Reise
Gaza: Hilfe kommt aus Regensburg

Thomas Loew und Beate Leinberger bildeten Traumahelfer aus. Diese helfen Kindern, Kriegserinnerungen zu bewältigen.

02.01.2018 | Stand 16.09.2023, 6:15 Uhr
Tim Guggenberger

Der Weg nach Gaza-Stadt führte Loew und Leinberger durch eine kilometerlange, abgezäunte Sperrzone. Fotos: dpa/weiken/loew/Leinberge

Nablus ist eine Stadt wie Regensburg – rund 150 000 Einwohner, eine Universität mit 26 000 Studenten und vielen identischen Fakultäten. Trotz aller Ähnlichkeiten unterscheidet sich die palästinensische Stadt von ihrem bayerischen Äquivalent in einem Punkt ganz deutlich – „dort gibt es keine 2000, sondern Lager mit 40000 Flüchtlingen“, erzählt die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Beate Leinberger. An der Regensburger Universitätsklinik hat sie das Traumahelfer-Programm konzipiert, das besonders geflüchteten Kindern helfen soll, negative Erfahrungen aus Krieg und Verfolgung besser zu verarbeiten. Zusammen mit Prof. Dr. Thomas Loew fasste sie den Entschluss, dort zu helfen, wo es am nötigsten ist – die beiden reisten nach Nablus und Gaza-Stadt.

Last auf der Seele

Sand und kleine Spielzeugsoldaten fliegen durch die Luft, als die Flüchtlingskinder ihre Geschichten erzählen. In Sandkästen bauen sie Wände auf, platzieren Plastikschützen und -panzer, ahmen Schüsse nach, schreien. „Wir haben Geschichten gehört, die unvorstellbar sind“, erzählt Thomas Loew. Eine Großfamilie mit 90 Menschen versteckt sich in einer kleinen Wohnung. Es ist dunkel, die Wände zittern, draußen fallen Schüsse. Das Telefon klingelt, es sind die Israelis. Sie sagen, in zehn Minuten werde das Haus gesprengt. Die Kinder schreien, dass sie nicht sterben wollen. „Das ist die Traumatisierung, mit der die Menschen im Nahen Osten umgehen müssen“, erklärt der Professor für Psychosomatik.

1200 Traumahelfer in Deutschland ausgebildet

Nach der zweitägigen Ausbildung in Nablus ging die Reise weiter durch Isreal Richtung Gazastreifen. Zusammen mit dem Westjordanland bildet Gaza das Gebiet des Staates Palästina. Dieser steht seit Jahrzehnten im Konflikt mit Isreal. Die Auseinandersetzung über Grenzen und Staatlichkeit der beiden Nationen hat die Region in der Vergangenheit schwer erschüttert. Auch wenn beide Parteien mittlerweile nach diplomatischen Lösungen suchen, gibt es immer noch vereinzelte Kämpfe und Aufstände militanter Gruppen.

Millionen betroffene Kinder

Zu spüren bekommen das vor allem die zwei Millionen Menschen in Gaza-Stadt. Auch wenn im Moment die Waffen schweigen, haben gerade die Kinder und Jugendlichen mit der Angst und den Erinnerungen an die Gewalt zu kämpfen. „Über die Hälfte der Bevölkerung dort ist unter 18. Wir haben mit niemanden gesprochen, der den Krieg nicht unmittelbar erlebt hat.“ Laut Loew sind die Menschen dort einer wesentlich höheren psychischen Grundbelastung ausgesetzt als in westlichen Ländern. Stromausfälle, die extreme Bevölkerungsdichte und die immerwährende Angst vor Krieg und Zerstörungen machen vor allem den vielen Kindern zu schaffen. In einem Treffen mit dem Gesundheitsminister hat der Regensburger Professor deshalb Ideen erarbeitet, um Traumafolgestörungen frühzeitig erkennen und behandeln zu können.

Zunächst sollen mithilfe eines Fragebogens systematisch alle Kinder der Stadt auf schwere Traumata untersucht werden. Damit ihnen die nötige Hilfe zukommen kann, sollen die Bereiche der Psychosomatik und Psychotherapie an der dortigen Universität verstärkt behandelt werden. Das könne sowohl Studenten als auch Ärzten in Gaza-Stadt ermöglichen, die Konzepte der psychosomatischen Grundversorgung zu erlernen. Weiterhin wird die Ausbildung zum Ersthelfer, wie sie unter anderem für den Führerschein nötig ist, künftig Inhalte aus dem Traumahilfe-Programm behandeln. „Wir haben uns gezielt dafür eingesetzt, dass unsere einfachen Techniken jeden Menschen dort erreichen können“, erklärt der Professor.

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