in Regensburg. Was geschah, sagt die Frau nicht.

27.12.2014 | Stand 16.09.2023, 7:08 Uhr
Was der 22-jährigen Auszubildenden in der Nacht zum 27. Juli wirklich passierte, ist unklar. −Foto: Wagner

Am 27. Juli rückte die Isarstraße in Reinhausen in den Fokus der Aufmerksamkeit: Eine damals 22-jährige Auszubildende meldete sich bei der Polizei und schilderte detailreich, dass sie von drei Männern verschleppt und vergewaltigt worden sei. Anschließend hätten die Männer sie beim „Alex-Center“ nackt aus dem Auto geworfen. Damit sorgte sie für den spektakulärsten Fall der Kriminalpolizei Regensburg im Jahr 2014, sagt Erster Kriminalhauptkommissar Stefan Halder im MZ-Gespräch. Er ist der Leiter des Kommissariats 1 bei der Kripo Regensburg, das auch mit den Ermittlungen zu Sexualdelikten betraut ist.

„Wenn eine Frau zur Polizei kommt und von einer Vergewaltigung spricht, läuft eine riesige Maschinerie an“, sagt er. Im Fall „Isarstraße“ waren das die Beamten im Dauerdienst der Kriminalpolizei sowie alle Kollegen, die mit Fahrzeugen der Polizei im Stadtgebiet unterwegs waren. Ebenso richtete die Kripo eine sechsköpfige Arbeitsgruppe ein, deren Mitglieder mehrere Wochen ausschließlich mit den Ermittlungen zu dem Fall in der Isarstraße befasst waren. Die Frau lag indessen einige Tage mit Verletzungen im Krankenhaus.

Viel Arbeit umsonst

Bevor sie im September zugab, dass die überfallartige Vergewaltigung in dieser Form nicht stattgefunden hatte, nahm die Kripo laut Halder drei Verdächtige fest, die eine Nacht lang in Polizeigewahrsam waren. Zudem ließen die Ermittler Phantombilder erstellen, sie überlegten, die Fahndungshilfe der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ in Anspruch zu nehmen, ließen die Gegend von einem Hubschrauber absuchen, dessen Einsatz pro Stunde 5000 Euro kostet, oder überlegten, ob sie eine Belohnung für hilfreiche Hinweise ausloben sollten.

Über das, was in der Nacht wirklich geschah, schweigt die Frau bis heute. „Wir gehen davon aus, dass sie nicht vergewaltigt worden ist“, sagt Halder. Mitte November hat die Staatsanwaltschaft die „Akte Isarstraße“ geschlossen. Jetzt wird allerdings gegen die Frau ermittelt: wegen Vortäuschung einer Straftat. Die Prognose, die Halder wagt, verspricht Nichts Gutes für die Frau: „Wer so etwas bewusst macht, den kann die volle Härte des Gesetzes treffen“, sagt er. Das Strafgesetzbuch sieht für das Vortäuschen einer Straftat eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor. Denkt er an die Ermittlungen in diesem Fall zurück, ärgert er sich auch darüber, dass er und seine Kollegen so an der Nase herumgeführt worden sind.

Ausrede für einen Seitensprung

Fälle, in denen Frauen eine Vergewaltigung oder eine sexuelle Nötigung vortäuschen, kämen im Polizeialltag aber leider immer wieder vor. Er kann sich an Fälle erinnern, in denen eine Frau eine Erklärung für einen Seitensprung gebraucht hat. Auch erstatteten schon vermeintliche Opfer eine solche Anzeige, weil sie es im TV so gesehen hatten. Dafür kann Halder kein Verständnis aufbringen: „Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle wirklichen Opfer“, sagt er. Das vermeintliche Opfer mache sich damit auch selbst strafbar und könne zudem auf diese Weise das Leben eines zu unrecht Verdächtigten ruinieren.

Halder betont im MZ-Gespräch aber genauso: „Die Polizei ist für alle Opfer da.“ Wenn eine Frau zur Polizei kommt, weil sie vergewaltigt worden ist, setzen die Beamten dort erst einmal umfangreiche Mechanismen in Bewegung, sagt er: Spurensicherung, Vernehmung, eine eventuelle Fahndung. Für den Umgang mit Opfern werden die Beamten – sie sind oftmals weiblich – extra geschult: Die Vernehmung der Opfer, neue Untersuchungsmethoden oder rechtliche Feinheiten bekommen sie so vermittelt.

„Was nach einer Stunde nicht erhoben ist, ist schwer wieder gutzumachen“, sagt Halder über die Spurensicherung. Die Beamten suchen dabei nicht nur die Spuren am Tatort, sondern auch am Opfer selbst. Konkret geht es – soweit es weiblichen Geschlechts ist – um eine gynäkologische Untersuchung mit Abstrichen, Anamnese und einem Fragebogen. Die Analyse der DNA-Spuren kann 10 000 Euro kosten und dauert mehrere Wochen, wenn es schnell gehen muss, einige Tage.

Vernehmung strapaziös und nötig

Nach der Untersuchung wird das Opfer zum ersten Mal ausführlich vernommen. Halder sagt, dass die gesamte Prozedur für das Opfer nach der Anzeige mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann. Halder verteidigt das Vorgehen der Polizei in diesen Fällen, obwohl er einräumt, dass es für das Opfer strapaziös sein kann. „Es geht aber darum, dass ein Täter gefasst wird, der möglicherweise eine Gefahr für andere Frauen darstellt“, sagt er. Er muss möglichst schnell festgenommen und ebenfalls vernommen werden, falls notwendig, werden auch an ihm Spuren gesichert.

Halder sagt, dass sich das Opfer den Nachfragen der Beamten stellen muss. Hier bekommen die tatsächlichen Opfer die Auswirkungen von vorgetäuschten Vergewaltigungen unmittelbar zu spüren. Denn die Beamten stellen genau die Nachfragen, die ein mögliches Lügengebäude ins Wanken und zum Einsturz bringen können.

Deswegen müssen diese Fragen gestellt werden, auch wenn das laut Halder nicht immer einfach für ein echtes Opfer ist. „Das Vortäuschen einer Vergewaltigung geht auf diese Weise immer zu Lasten der wirklichen Opfer“, sagt er.