Wahlen
ÖDP-Chefin lotet an Regensburger Basis harte Verzichtsbotschaften aus

19.10.2022 | Stand 15.09.2023, 3:18 Uhr
Agnes Becker startet 2023 mit der ÖDP einen neuen Anlauf: „Ich will rein in diesen Landtag.“ −Foto: Schröpf

Am Nachmittag hatte sie auf der Streuobstwiese ihres Bauernhofs an der niederbayerisch-österreichischen Grenze noch Äpfel und Birnen geerntet, am Abend serviert die bayerische ÖDP-Chefin in Regensburg der Parteibasis dann harte Kost:



Sie testet den potenziellen Slogan für die Landtagswahl 2023 aus: „Freiheit vom Zuviel – Verzicht ist unsere Rettung“, lautet der Arbeitstitel, der schon PR-Profis die Stirn runzeln ließ.

Das Wort „Verzicht“ spaltet am Dienstag auch die rund 80 Zuhörer. Im Publikum macht sich Sorge breit, dass die ÖDP damit erneut den Sprung ins Maximilianeum verpasst. 2018 hatte es bei 212000 Gesamtstimmen nur für 1,6 Prozent gereicht. Dabei liefert die Partei eigentlich im Paket, was als politische Koalition bei Wählern immer Mal wieder hoch im Kurs steht: Sie ist Grün und gleichzeitig konservativ.

Die entscheidende Frage ist: Wie lässt sich Wahlergebnis 2023 mehr als verdreifachen? Funktionieren Botschaften zum Verzicht nach einem Energiekrise-Winter, in dem Verzicht notgedrungen fest eingepreist gewesen ist? Darauf eine gute Antwort zu finden, ist Beckers Job. Seit dem Frühjahr steht sie mit CoChef Tobias Ruff an der Spitze. Das Konzept der 42-Jährigen lautet: Dinge so klar zu benennen, wie sie sind. Das sei Gründungsgedanke und Alleinstellungsmerkmal der ÖDP. „Wir schrecken nicht vor der Aussage zurück, dass die Konsumparty zu Ende gehen muss.“ Es gebe kein Menschenrecht auf vier Urlaubsflüge pro Jahr oder hochmotorige Autos. Ungebremstes Wachstum in reichen Ländern gehe zu Lasten der Armen. „800 Millionen Menschen sind heute nicht satt geworden.“ Die westliche Lebensweise sei genauso sehr ökologisch ein Irrweg. „Das hält unser Planet nicht aus.“

. Beckers einstündigem Vortrag schließt sich eine gleich lange Diskussion an. Das Publikum ist mit ihr in der Sache zwar völlig einig – doch einige würden das Wort Verzicht lieber positiv umschreiben. Einer formuliert es drastisch. Die ÖDP werde sonst höchstens gewählt, „wenn die Grünen noch mehr Bockmist machen“.

Der Regensburger Stadtrat Joachim „Jockel" Graf, der mit „Don" Alfred Strohmeier zu den ÖDP-Gründungsmitgliedern zählt, die beim Becker-Besuch für 40 Jahre geehrt werden, plädiert beim Konsumverzicht für das Wort „Loslassen", das für ihn Freiheit atmet. Es ist ein Ringen um den richtigen Weg – nicht um das Ziel. Becker stellt klar. „Ich will rein in diesen Landtag.“ Dafür genügten fünf Prozent, die ÖDP müsse nicht 50 Prozent überzeugen.

Wie kampagnenfähig Becker ist, muss sie in ihrer Partei nicht unter Beweis stellen. Der Erfolg des Bienenvolksbegehrens 2019 hat ihr den Spitznamen „Bienenkönigin“ eingebracht. Sie lässt in dieser Sache bis heute nicht locker. Die 5000 Euro, die sie soeben mit dem Deutschen Bio-Diversitätspreis erhalten hat, will sie verwenden, um der bayerischen Regierung per Monitoring bei der Umsetzung des Volksbegehrens auf die Finger zu schauen.

Erfolgreiche Volksbegehren sind Spezialgebiet der ÖDP. 1998 wurde federführend der bayerische Senat abgeschafft, 2010 der Nichtraucherschutz durchgedrückt, vor drei Jahren der Bienenschutz. „Wir sind in Bayern die einzige Partei, die Gesetze gegen den Willen der CSU durchgebracht hat.“

Nicht mit von der Partie ist man beim gerade von der FDP geplanten Volksbegehren zur Verkleinerung des Landtags. Becker verweist auf eine Petition, die die ÖDP schon vorab gestartet hatte und für die noch bis 31.Oktober Unterschriften gesammelt werden. „Bei den Bienen war es einfacher. Aber es läuft“, ist ihr Zwischenfazit. Die Petition soll noch heuer an den Landtag übergeben werden, um die CSU unter Druck zu setzen. Becker schwebt vor, die Zahl der Landtagsstimmkreise auf Bundestagslevel zu senken und bei den Listenmandate etwas aufzustocken. 150 bis maximal 180 Abgeordnete wären richtig – momentan sind es wegen Überhang- und Ausgleichsmandaten 205. „Das wäre sicher auch dann kein arbeitsunfähiger Landtag.“