Medienrecht
Lobeshymne für Regensburgs Moralapostel

Der Almanach ist so etwas wie die Chronik der Stadt. Ein Beitrag sorgt bei der Planung der Neuauflage für einen Beigeschmack.

14.04.2021 | Stand 16.09.2023, 3:27 Uhr
Blogger Stefan Aigner kurz vor einer Verhandlung am Landgericht, in der es um eine Klage des Bauträgers Volker Tretzel ging. −Foto: altrofoto.de

Der Regensburger Almanach erscheint seit 1968, bietet Autoren eine Bühne, die sich um die Stadt verdient gemacht haben. Die Autorensuche für den nächsten Band läuft bereits. Doch die wird heuer erschwert durch einen Beitrag, der im letzten Almanach bei vielen Regensburgern für Kopfschütteln gesorgt hatte: Er thematisiert – und damit völlig unpassend zum Jahresthema „Corona“ – einen Internet-Aktivisten. Der Text belegt, wie unterschiedlich ein Blogger mit der eigenen Moral und der Wahrheit umgeht.

Wie sich jetzt herausstellt, soll seine Lebensgefährtin das Porträt geschrieben haben – und das angeblich unter falschem Namen. Wie das Werk in die Chronik kam, verwundert viele. Auch Sponsoren des Almanachs distanzieren sich.

Zuletzt thematisierte der Band „Das Jahr, das anders war“. Die zahlreichen Autoren beleuchteten das politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und religiöse Leben in der Pandemie. Ein Text, der an einen Werbe-Beitrag erinnert, fiel allerdings im Jahresband 2020 völlig aus dem Rahmen: „Auf (Hand-)Tuchfühlung mit Stefan Aigner“ ist dieser überschrieben. Inhalt ist ein Porträt über einen Mann, der mit „Regensburg-Digital“ einen Blog betreibt. Aigner verkauft sich in der Stadtgesellschaft gerne als Moralapostel.

Ausgerechnet Aigners Lebensgefährtin soll die Autorin des Beitrags sein. Es ist ein Text voller Anbiederungen, aber auch Unwahrheiten. Allein das ist ein starkes Stück. Doch es kommt noch besser: Verena Hönicke vom Battenberg-Gietl-Verlag in Regenstauf sagt, dass die Autorin Barbara Tannmeier gar nicht so heißt. Sie sei unter einem Pseudonym aufgetreten.

Autorin wollte anonym bleiben

„Das war der Autorin auch sehr wichtig, dass ihr echter Name nicht genannt wird“, so Hönicke im Gespräch mit der Mittelbayerischen. Die Hintergründe kenne man im Verlag nicht. „Das liegt allein in der Hand vom Herausgeber, der die Autoren auswählt.“ Man habe weder überprüft, wer die Autorin ist, noch den Inhalt gecheckt. Dass die angebliche Lebensgefährtin des Porträtierten unter Pseudonym einen Artikel über dessen finanziell und politisch fragwürdiges Projekt geschrieben haben soll, das finde man „nicht bedenklich“.

Almanach-Herausgeber Peter Morsbach sagt, dass er die Daten der Autorin nicht herausgeben möchte. „Die Autorin hat sich als Lebensgefährtin von Stefan Aigner vorgestellt und einen Beitrag angeboten.“ Es handle sich bei Aigner um eine „Person des öffentlichen Lebens, wenn auch um eine sehr umstrittene“, sagte Morsbach. Ob er es ungewöhnlich findet, dass die angebliche Lebensgefährtin über den Blogger schreibt? „Ungewöhnlich schon. Aber ich wollte das nicht zensieren.“ Obwohl das nicht zum Jahresthema des Almanachs passt. Dafür finden sich in dem Beitrag von Aigners angeblicher Lebensgefährtin über Aigner wertschätzende Beschreibungen von dessen Recherchen während gemeinsamer Besuche im Schwimmbad: Es gehöre zwar nicht zum guten Ton, Telefonate anderer mit anzuhören, „aber wenn man sich morgens die fast leere Wiese im Regensburger Wöhrdbad teilt, schafft man es kaum wegzuhören“. Eine intime Kenntnis, die die Autorin eher als distanzlose Bewunderin des Bloggers denn als kritische Journalistin ausweist. Der Beitrag im Almanach handelt von einem finanziell erfolglosen Blogger, der vorgibt, in Regensburg eine Art moralische Instanz zu sein. „Ich habe mich sehr darüber gewundert, dass ein solcher Beitrag in dem Band ist“, sagt beispielsweise Michael Eibl, Leiter der Katholischen Jugendfürsorge, der ebenfalls einen Text im Almanach geschrieben hat.

Wer sich gegen Aigner juristisch wehrt, muss damit rechnen, dass der seine Klientel mobilisiert, die für seine Prozesse Spenden sammelt. So zuletzt bei einer Auseinandersetzung mit Bauträger Volker Tretzel. Er klagte vor dem Landgericht gegen einige Äußerungen auf dem Blog. Bei vier von 13 Äußerungen hatte der Blog vor Gericht das Nachsehen. Tretzels Rechtsanwalt Thomas Körner sagt: „Es fällt auf, dass Regensburg-Digital in Sachen Meinungsfreiheit mit zweierlei Maß agiert: Auf der einen Seite werden missliebige Beiträge in der eigenen Kommentarspalte ohne nähere Begründung gelöscht, auf der anderen Seite prangert Regensburg-Digital es öffentlich an, wenn sich Betroffene mit rechtlichen Mitteln gegen Unwahrheiten wehren.“

Namhafte Unternehmen und Organisationen wie Infineon, die Rewag, die AOK und die OTH schalteten im Almanach, in dem der Beitrag von Aigners angeblicher Lebensgefährtin über dessen finanziell desaströsen Blog verbreitet wird, bezahlte Werbung. Auch die Kirche war mit dem Domschatz-Museum mit einer Annonce vertreten. „Ich finde, das ist schon eine merkwürdige Form des Journalismus, sich in einem solchen offenbar bestellten Beitrag beschreiben zu lassen“, sagt Clemens Neck, Sprecher des Bistums Regensburg.

Und auch bei der Rewag ist man verwundert über den Beitrag. „Sollte die Verbindung zwischen Autorin und im Artikel beschriebenen Protagonisten zutreffend sein, so steht die Glaubwürdigkeit des Artikels selbstverständlich in Frage. Eine komplett objektive Beschreibung wäre auf der Grundlage einer partnerschaftlichen Beziehung wohl nur schwer darstellbar“, sagt Rewag-Sprecher Martin Gottschalk. „Das ist aus unserer Sicht bedauerlich, da der Regensburger Almanach ein seit vielen Jahren etabliertes und beliebtes Werk ist, dessen Erfolg auch auf seiner Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit basiert.“

Wie der Beitrag in den Almanach kam, kann nur Herausgeber Peter Morsbach beantworten. „Der wurde bereits im Jahr zuvor eingereicht“, sagt Morsbach in einem Telefonat mit der MZ. Da hatte er aber keinen Platz mehr dafür. Morsbach wusste nach eigenen Angaben, dass Autorin Tannmeier die Lebensgefährtin Aigners sei. Hellhörig hätte ihn deshalb der Autoren-Steckbrief im Almanach über Frau Tannmeier machen müssen: „Heute freiberuflich für internationale Fachmedien und als Ghostwriterin im Sachbuch-Segment tätig.“ Ob der Beitrag tatsächlich aus ihrer Feder stammt, bleibt unklar.

Im Almanach-Beitrag über den Blogger wird die wirtschaftliche Erfolglosigkeit seiner Internet-Seite thematisiert. „Zunächst habe ich kein Geld verdient, erst als der Förderverein ins Leben gerufen wurde, habe ich ein paar Cents verdient“, zitiert Aigners angebliche Lebensgefährtin den Lebenskünstler. Auch als er Wirt wurde, sei das „keine finanzielle Entlastung“ gewesen. Und doch weiß die Autorin zu berichten: „Entgegen einiger Spekulationen hat Aigner jedoch nie Insolvenz angemeldet.“

Aigner übernahm 2008 die Internet-Seite von seinem früheren Arbeitgeber. Die Seite war nämlich vom Wochenblatt-Verlag gegründet worden. Nachdem klar war, dass sich weder das Betreiben der Seite lohnt, „noch Aigner über die nötige journalistische Kompetenz verfügte“, soll man ihm laut einem Insider die Homepage geschenkt haben. Die Autorin stellt dies im Almanach anders dar. Demnach habe dem Wochenblatt-Verlag, der die Seite gegründet hatte, ein „tragbares Konzept“ gefehlt. Festzustellen bleibt: Diese Form des Journalismus war nicht finanzierbar. In dem Almanach-Beitrag wird der Beleg dafür geliefert, dass sich das bis heute nicht geändert hat.

Kanzleien werden empfohlen

Wer steckt alles hinter dem Blog? Seit 2009 ist Rechtsanwalt Fabian Riechers Vorstand des Vereins. Nach Angaben des Amtsgerichts hat sich im Vereinsregister seit 2012 nichts mehr verändert. Riechers ist Arbeitsrechtler, die Gewerkschaft Verdi wirbt auf ihrer Internet-Seite für dessen Tätigkeit als Anwalt. Riechers selbst beteuert, dass seine Kanzlei lediglich empfohlen wurde von Verdi. Ein Link von der Kanzlei-Webseite auf den Blog macht aber schnell deutlich, wie eng die Vernetzung ist. Auch die Gewerkschaft selbst wirbt auf der Webseite des Blogs. „Ich sehe keinen Interessenskonflikt zwischen meiner beruflichen Tätigkeit und meinem ehrenamtlichen Engagement als Vorsitzender des „Vereins zur Förderung der Meinungs- und Informationsvielfalt“, antwortete der Rechtsanwalt bereits in der Vergangenheit auf eine Anfrage. Er habe keinen Einfluss auf die Berichterstattung.

Das behauptet auch Pascal Attenkofer, Gewerkschaftssekretär von Verdi. Attenkofer sagt, man nehme keinen Einfluss auf den Blog. Dennoch bleibt eine Frage offen: Wie kommen Aigners Anwalt Nils Pütz und der Vorsitzende des Vereins, Fabian Riechers, sowie dessen Kanzlei auf eine Rechtshilfe-Seite der Gewerkschaft im Internet, wenn es keine Verbindungen gibt?

Die Mittelbayerische hätte gerne Antworten auf viele offene Fragen gehabt. Doch sowohl Aigner, wie auch Barbara Tannmeier und Anwalt Riechers antworteten auf Fragen, die ihnen die MZ per Mail und Fax geschickt hatte, bis Redaktionsschluss nicht. Der sonst so auf Transparenz setzende Aigner schweigt.

(Anm. d. Red.: In einer ursprünglichen Version des Artikels hieß es, Domplatz 5 sei mit einer Annonce im Almanach vertreten. Richtig ist, dass es sich um das Domschatz-Museum gegenüber handelte. Wir bitten, dies zu entschuldigen.)