Architektur
Das hebt: Baukunst in der Oberpfalz

Ein schimmernder Turm, ein XXL-Holzhaus im Wald, ein schwellender Riese: So gut wird in der Region Regensburg gebaut.

25.01.2021 | Stand 16.09.2023, 4:33 Uhr
Ein Holzhaus von majestätischen Ausmaßen: 100 Menschen arbeiten in der neuen Zentrale von Brückner und Brückner für den global operierenden Holzverarbeiter Ziegler. −Foto: mju.-Fotografie

Man traut seinen Augen kaum: Auf einer Lichtung im Wald erhebt sich ein Holzhaus von majestätischen Ausmaßen. 280 Baumstämme ragen 20 Meter in den Himmel. Sie stützen und beschützen einen Korpus aus Glas und Holz für 100 Menschen, die im kleinen Plößberg bei Tirschenreuth für die große Ziegler Group arbeiten. Das Unternehmen betreibt eines der bedeutendsten Sägewerke Europas. Seine Produkte und seine Philosophie hat das Büro Brückner und Brückner in Architektur übersetzt. Das Haus, außen beinahe roh, wird nach innen immer feiner. Im Kern spitzt sich eine Treppenspindel, ein Meisterwerk der Schreinerkunst, wie ein Baum konisch zu – der Chef fährt schließlich ungern Lift.

Hinreißende Kurven in Weiherhammer

Der Wald-Tempel steht mit zahlreichen anderen Beispielen für die bemerkenswerte Entwicklung von Oberpfälzer Baukunst, die aktuell zwei Beiträge vorstellen: das BR Fernsehen („Bauen für die Zukunft“, 26. Januar, 22.50 Uhr) und das Büro Wilhelm („Aktuelle Architektur der Oberpfalz“, Band IV). Auf knapp 200 Seiten belegt der Amberger Verlag an 60 Orten: Das neue Oberpfälzer Bauen vereint kluge Funktionalität und klare Ästhetik, kommt ohne Firlefanz aus, sprüht aber vor Schöpfergeist. Es schätzt das Alte und wagt das Neue, misstraut dem Superlativ, traut sich aber den Aufbruch. In Weiherhammer bei BHS zum Beispiel.

In der 4000-Einwohner-Gemeinde produziert der Weltmarktführer BHS Corrugated Wellpappe-Produktionsanlagen. Das Stammhaus plante das Büro sp-architekten als gewagtes Gebilde aus fließenden Linien und hinreißenden Kurven. Der weiße Riese zieht kreative Köpfe an, wie Geschäftsführer Christian Engel vor der BR-Kamera sagt: „Es ist nicht schwierig, Mitarbeiter nach Weiherhammer zu holen. Die sagen: Wow! Hier möchte ich arbeiten.“

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Die Baukunst auf dem Landblüht. Mitten in einem stinknormalen Gewerbegebiet in Lupburg hängt Johannes Berschneider die Latte hoch. Für die FIT AG, noch so ein Champion aus der Oberpfalz, hat er ein schimmerndes Siebengeschoss entworfen. Die Haut wechselt je nach Temperatur wie ein Chamäleon ihre Farbe, ergrünt bei Wärme und errötet bei Kälte. Im Inneren beeindruckt der Würfel mit goldglänzendem titanbedampftem Edelstahl auch die Kunden aus Asien. Die Zentrale verkörpert, wofür der weltweit operierende 3D-Druckspezialist steht: radikale Innovation.

Gut und schön wird heute in der Oberpfalz das ganz Kleine und das sehr Große gebaut. Das fängt beim uralten Austragshäusl am Schedlberg im Bayerischen Wald an, das sich bereits auflöste, alsPeter Haimerlbeherzt mit Beton-Barren und Glas eingriff. Oder beim neuen Lift am Regensburger Rathaus. Die barrierefreie Erschließung zum 700 Jahre alten Reichssaal, ein superheikle Aufgabe, lösten Köstlbacher Miczkamit Chuzpe: mit Aufzugsturm und Treppe aus Cortenstahl, die im Fechthof an der Rückseite des Rathauses andocken.

Kulturhäuser, Bildungsstätten, Wohn- und Bürohäuser, Kirchen, Fabriken und Bürgerhäuser, Loft, ein fliegendes Schlachthaus bei Tirschenreuth: Man kann gar nicht genug bekommen beim Erblättern der Oberpfälzer Baukunst und muss nicht einmal einverstanden sein mit allen Entwürfen, um Lust zu bekommen, sich ins Auto zu setzen, für eine kleine höchstpersönliche Architektour durch die Region.

„Wurzeln und Flügel“ benennendie Brückner-Brüdereine Architektur-Philosophie, die nicht auf nackten Effekt schielt, sondern die Substanz und die Eigenarten der Region und des Bauherrn sichtbar macht, der es nicht um Transgression geht, das Überschreiten von Grenzen und das horizontale Vordringen in neue Räume, sondern eher um Transzendenz, die Verbindung von Erde und Himmel und das Verknüpfen vom Ursprünglichen mit dem Zukünftigen.

„Vorher war nichts, jetzt ist ein bissl was“, seufzte Verleger Wilhelm Koch vor rund 20 Jahren noch im Editorial von Band I seiner Architektur-Reihe. Heute möchte man Uli Hoeneß zitieren: „Die Breite in der Spitze ist dichter geworden.“