Prozess Freispruch trotz folgenschwerer Gewalt
Das Regensburger Gericht folgt der Einlassung des Angeklagten (20), in Notwehr und Panik zugeschlagen und -getreten zu haben.

Regensburg.Mit einem Freispruch endete ein Prozess vor dem Jugendschöffengericht gegen einen 20-jährigen Asylbewerber aus Somalia wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen. Laut Anklage soll der junge Afrikaner einen Mitbewohner in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Zeißstraße durch Steinschläge und Fußtritte gegen den Kopf lebensgefährlich verletzt haben.
Das Gericht unter Vorsitz von Richterin Cornelia Braun folgte mit seinem Urteil weitgehend dem Antrag von Verteidiger Johannes Büttner – dieser hatte eine Notwehrlage seines Mandanten geltend gemacht – sowie den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen. Der schloss Schuldunfähigkeit des Somaliers infolge eines affektiven Ausnahmezustands nicht aus. Die Staatsanwältin hatte hingegen eine Jugendstrafe von vier Jahren und drei Monaten für den Angeklagten gefordert. Sie schenkte seiner Sicht der Dinge keinen Glauben.
Offenes Schädel-Hirn-Trauma
Der Angeklagte hatte bei seiner Ankunft in der Unterkunft in der Zeißstraße vier Wochen vor dem blutigen Vorfall im April 2018 eine Odyssee hinter sich und Schlimmes mitgemacht: 2014 floh er mit 15 Jahren vor Gewalt und Bürgerkrieg aus seiner Heimat.
In Libyen wurde er inhaftiert und im Gefängnis misshandelt. Nach erneuter Flucht kenterte das Schleuserboot auf dem Mittelmeer. 58 Menschen starben. Er war unter den Überlebenden, die aus dem Meer gefischt wurden. Von Italien gelangte er in die Schweiz, wo sein Asylgesuch abgelehnt wurde. Auch in Deutschland erhielt er keine Bleibeperspektive. Er sollte in die Schweiz abgeschoben werden.
Da kam es im April vor der Unterkunft zum Streit zwischen dem damals 19-Jährigen und seinem deutlich älteren Kontrahenten. Einer fühlte sich offenbar vom anderen bestohlen. Beide hatten einiges an Alkohol konsumiert. Da soll der 19-Jährige den Älteren zunächst mit einem spitzen Gegenstand im Gesicht verletzt und ihm später im Innenhof der Einrichtung durch Schläge mit einem Stein und mit Tritten schwerste Kopfverletzungen zugefügt haben. Der Geschädigte erlitt ein offenes Schädel-Hirn-Trauma, eine Impressionsfraktur an der Stirn., eine Hirnhautblutung sowie eine Platzwunde, Prellungen und Schürfwunden. Er leidet nach wie vor unter den wohl bleibenden Folgen der Tat.
Der Geschädigte hatte erklärt, er habe den Angreifer nicht gesehen. Er sei von hinten angegriffen und niedergeschlagen worden. Dies könne nur der 19-Jährige gewesen sein.
Der Angeklagte bestritt die Schläge und Tritte auch nicht. Er machte aber über seinen Verteidiger für beide Attacken Notwehr geltend. Vor der Einrichtung sei er von dem Landsmann angegriffen worden und habe sich gewehrt. Später, im Container, den beide bewohnten, habe der Ältere ihn bedroht und sei mit Glasscherben auf ihn losgegangen. Er habe um sein Leben gefürchtet und sei ins Freie geflüchtet, so die Einlassung. Der andere sei ihm hinterhergelaufen. In Panik habe er einen Stein hochgehoben und es sei zu dem Gewaltexzess gekommen.
Seelischer Ausnahmezustand
Augenzeugen für die Steinschläge gibt es nicht. Doch berichteten andere Flüchtlinge übereinstimmend von einer Bedrohungssituation durch den sehr aggressiven und stark betrunkenen älteren Somalier im Container und darüber, dass der Jüngere vor ihm davonlief. Wenig später sahen andere Bewohner die Fußtritte des 19-Jährigen gegen das schon am Boden liegende, bewusstlose und blutende Opfer. Für die Minuten dazwischen gibt es keine Zeugen.
Nach dem Gewaltexzess schilderten Bewohner, Sicherheitskräfte und Polizeibeamte den Angeklagten als „schockiert“ und „verstört“. „Er weinte und zitterte.“ Der Sachverständige schloss unter anderem daraus auf eine „akute Belastungsreaktion“, einen seelischen Ausnahmezustand bei der Tat und schloss – wenn man der Einlassung des Angeklagten folgte – dessen Schuldunfähigkeit in diesen Minuten nicht aus.
Die Vorsitzende Richterin Braun sagte in ihrer Urteilsbegründung, die Einlassung des Angeklagten, er habe in Notwehr gehandelt, sei nicht zu widerlegen - auch wenn es darin einige Ungereimtheiten gebe. Zeugen hätten den Geschädigten als aggressiv geschildert und berichtet, der Angeklagte sei vor ihm davongelaufen. Möglicherweise habe eine – straffreie – Notwehr-Überschreitung vorgelegen. Auch wenn später keine Notwehrlage mehr bestanden hätte, sei Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht auszuschließen, entschied das Gericht.
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