Hilfsbereitschaft
Glückssträhnen für Krebskranke

Am 15. Februar ist Internationaler Kinderkrebstag: Die neunjährige Johanna schenkt mit ihren Zopf ein Stück Hoffnung.

12.02.2018 | Stand 16.09.2023, 6:08 Uhr

Friseurmeisterin Gülisch Parlak setzt die Schere an. 30 Zentimeter Haare sollen ab. Foto: Stöcker-Gietl

Als die Schere die letzten Haarsträhnen durchtrennt, schlägt Johanna die Hände vors Gesicht. „Jetzt sind sie kurz!“ Für einen Augenblick wirkt sie ein bisschen erschrocken. Doch das legt sich sofort, als ihr Friseurmeisterin Gülisch Parlak den mit Gummibändern fixierten Zopf zeigt. Johanna nimmt das hölzerne Lineal zur Hand und misst nach. Geschafft. Es sind 30 Zentimeter. 30 Zentimeter, mit denen die Neunjährige aus dem Landkreis Regensburg Krebspatienten ein Stück Hoffnung und Lebensqualität schenken will. „Mein Wunsch wäre, dass ein Kind, das keine Haare mehr hat, eine Perücke aus meinem Zopf bekommt“, sagt sie.

250 000 Mal Diagnose Krebs

Am Internationalen Kinderkrebstag am 15. Februar soll daran erinnert werden, dass jedes Jahr rund 250 000 Kinder weltweit die Diagnose Krebs erhalten. Ein Teil von ihnen wird diese Krankheit nicht überleben. In einer Kindersendung hat Johanna, meine Tochter, die kleinen Krebspatienten mit ihren kahlen Köpfen gesehen. Es beschäftigte sie sehr. „Ich wäre traurig, wenn ich keine Haare mehr hätte“, sagte sie beim zu Bett gehen.

Auch auf dem Schulhof trieb sie das Schicksal der jungen Patienten um. Dabei erzählte ihr ein Junge aus ihrer Klasse, dass man Haare spenden könne. Wir Eltern waren erstaunt, als sie uns von ihrem Entschluss erzählte, ihre Haare verschenken zu wollen. Denn Abschneiden war in der Vergangenheit ein heikles Thema. Um jeden Zentimeter Splissbeseitigung musste mit Johanna gefeilscht werden. Und nun war sie bereit, den kompletten Zopf zu geben. Das wollten wir Eltern unbedingt unterstützen. Die Recherchen machten aber schnell deutlich: Mit echten Haaren lassen sich gute Geschäfte machen.

Wer etwas Gutes tun will, muss sich vorab informieren, damit die Hilfe tatsächlich bei den Menschen ankommt, die dringend darauf angewiesen sind! Wert ist es die Mühe allemal.

Nicht nur für kleine Patienten ist die Diagnose Krebs mit großen Entbehrungen, mit körperlichen und seelischen Schmerzen verbunden. Insbesondere Frauen leiden unter den körperlich sichtbaren Folgen, die durch eine notwendige Chemotherapie und Bestrahlungen zu erwarten sind. Die eh schon schwere psychische Belastung wird durch diese gravierenden Auswirkungen noch weiter verstärkt.„Denn durch den kahlen Kopf fühlen sich die Frauen stigmatisiert“, sagt Susanne Weg-Remers, die Leiterin des Krebsinformationsdienstes, im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Krankheit werde durch den Haarverlust, der oftmals nicht nur den Kopf, sondern auch Augenbrauen und Wimpern betreffe, für jedermann sichtbar.

Nachfrage bei der Krebshilfe

Da Krankenkassen in der Regel lediglich für eine Perücke aus Kunsthaar die Kosten tragen, diese aufgrund ihrer Beschaffenheit meist aber auf den ersten Blick als unechtes Haar zu identifizieren ist, kommt zu den körperlichen Belastungen auch noch ein befremdliches Gefühl beim Blick in den Spiegel dazu. Wenngleich, so sagt Susanne Weg-Remers, Frauen inzwischen auch mutiger geworden sind und nach Alternativen zu Perücken suchen. Bunte Tücher oder Mützen, bei jungen Frauen auch bunte Kopfbemalungen, sieht man inzwischen häufiger. Zudem gibt es kostenlose Angebote, in denen Frauen lernen, mit Schminktechniken die äußeren Zeichen der Krankheit zu minimieren. Wer sich für eine Echthaarperücke entscheidet, der muss in jedem Fall tiefer in die Tasche greifen. Zwischen 3000 und 5000 Euro kostet ein professionell angepasster Haarersatz, der nur von Experten als solcher auch identifiziert werden kann.

Mit diesen Hintergrundinformationen haben wir uns an die Deutsche Krebshilfe gewandt, um sicherzustellen, dass Johannas Zopf ihrem Wunsch entsprechend verarbeitet wird. Dort wurden wir an die Internetadressewww.haare-spenden.devermittelt, hinter der das Unternehmen Rieswick & Partner Friseur GmbH in Velen-Ramsdorf in Nordrhein-Westfalen steckt.

In dem Unternehmen, das sich auf die medizinische Haarversorgung spezialisiert hat, entstehen rund 500 Perücken im Jahr. „Täglich erreichen uns 20 bis 60 Haarspenden“, teilt Max Rieswick auf Nachfrage mit. Für eine hochwertige Echthaarperücke werden zwischen vier und sechs Haarspenden benötigt, die in rund 250 Stunden Handarbeit zu einem täuschend echt aussehenden Haarersatz verknüpft werden. Aber wie kann der Haarspender sicherstellen, dass er tatsächlich einem kranken Menschen hilft? Die an sein Unternehmen gespendeten Haare werden den Perückenempfängern geschenkt, sie bezahlen nur die Herstellungskosten, betont Max Rieswick. Zusätzlich dazu unterstützt der Perückenhersteller noch im Sinne der Haarspender Organisationen wie die Deutsche Krebshilfe, die Kinderkrebshilfe Horizont und „It’s for kids“. Allein im vergangenen Jahr seien so über 70 000 Euro für kranke Kinder und Erwachsene zusammengekommen. Voraussetzung für eine solche zusätzliche Spende sei allerdings, dass das Haar mindestens 30 Zentimeter Länge hat. Auch deshalb hat Johanna ihren Zopf so genau gemessen und den Zeitpunkt für den Schnitt danach ausgerichtet.

Fünf Tage nach dem Friseurbesuch sind Johannas Haare in der Perückenfabrik in Nordrhein-Westfalen eingetroffen. Dort werden sie nach Länge, Gewicht, Struktur, Farbe und Qualität bewertet und auf eine Länge gebracht. Dieses Auskämmen nennt sich im Fachjargon ,Aushecheln“, denn Haare unter 15 Zentimeter Länge können nicht weiterverarbeitet werden, erläutert Rieswick. Nachdem Johannas Zopf gereinigt und desinfiziert wurde, wartet er nun im Lager auf seinen Einsatz.

Für die Regensburger Friseurmeisterin Gülisch Parlak war es die zweite Haarspende in ihrem Salon. Immer wieder kommen Kundinnen, die sich von sehr langen Haaren trennen. Bei ihnen will sie das Thema Haarspende künftig ansprechen. Im Internet findet man Adressen von weiteren Friseuren, die die Idee unterstützen. Das gespendete Haar darf nicht kürzer als 25 Zentimeter sein, zudem sollte es nicht stark geschädigt sein. Gefärbtes oder gebleichtes Haar muss einer Qualitätskontrolle unterzogen werden.

Übrigens kann auch Spender werden, wer seinen Zopf bereits vor vielen Jahren abgeschnitten hat. Selbst Haare, die schon 70 Jahre aufbewahrt wurden, können noch in einer Perücke verarbeitet werden.

Johanna würde gerne wissen, wie es mit ihren Haaren nun weitergeht, doch da muss Max Rieswick passen. Ob tatsächlich ein krankes Kind eine Perücke daraus erhalten wird, könne später nur schwer nachvollzogen werden. „Eine solche Kontrolle wäre sehr zeitaufwendig.“ Auch deshalb könne der Haarspender eine Organisation auswählen, die finanziell in seinem Sinne unterstützt werde. Das hat auch Johanna getan und will die Kinderkrebshilfe unterstützen. Dass ihr Haar vielleicht nicht von einem Kind getragen wird, hat sie akzeptiert. „Auf jeden Fall kann ich einem kranken Menschen helfen, das ist doch was.“ Inzwischen überlegt sie bereits, ob sie ihre Haare wieder wachsen lässt – um noch ein paar weitere Strähnen Glück zu verschenken.

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