Regensburg
Das Theater-Kollektiv sagt Bye-Bye

16.07.2022 | Stand 15.09.2023, 4:23 Uhr
Klaus Kusenberg (rechts) war Intendant für ein Jahr – mit Team, hier: Christina Schmidt und Chin-Chao Lin. Jetzt löst sich das Regensburger Theater-Kollektiv auf. −Foto: Tino Lex

Künstler-Kollektive haben seit Kassel einen schlechten Ruf. Bei der Documenta war keiner verantwortlich für den Eklat und eine ansonsten langweilige Schau. In Regensburg, das will Intendant Klaus Kusenberg am Freitag schon ganz deutlich festhalten, bringt ein Kollektiv gerade eine außergewöhnlich schwierige Saison außergewöhnlich erfolgreich zu Ende.

Obwohl Corona 2021/2022 Regie führte, gelang dem Haus, was andere gerne hätten: eine Auslastung von 85 Prozent im Schnitt, so die Vorab-Bilanz. Bei „Chicago“, „Juke Box Heroes“ und im dritten Sinfoniekonzert war in keiner Aufführung auch nur ein einziger Platz frei. Um die Statistik richtig zu lesen: Bei Abenden mit Besucherlimit wurden die buchbaren Plätze als 100-Prozent-Grundlage gerechnet.

„Regensburg gehört definitiv zu den Ausreißern“, betont Kusenberg. Landauf, landab liest und hört man von leeren Sälen und verlorenen Gästen. Bemerkenswert: Nicht nur große Produktionen, auch Haidplatz, Junges Theater oder Konzerte zogen Besucher in Scharen an. Die Saison schließe wirtschaftlich „absolut positiv“. Die Hürde für das neue Theaterteam mit Sebastian Ritschel liegt also hoch. Die neue Abo-Struktur, gültig ab September, verärgerte zuletzt treue Theaterfans.

Kusenberg ist Teamplayer. Nach außen stand er an der Spitze, intern agierten die Spartenleiter autonom – ein Konzept, das er warm empfiehlt. Die locker-freundschaftliche Stimmung im Foyer Neuhaussaal unterstreicht seine Worte. „Dass das Kollektiv ein Jahr gut ging, dass wir uns nicht die Köpfe eingeschlagen haben und nicht in Beliebigkeit abgesunken sind, bestätigt uns.“ Stolz ist Kusenberg, Chef fürs Schauspiel, etwa auf „Richard III“, auf mehrere Festival-Ehren und auf „Gefesselt“. Binnen zehn Monaten entstand aus einem Wettbewerb ein bühnenreifes Stück. „Das muss erst mal jemand nachmachen!“

Christina Schmidt, Operndirektorin mit glücklichem Händchen, durchlitt Albträume, weil Corona alle Pläne für dicht besetztes Musiktheater über den Haufen warf – vor allem bei „Wir“, der Auftragsoper, die mit letzter Kraft uraufgeführt – und prompt zum internationalen Erfolg wurde.

„Ich bin dankbar“, bekennt Georg Reischl, Chef der Tanz-Sparte, für sein Team und sein Publikum. Wenn er bei „Mozart Mozart“ im dritten Rang stand und die Begeisterung im Saal spürte, fühlte er sich „wie beim Rockkonzert“. Mit Lust, Hingabe und Überzeugung tanzte seine Truppe etwa „Juke Box Heroes“ oder „Sand“.

Als Paradebeispiel für das Funktionieren des Kollegial-Prinzips schilderte Maria-Elena Hackbarth die Saison. Die Leiterin für Junges Theater und Theatervermittlung bekam 2021 ihr zweites Kind, konnte aber ihr Haus, dank geschmeidiger Strukturen, weiter leiten. Brennende Themen griff sie auf und nahm ihr Publikum ernst. Für „Deportation Cast“ etwa arbeitete man intensiv mit der BI Asyl, für „Schrei es raus!“ spürte Hausautorin Maria Milisavljevic bei Teenagern nach, was sie bewegt. Hackbarth betont: „Das ist Theater nicht fürs Publikum von morgen, sondern fürs Publikum von heute.“

Chin-Chao Lin, sonst kein Mann vieler Worte, strömt geradezu über. Wie er sich alle Kritiken ausdruckte, um die guten aufzuheben, und dann alle behalten musste, erzählt der GMD. Und wie sein Publikum in den letzten Wochen an der Pforte Blumen und Briefe für ihn abgab. „Regensburg ist meine musikalische Heimat“, sagt er. „Und die Heimat verlässt man nicht.“ Chin-Chao Lin behält seine Regensburger Adresse, arbeitet künftig frei in Luxenburg, Linz, Taiwan und Meiningen, wo er „Korngold“ dirigieren wird. Beim Abstecher nach Thüringen drückte ihn eine Ex-Kollegin aus Regensburg an die Brust: „Mei, der Bua ist wieder da!“

„Das Highlight der Spielzeit war das Ensemble“, konstatiert Dramaturgin Saskia Zinsser-Krys. Nun löst sich das Kollektiv auf. Christina Schmidt geht als Chefdramaturgin nach Plauen-Zwickau, Hackbarth wird als freie Regisseurin arbeiten, bei Georg Reischl fallen gerade noch Entscheidungen, Zinsser-Krys wird Chefdramaturgin in Oberhausen. Und Klaus Kusenberg? Er will auch als Rentner Regie führen.

Auf die sonnige Stimmung fällt dann doch ein Schatten. Dass die Stadt Regensburg das Velodrom, ein Haus mit 600 Plätzen in 1a-Lage, über acht oder neun Jahre brach liegen lässt, das, sagt Kusenberg, „ist ein Skandal“.