Kunst
Hüter des Bauhaus-Schatzes

Christoph Wagner, Chef der Kunstgeschichte an der Uni, hat ein Faible für die Schule. Warum, zeigt er mit einem Teppich.

23.03.2019 | Stand 16.09.2023, 5:45 Uhr

Prof. Christoph Wagner sitzt vor dem Teppich in seinem Büro. Der Entwurf stammt von Johannes Itten. Foto: Haala

Prof. Christoph Wagner greift in die Wollfäden des Wandteppichs in seinem Büro. Er wuschelt ordentlich in dem Stück herum und zieht seine Hände schließlich in großen Schwüngen über das Stück Textil. Nach den Streicheleinheiten des Institutsleiters für Kunstgeschichte an der Universität sieht der Teppich anders aus als zuvor. Seine Finger haben oval verlaufende Furchen durch die geknüpfte Wolle gezogen, an anderen Stellen wirkt der Wandteppich dagegen im wahrsten Sinne des Wortes gegen den Strich gebürstet.

Kunstwerk zur Begrüßung

Bis heute kann Wagner sich nicht an dem Gobelin sattsehen – und das, obwohl er gerade ein Werkverzeichnis mit 2500 Itten-Artefakten bearbeitet hat. Und um zu erklären, was ihn an dem Künstler so begeistert, greift Wagner in die Wollfäden. Unzählige von ihnen bilden das Quadrat, auf dem drei Streifen in Blautönen über einem Grund von vier unterschiedlich-farbigen Rechtecken zu sehen sind.

Wagner aber sieht viel mehr darin: „Die Wollfäden haben eine Länge von fast sieben Zentimetern“, sagt er. Der Teppich, der da so flach an der Wand zu hängen scheint, hat also einen stattlichen Körper. Und weil die Wollfäden so lange sind, können sie das Erscheinungsbild des Kunstwerks auch ganz schön verändern, wenn Wagners Hand sie mal in die eine, mal in die andere Richtung streicht. Das Licht bricht sich dann an anderen Stellen, die Schatten auf dem Teppich werfen andere Formen auf ihn.

Ein Teppich, der verändert

Auch mit der Stimmung des Betrachters und der Tageszeit wird der Teppich ein anderer. Das macht ihn für Wagner zu einer riesigen Einladung zum Schauen. Ja, er traut dem Teppich sogar zu, die Wahrnehmung der Personen zu verändern, die ihn ansehen. Aber das brauche seine Zeit. „Wir sind heute einer Bilderflut ausgesetzt“, sagt Wagner. Viele Menschen im Museum würden ein Ausstellungsstück nicht länger als 30 Sekunden ansehen. Das aber reiche kaum, um sich darauf einzulassen. Wagner rät stattdessen, sich drei Werke einer Ausstellung auszusuchen und sich Zeit für die Reise der Pupillen über die Darstellung zu geben.

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Anhand des Teppichs zeigt er, wie das geht: „Die vier großen Felder wirken auf den ersten Blick symmetrisch. Aber sie sind ein wenig gegeneinander verschoben“, sagt er. Und weiter: „Die blauen Streifen in der oberen Hälfte liegen neben einem gelben und einem roten Feld. Das sind die Grundfarben. Die Felder in der unteren Bildhälfte haben erdige Töne.“

Warum aber wählte Itten diese Farben? Warum genau diese Töne? Warum diese Formen? „Wer sich diese Fragen stellt, hat sich schon mit seiner Kunst auseinandergesetzt“, sagt Wagner. Das war der motivierende Teil seines Vortrags. Denn Antworten darauf werden die Betrachter weder von Itten selbst noch vom Institutsleiter der Regensburger Kunstgeschichte bekommen. „Die muss jeder selbst finden“, sagt Wagner.

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Vielleicht erinnert sich der Betrachter ja beim Anblick eines Tisches, eines Zimmers oder eines Gartens wieder an den Teppich. Immerhin mutet die Anordnung der Flächen ein wenig wie die Ordnung der Beete eines Bauerngartens an. Wie wäre es, ein Beet so anzulegen? Ein Itten mit Margeriten? Wagner: „Wenn es so weit ist, hat ein Kunstwerk die Wahrnehmung des Betrachters verändert. Wie viele Dinge schaffen das schon?“

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