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Die stärkste Frau von Regensburg

Der Sport hat mein Leben verändert, sagt Lena Nützel. Sie ist Stadtmeisterin im Gewichtheben und eine ungewöhnliche Frau.

22.12.2017 | Stand 16.09.2023, 6:20 Uhr
Helmut Wanner

Lena Nützel beim Training an der Prüfeninger Straße 83 Foto: Sperger

„Ich mag mich und meinen Körper.“ Jeder möchte das von sich sagen. Lena Nützel spricht es aus. Sie ist die wahrscheinlich stärkste Frau Regensburgs. Im Dezember wurde die 30-Jährige, die für den Kraftsportverein Bavaria startet, Stadtmeisterin im Gewichtheben. Im Reißen brachte sie 55 Kilo zur Hochstrecke, im Drücken 71.

Fiore und Peppermint

Beim Thema Frauen und Gewichtheben muss man Bilder sowjetischer Kraftpakete aus dem Kopf werfen. Gewichtheben ist Trendsport bei Frauen. Doch die Sportlerinnen, die ihr eigenes Körpergewicht reißen können, schreiten grazil einher. Wenn Lena Nützel durch die Stadt geht, dreht man sich nach ihr um … nicht nur wegen Fiore und Peppermint. Ihr brauner Magyar Vizsla und ihr weißer Pudel sind intelligente, junge und wissbegierige Hunde. Gesund sind sie auch. Sie nimmt sie ins Training mit.

Lena Nützel ist 1,63 m groß. Ihre 57, 58 Kilo sind hoch verdichtet, pures Dynamit. Wenn man die Videos auf Facebook sieht, traut man seinen Augen nicht: Ihre Push-Ups am Reck sind wie Eruptionen von Schnellkraft. Im Gespräch ist die Extremsportlerin die Ruhe selbst. Ihr Gesicht ist wie der Spiegel eines Sees an einem stillen Morgen. Sie pflegt auch ihre künstlerische Seite beim Zeichnen mit Pastellstiften und bei Linolschnitten. Um 5 Uhr steht sie täglich auf. „Die Stadt ist dunkel und schläft. Da ist es schön zu laufen. Die Luft ist kalt. Ich hab Musik im Ohr. Dann geht es in die Arbeit. Dann heim, was Essen und zum Gewichtheben radeln – das ist mein Alltag, sechs Mal die Woche.“ Die Bachelorette of Science beschränkt sich nicht auf Kraftsport. Über ihre Firma Thermo Fisher, einem führenden Spezialisten bei der Herstellung synthetischer Gene, nahm sie beim letzten Regensburg-Marathon teil. Sie startete über 10 Kilometer. „Plötzlich radelte eine Frau vom Orga-Komitee neben mir und sagte: Sie sind dritte Frau.“ Sie blieb dritte Frau bis zum Zieleinlauf.

„Die Stadt ist dunkel und schläft. Da ist es schön zu laufen. Die Luft ist kalt. Ich hab Musik im Ohr. Dann geht es in die Arbeit. Dann heim, was Essen und zum Gewichtheben radeln – das ist mein Alltag, sechs Mal die Woche.“Lena Nützel

Der Sport, sagt sie, habe ihre Einstellung zum Leben völlig geändert. „Ich bin glücklich und zufrieden durch den Sport: Ich lästere über niemanden, neidisch bin ich nicht.“ Sie denkt, dass die Welt durch Sport besser wäre. Negative Gefühle entstehen für sie nur, weil die Leute mit sich unzufrieden sind.

Lena Nützel zeigt ihr Vorher/Nachher-Foto: Auf dem einen hat sie Babyspeck angesetzt, auf dem anderen hat sie Six-Packs. Die jüngste von drei Schwestern schlägt völlig aus der Art. Bis zu ihrem 20. Geburtstag hing sie in Diskos rum und kippte Cocktails „wie man es halt so macht“. Vereinssport war in der Familie tabu. Vor zehn Jahren zog sie beim Freund aus und ließ auch seine Trinkgewohnheiten hinter sich. Sie sagt, sie habe damals eine Reise begonnen. Die Reise zum eigenen Ich.

Auf Facebook zeigt Lena Nützel ihre Stärke bei Gewichthebe-Videos:

Wegweiser sind Sätze wie: „Mach dich wahr – auspacken, anpacken“ und „Hunger nach Wissen“. Das ist zugleich ihr Hashtag, unter dem sie auf Instagram und Facebook unterwegs ist: #Hungerforknowledge. Weil das so eng zusammengeschrieben wird, liest man gerne Hungerfork, Hungergabel. In der Tat hat sie in ihrem Hunger nach Wissen auch ihre gesamte Ernährung umgestellt. Sie verzichtet auf Zucker, Weißmehl und Alkohol. Stattdessen greift sie zu Gemüse, viel Grün und magerem Fleisch. Fette nimmt sie über Nüsse und Kokosöl zu sich. Mit dem Essen könne man viel beeinflussen, sagt sie. „Die Leistung und wie man sich fühlt, das alles kann man steuern.“

Sechs Mal die Woche Training

Als die Tochter eines leitenden Oberarztes eines fränkischen Krankenhauses vor zwei Jahren nach Regensburg zog, um ihre Stelle im Biopark anzutreten, suchte sie eigentlich nur eine „Crossfit-Box“. Dann sah sie auf „Facebook“, dass bei einem Seminar des Regensburger Gewichtheber-Star Yasin Yüksel ein Platz frei war. Dadurch kam sie in Berührung mit den Langhanteln. „Zuerst hab ich mich dauernd mit der Stange geschlagen“, sagt sie. Yüksel sagte, wenn sie weiterkommen wolle, dann müsse sie in den Verein KSV Bavaria.

Von drei Mal Training die Woche ist sie auf sechs Mal umgestiegen. Im Verein fühlt sie sich zu Hause. Da zählt nur ich und das Gewicht. Ihr reichen die 45 Quadratmeter in der Altstadt. „Was brauch ich ein Haus, ich bin ja nie daheim.“ Ziele wie Familie und Haus hat sie vorerst nicht.

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