Gastronomie
Das „Steirer Eck“ in Regensburg schließt

Erwin Stepanek hatte sich zum Ende seiner Wirtskarriere einen Wunsch erfüllt. Nun sagt er nach zehn Jahren Servus und „Baba“.

08.08.2018 | Stand 16.09.2023, 5:57 Uhr
Helmut Wanner

Sie sagen Ende August der Gastronomie ade: Erwin Stepanek, seine Frau Ruth und die Tochter Marlene Foto: Wanner

Ab jetzt laufen die letzten Bestellungen, am 25. August ist Schluss im Steirer Eck: Erwin Stepanek steht in der winzig kleinen Küche, zu der eine steile Treppe führt. Schwere Schweißtropfen stehen auf der Stirn des 74-jährigen Grazers, als er bei Gluthitze Backhendl um Backhendl herausbrät. Montag ist Papas Küchentag, da hilft er seiner Tochter Marlene aus, die seit sechs Jahren vorne dran steht nach Papas zwei Herzinfarkten. Sie geht nach Heidelberg. Dort hat sie ihr Herz verloren.

Steirer Backhendl der Renner

Tochter Marlene sieht es als Liebesbeweis für ihren Vater: So viele Steirer Schnitzel, Steirer Backhendl, Steirer Kaiserschmarrn wie nie gehen raus, in den letzten Tagen des Steirer Ecks. Er hatte sich in den letzten zehn Jahren seines Berufslebens den Traum vom Steirer Eck verwirklicht, genau am Eck zur viel belaufenen Theatergasse, die nach drei Mohren benannt ist.

Ab Sonntag, 26. August, ist es vorbei mit bsoffenen Marillen, Almdudler, Stiegl-Bier und Muskat Ottonel. Ein Stammgast hat zu einem Viertel kühlem Grauburgunder vorbeigeschaut, Heribert Sinz, der Sozialkunde- und Geografielehrer ganzer Generationen von AAG-Gymnasiasten, gibt den Stepaneks das beste Abschlusszeugnis, das man einer Gastronomenfamilie machen kann: „Es war glaubhaft, was er machte.“

„Es war glaubhaft, was er machte.“Stammgast Heribert Sinz

Ein authentisches Weinlokal schließt. Erwin Stepanek kommt auf exakt 60 Jahre Gastronomie. Er war ein Vollblut. „Ich hab mit 14 Jahren Koch und Hotelfach gelernt.“ Aber der Wind des Wandels umbraust auch gastronomische Denkmäler. Seine Frau Ruth zitiert die Kurzform von Prediger 3,4: „Alles hat seine Zeit.“ Stammtische sind nun heimatlos – wie der vom streitbaren Robert, dessen imposante weiße Mähne freitags auf die Ludwigstraße hinausleuchtete. Und vor welchem Glas will nun der melancholische Reiner R. Schmidt vom Kunst- und Gewerbeverein trauern? Aber Ruth und Erwin freuen sich nun auf zwei Wochen am Attersee, auf das Ende des endlosen Kopfkinos. Sie waren in ihrem schönen Haus in Grünthal bis Mitternacht „standby“, um der Tochter auszuhelfen.

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Manche der gemütlichen Weinbeißer waren schon Stammgäste vorne in dem kleinen gotischen Pultdachhause am Bismarckplatz 4, einem der beliebtesten gastronomischen Treffpunkte der Nachkriegszeit. Sie hieß Falks Weinstube. Sie war 1991 der erste gastronomische Ankerplatz für den Grazer in der Geburtstadt seiner Frau Ruth. 1975 hatte Ruth Seyboth ihre steirische Urlaubsliebe in Mariaort geheiratet. Die beiden erinnern sich an das zünftige Fest mit Blasmusik. „Damals gab es noch keine Brücke, wir mussten nach der Trauung mit der Fähre zum Kriegerwirt übersetzen.“

Als der liebenswürdige Grazer, der mit seinen schlanken 186 Zentimeter auch Skiflieger war, 16 Jahre später am Bismarckplatz landete, war er kein Fremder. „Mein Schwiegervater, der Seilhändler Seyboth, hatte mir viele Regensburger zugebracht für mein Hotel-Restaurant Glöckner in Ischgl. Die waren jetzt auch hier alle meine Gäste.“ Hochkaräter waren dabei: Der Sänger Fred Bertlmann („Ich bin ein Vagabund“), der Maler Fritz Wurmdobler, der Unternehmer Karlheinz Götz, der Bauträger Claus Kellnberger und Gerichtsmediziner Dr. Theo Veil. Letzterer war schon zu Paul Falks Zeiten Stammgast.

Paul und Käthe Falk, ehemalige Angestellte der Brauerei Emslander am Arnulfsplatz, hatten hier eine Weinstube mit Klang eröffnet. Die Mittelbayerische berichtete 1953 über das Ereignis. Man nannte es „dieses gastronomische Schatzkästlein“. Die Klause, die „wenige Meter von der quietschenden Trambahnschleife auf dem Bismarckplatz entfernt“ entstanden war, beschwor „Traumbilder aus den wohltemperierten Tiefen des Bremer Ratskellers“ herauf.

„Falks Weinstube“ wurde zum Wohnzimmer der Künstler vom nahen Stadttheater, manche Premierenfeier ging hier über die Bühne. „Falk“ leistete Widerstand, als die Stadt die uralte Baumgruppe, ein eingetragenes Naturdenkmal, für die Theatertiefgarage radikal opferte. 7500 Unterschriften sammelte Paul Falk. Es half alles nichts: Als die Stadt im Mai 1976 die ersten sechs fällen ließ, hatte der Weinwirt resigniert gesagt: „Wenn die Bäume fallen, falle ich auch.“ Paul Falk starb im Dezember 1977. Den bald darauf folgenden totalen Kahlschlag erlebte er nicht mehr.

Zehn Jahre währte der Traum

Jahrelang war dann schöpferische Pause am Bismarckplatz. Nach einem nicht besonders glücklichen Intermezzo als „Bon vino“ konnte schließlich Erwin Stepanek mit dem alten Namen „Falks Weinstube“ an die Tradition der gepflegten deutschsprachigen Gastlichkeit anknüpfen. Er hätte dort auch seine Karriere beendet, wenn ihm nicht 2008 der Pachtvertrag gekündigt worden wäre. So aber konnte der Grazer seinen Lebenstraum vom Steirer Eck verwirklichen. Falks Weinstuben heißen jetzt „Marple and Stringer“. Alte Regensburger schauen abends beim Vorbeigehen wehmütig durch die Fenster.

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