Rocker-Prozess
Ranghoher Rocker packt aus

Mit einer Schussweste tritt Ex-Bandidos-Chef Ralf K. vor das Landgericht Regensburg – und nennt die Namen der Angeklagten.

16.08.2015 | Stand 16.09.2023, 7:01 Uhr
NPD-Politiker Sascha Roßmüller (l.) muss sich in Regensburg vor dem Landgericht verantworten. −Foto: altrofoto.de

Niemand spricht mit der Justiz – das gilt als Gebot unter Rockern, unter denen, die sich „Outlaws“ oder „One-Percenter“ nennen. Doch gerade am heutigen Montag soll ein ranghoher Kuttenbruder vor dem Landgericht Regensburg auspacken: Ralf K., ehemaliger Präsident des Bandidos-Chapters Regensburg. K. ist der Kronzeuge von Staatsanwalt Klaus Dieter Fiedler. Und der Mann, von dem Rechtsanwalt Helmut Mörtl glaubt, ein Polizeispitzel zu sein.Schon zum Prozessauftakt am Donnerstag forderte er, weitere Ermittlungsakten über K. beizuziehen, um diesen Verdacht zu bestätigen.

Und auch am Montag hat Mörtl wieder einen Beweisantrag vorbereitet: Er fordert, eine Wirtin aus Straubing zu ermitteln, die vor Gericht bestätigen soll, dass ihr ein Kripobeamter Unterlagen über seinen Mandanten Stephan H. gezeigt und geäußert habe, den Bandido H. besser nicht mehr in ihr Lokal zu lassen. Der Kripobeamte sagte am ersten Tag aus – und wollte sich daran nicht erinnern können. Das ist deshalb relevant, um den Verdacht zu entkräften, H. sei vor der „Blutnacht von Straubing“ im Jahr 2010 von Gremium-Rockern bedroht worden. Die Polizei soll das als Grund für den Angriff gesehen haben. Für Mörtl ist klar: Die Polizei hat nicht ergebnisoffen ermittelt. Laut Mörtl waren Besuche der Bandidos in Straubing üblich. Als es zur Schlägerei kam, seien doppelt so viele Gremium-Rocker als Bandidos vor Ort gewesen. Mörtl: „So sieht ein gezielter Angriff nicht aus.“ Dann wären die Bandidos aus Regensburg auch besser ausgerüstet gewesen.

Polizist zu Ermittlungen gegen den Ex-Bandido-Chef

Dann ist der erste Zeuge am Montag dran: Ein Polizist aus der Ermittlungsgruppe „Deko“. Die Polizei ermittelte damals, weil immer mehr umgebaute „Deko-Waffen“ im Umlauf waren. Während der Ermittlungen undnach der Lebensbeichte eines Waffennarrsstellte sich heraus, dass solche Waffen auch an die Regensburger Bandidos und den MC Trust geliefert worden seien. Die habe man auch bei Hausdurchsuchungen neben einigen Drogen gefunden. Weiter fand man heraus, dass der damalige Bandidos-Chef Ralf K. in Drogengeschäfte (Marihuana, Crystal Speed) und in den Handel mit geklauten Baggern verwickelt war.

K. sei durch den Staatsanwalt „eine wohlwollende Prüfung“ seines Falles angeboten worden; von konkreten Absprachen wisse der Zeuge nichts. Aber er könne ausschließen, dass K. damals V-Mann war. Durch Nachfragen der Verteidiger stellt sich heraus: Durch die Aussagen K.s wurden bis März 2015 insgesamt 268 Verfahren eingeleitet– vor allem Drogen-, Körperverletzungs- und Waffendelikte. Mindestens an der Hälfte sei K. selbst beteiligt gewesen, die Hälfte aber sei schon verjährt. Ob K. noch in Haft ist, weiß der Polizist nicht. K. sei aber zu vier Jahren verurteilt worden, und die seien noch nicht um.

Erklärung der Staatsanwaltschaft

Richter Georg Kimmerl verliest nach der Aussage des Polizisten eine Erklärung der Staatsanwaltschaft Regensburg, in der noch mal klargestellt wird, dass K. und ein weiterer Belastungszeuge in diesem Verfahren keine „Vertrauenspersonen“ waren. Über weitere Verfahren hinaus wird keine Auskunft erteilt; das unterliege einer „Geheimhaltungszusage“. Danach lehnt die Kammer sämtliche Anträge zur Beiziehung von Ermittlungsakten über K. ab.

Verteidiger Patrick Schladt beantragt, den damaligen Staatsanwalt, der dem Kronzeugen K. eine „wohlwollende Prüfung“ seines Falles anbot, zuerst zu befragen. Nur so sei eine qualifizierte Befragung möglich, führt Verteidiger Mörtl aus. Man müsse mehr über K.s Vernehmungssituation wissen und welche Zugeständnisse ihm möglicherweise gemacht wurden.

Aus Sicht der Kammer sei das nicht notwendig. Richter Kimmerl hält an der Befragung des Kronzeugen fest.

Um 11.13 Uhr ist es soweit: Ralf K. kommt mit Mütze. Zeugenschutz. Ein groß gewachsener Mann mit Basecap und Brille betritt den Saal. Unter seinem roten Karohemd erkennt man die Umrisse der Schussweste. Der 48-Jährige sitzt noch ein; wo, das fällt abermals unter den Zeugenschutz. Und dann packt er aus; nennt die Namen der Angeklagten ohne zu zögern, wie die Clubs ihre Ämter vergeben, sich rekrutieren oder dass das Regensburger Chapter etwa 20 Mitglieder hatte.

Ralf K. nennt Einzelheiten zur Tat

Die Tat, um die es hier geht, kenne er aber nur aus Erzählungen, sagt Ralf K. Er selbst sei damals in Österreich bei einem befreundeten Rockerclub gewesen. Dann beschreibt er die Tat, wie sie in der Anklageschrift steht. Und in einer weiteren Version, die einen wichtigen Unterschied hat: Der Übergriff sei nicht geplant gewesen; die Bandidos hätten sich nur verteidigt. So hätten es ihm seine Badidos geschildert. Das könnte den Vorwurf des gemeinschaftlichen Landfriedensbruchs entkräften. K erklärt, es habe einen Nichtangriffspakt zwischen den Bandidos und Gremium gegeben. Seine damaligen Brüder hätten Gremium höchstens provozieren dürfen; abgesprochen war aber, zu warten, bis der konkurrierende Club angreift.

Sein „Sergeant at Arms“ Klaus-Peter S. soll sich damals bei ihm noch über Sascha Roßmüller beschwert haben, weil der plötzlich verschwunden war, als ein Bruder während des Kampfs so schwer verletzt war, dass er zu verbluten drohte. Die beteiligten Bandidos hätten sich damit ihm gegenüber damit gebrüstet, dass die Gremium-Leute „nicht viel draufgehabt“ hätten – allen voran der Wirt der Kneipe. Der sei auch schlimm zugerichtet worden und habe einen Schnitt unter dem Auge davongetragen. Ralf K.: „Aber wenn man bei einer Feier drüber redet, wird immer viel dazu gedichtet. Am Ende hat dann der halbe Kopf gefehlt.“

Ein Gremium-Mann berichtete hätte ihm dann in der JVA Straubing später von einer anderen Version: Demnach hätten die Bandidos sich gegenüber der Kneipe Blackout versammelt, auf Befehl von Klaus-Peter S. seien die Rocker losgestürmt – mit Pfefferspray voraus. Vorbei sei der Kampf gewesen, als ein Gremium-Rocker mit einer Pistole in Boden und in die Luft geschossen hätte und ein Bandido schwer verletzt war.

Ralf K. glaubt, dass Klaus-Peter S. dazu von Roßmüller aufgehetzt wurde – S. sei als ranghöchster Bandido damals sehr loyal gewesen. Anders konnte er sich nicht erklären, wie es zu dem Vorfall kam. Ferner mussten sich die Bandidos aus Regensburg für die Tat beim Vize-Europachef des Rockerclubs rechtfertigen. Michael M. und Stephan H. sei dann auch die Auszeichung „Expect no mercy“ – Erwarte keine Gnade – verliehen worden. Ein Abzeichen, das man nur bekommt, wenn Blut fließt, so K. vor Gericht. Ein anderer Bandido wurde dagegen auf die unterste Stufe degradiert, weil er „nichts gemacht hat und nur rumstand“. Man fürchtete, er würde „bei der Polizei umfallen“ (also aussagen). Im Clubhaus habe man nicht über solche Dinge gesprochen, weil man davon ausging, es sei ohnehin alles verwanzt.

Als K. 2013 ins Gefängnis einwanderte und seine Frau bedroht wurde, habe er beschlossen beim Staatsanwalt auszupacken und in den Zeugenschutz zu gehen. Auch K. sagt, dass ihm eine „wohlwollende Prüfung“ in Aussicht gestellt wurde. Der 48-Jährige bestätigte, im November 2013 mit der VP-Dienststelle (Vertrauensperson) Kontakt gehabt zu haben. Er sei dann aber ohnehin ins Zeugenschutzprogramm gegangen. Und V-Mann und Kornzeuge könne man nicht gleichzeitig sein.

900 Seiten langes „Lebensgeständnis“

Nach der Pause wird eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft verlesen. Danach ist klar: Kronzeuge Ralf K. hat für seine Aussage einen Deal bekommen – und eine Freiheitsstrafe von vier Jahren erhalten. Dann geht es für den Kronzeugen ins Kreuzverhör: Hier betont K. nochmals, dass er das alles nur seiner Frau zuliebe getan habe, die durch einen anderen Rockerclub bedroht worden sei – und er nur ins Zeugenschutzprogramm gehe, wenn sie ebenfalls geschützt wird. Mehr sei ihm zu dieser Zeit nicht wichtig gewesen. Er wollte in der Folge mit dieser Sache abschließen; und daher habe er ein über 900 Seiten langes „Lebensgeständnis“ abgelegt.

Verteidiger Helmut Mörtl bohrt hartnäckig nach: Er will wissen, was dem Kronzeugen alles für den Deal erlassen wurde. Ralf K. räumt ein, dass auch Verfahren gegen ihn eingeleitet wurden, bei denen es um den Handel mit harten Drogen in beträchtlicher Menge (zum Beispiel 500 Gramm Crystal Speed, fünf bis sechs Kilo Amphetamin) ging. Ob diese Verfahren eingestellt sind, weiß K. nicht. Auch K.s Rechtsbeistand, Rechtsanwalt Hubertus Werner, gibt sich ratlos und blockt die Fragen ab. Mörtl erzürnt das hörbar – und will das weder K. noch seinem Beistand abkaufen: Für solche Mengen bekomme man an anderen Gerichten, zum Beispiel am Landgericht Weiden, acht bis neun Jahre Haft. Immer wieder wird die Sitzung in der Folge unterbrochen. Die Befragung zieht sich über Stunden.

Ein Protokoll des ersten Verhandlungstages finden Siehier. Weitere Gerichtsberichte aus der Oberpfalz finden Siehier.