Menschen
Er kennt alle Sünden der Stadt

Pfarrer Georg Zinnbauer sitzt seit 2002 täglich im Beichtstuhl der Karmelitenkirche. Was hat das aus dem Menschen gemacht?

24.03.2018 | Stand 16.09.2023, 6:13 Uhr
Helmut Wanner

Kanonikus Georg Zinnbauer sperrt seinen Beichtstuhl in der Beichtkapelle der Karmelitenkirche St. Josef auf. Foto: Wanner

Im stillen, eingekehrten Leben des Georg Zinnbauer ist vor den Kartagen etwas Außergewöhnliches geschehen. Der Papst hat dem Regensburger Ruhestandsgeistlichen den seltenen Titel „Monsignore“ verliehen.

500 Osterbeichtzettel

St. Josef am Alten Kornmarkt gilt als die Beichtkirche der Diözese. In der renovierten Beichtkapelle stehen fünf Beichtstühle in Reihe. Nur einer ist immer besetzt. Der in der Mitte. In der Osterzeit suchen alleine bei Georg Zinnbauer 500 Menschen die Lossprechung, darunter viele Pfarrer der Diözese.

Beichtvater Zinnbauer sperrt sein mit dunklem Holz verkleidetes Gnadeninstrument auf. Übers Oberlicht fällt fahles, durch Glasbausteine gefiltertes Tageslicht in die kleine Beichtkammer. Der Stuhl des Beichtvaters steht direkt an der Heizung, aber über der Lehne liegt noch zusätzlich eine warme Decke. Unterm Trenngitter, neben der Durchreiche zum Beichtenden, liegt sein Rosenkranz mit großen bernsteinfarbigen Perlen und ein schrumpfender Stapel Osterbeichtzettel. „Die Frequenz ist ungebrochen“, sagt Zinnbauer. „Ich sitze hier keine fünf Minuten ohne Pönitenten.“

Menschen muss man mögen. Die darf man nicht einfach nur absolvieren. Es ist eine Sache des Herzens.“

Georg Zinnbauer, Beichtvater

Pönitent ist ein anderes Wort für Beichtender. Wer das Wort Beichtstuhl googelt, stößt prominent auf eine Facebook-Seite mit obszönen Geständnissen in Serie. Die Seite wurde von über einer Million Personen abonniert. In pervertierter Form interessiert das Thema immer noch brennend.

„Ich weiß“, sagt Georg Zinnbauer und sein Gesicht nimmt sorgenvolle Züge an. „Ich sehe ein zunehmendes Abgleiten von Menschen, die nicht mehr kirchlich gebunden sind. Man kann da nur tiefes Bedauern und echtes Mitleid haben und still beten.“ Urteilen, verurteilen hat im Leben des Beichtvaters keinen Platz. „Beten, segnen und lieben: Nur so kann die Kirche dem begegnen.“ Diese Worte scheinen aus seinem Seelengrund zu quellen.

Die vielen Stunden hinterm trennenden Gitter haben den Menschen Zinnbauer verändert. „Man wird gütiger, nachsichtiger, barmherziger. Man kann als Beichtvater den Menschen mehr verstehen.“ Zinnbauer lächelt fast mütterlich. Er ist kein frommer Tropf, er kennt die Realität: „Die allgemeinen Beichtzahlen sind sehr zurückgegangen, aber die Qualität der Beichten steigt. Die, die kommen, haben etwas Besonderes auf dem Herzen.“

Zinnbauer sagt, er sei durch die Erfahrung darauf gekommen, den Schwerpunkt seiner Seelsorgearbeit auf den Beichtstuhl zu setzen. Dies bezeichnet er als die intensivste Form der Kommunikation zwischen Pfarrer und Gemeinde. „Menschen muss man mögen. Die darf man nicht einfach nur absolvieren. Es ist eine Sache des Herzens.“

Die wenigsten wollten eine kirchliche Pflicht erfüllen. „Die Zahl der Menschen mit seelischen Nöten wächst ständig. Sie kommen mit Sorgen aus allen Bereichen des Lebens.“ Dass er nicht selten hört, „meine letzte Beichte war bei meiner Erstkommunion“, bejaht er mit seinem Minenspiel. Manche sind mit ihrem Latein am Ende. „Sie suchen Rat, sie wollen Trost.“

Das große Durchatmen

Was bekommt er zu hören? „Alles, was auch Thema in der Gesellschaft ist.“ Ehebruch, Abtreibung? Dazu kann er nichts sagen, aber er lässt seine Augen sprechen. In der Beichte komme Gottvater jedesmal mit offenen Armen auf den verlorenen Sohn, die verlorene Tochter zu. Man müsse das Angebot nur annehmen.