Musik
Regensburgs Rock-Dino ist putzmunter

Günther Radny ist das bekannteste Gesicht der Szene. Er hat viel erlebt und noch viel vor – heute wird er 70 Jahre alt.

15.03.2019 | Stand 16.09.2023, 5:49 Uhr
Norbert Lösch

Auf der Bühne stehen und das Publikum zum Mitmachen animieren – das ist seit einem halben Jahrhundert das Lebenselixier des Rock ’n’ Rollers Günther V. Radny. Foto: Ingo Latteyer

Das Lebensmotto von Günther Viktor Radny ist nahezu deckungsgleich mit dem Titel eines Live-Albums der britischen Band Jethro Tull aus dem Jahr 1993: „Never Too Old To Rock ’n’ Roll“. Putzmunter und voller Tatendrang geht das bekannteste Gesicht der Regensburger Rock-Szene in sein achtes Lebensjahrzehnt. Ja, es klingt unglaublich, ist aber wahr: Heute wird Radny, Bassist der Kultband The Mystic Eyes und der wiederauferstandenen Hardrock-Truppe MASS, 70 Jahre alt. „Ich bin gespannt, was in den nächsten Jahren passiert“, sagt der Musiker und lässt keinen Zweifel daran, dass er noch lange mit seinem Fender Precision Bass Bühnen im In- und Ausland entern will.

„Dass ich ein ,Damischer’ bin, weiß jeder, der mich kennt.“ Radny beschreibt mit dem bayerischen Idiom natürlich nicht seinen Geisteszustand, sondern seine Verrücktheit, was die enge Verbindung zum Rock ’n’ Roll schon seit seiner Jugend angeht. Ein Leben ohne den pumpenden Bass, ohne ebenso enthusiastische Mitstreiter und ohne ein wogendes Publikum vor der Bühne kann und will sich der überzeugte Fan der Rolling Stones nicht vorstellen. Mick Jagger, Keith Richards und Co. hat Radny schon Mitte der 60er-Jahre in Berlin erlebt, als sie noch mit einer wenigen hundert Watt „starken“ Anlage auf der Waldbühne standen. Spätestens da war es um den Schlaks aus Regensburg geschehen.

Weg aus dem Mief Regensburgs

Die damals miefige Bischofsstadt war Radny schnell zu eng geworden. „Das war ja noch die Zeit, als sie dich als Gammler beschimpften und dir die Haare schneiden wollten“, erinnert er sich an eine spießige Stadtgesellschaft, „die uns Junge mit unserer Affinität für Rockmusik mitunter wie Aussätzige behandelte“. Das ließ er sich nicht lange gefallen: „Am letzten Tag meiner Berufsausbildung“ – er hatte Großhandelskaufmann gelernt – „hab’ ich gekündigt“. Bald darauf tauchte der damals 17-Jährige in das Großstadtleben Berlins ein. Er sei einfach „von dannen“ gegangen, sagt er heute.

Der gebürtige Regensburger („In unserer Wohnung in der Weißen Hahnengasse hab’ ich als Kind oft den Rauch aus dem Kamin der Wurstkuchl gerochen“) hat abendfüllende Anekdoten zu erzählen. Zum Beispiel die, wie er die Papiere für seinen illegalen Aufenthalt als Minderjähriger in Berlin türkte: „Ich hab’ auf meinem Ausweis und auf der Lohnsteuerkarte mein Geburtsdatum mit Tinte aus einem kleinen Fassl unkenntlich gemacht.“ Der Jungspund aus der bayerischen Provinz brauchte Tricks, Durchsetzungsvermögen und Fantasie, um in der Großstadt sein einziges Ziel zu erreichen: Musik machen. Der Einstieg gelang, der Lebensweg war vorgezeichnet.

Hier gibt es ein Porträt über Günther Radny aus dem Jahr 2011:

Die 60er waren zunächst vom Beat geprägt. So auch Radny, dessen erste professionelle Band bezeichnenderweise The Beathovens hieß. „Dort hab’ ich zuerst Orgel gespielt, bin aber schnell auf den Bass umgestiegen, was bis heute so geblieben ist.“ Mit 19 war er zurück in Regensburg und entschied sich – abgesehen von gelegentlichen Jobs zum puren Überleben – erneut klar für die Musik. Mit der 2010 gestorbenen Abensberger Rocklegende Michael Thaler gründete er The Mystic Eyes. Die Band verschrieb sich der Interpretation von Hits der damals angesagten Bands, allen voran der Rolling Stones und der Spencer Davis Group. Die Band gibt es nach diversen Umbesetzungen und einer langen Pause zwischen 1969 und 1997 bis heute.

Die Beat-Ära wurde vom harten Rock abgelöst, für die Bands wie Led Zeppelin, Deep Purple oder Black Sabbath standen. Günther Radny sprang auf den Zug auf und gründete 1970 Black Mass, eine wilde Hardrock-Truppe. 1973 in MASS umbenannt, veröffentlichte die international besetzte und für das Vorprogramm von Headlinern wie Thin Lizzy oder Golden Earring gebuchte Band acht Alben, 200000 Stück gingen über die Ladentische. „MASS ist und bleibt für mich die Band, die mich über den Tellerrand gehoben hat“, blickt Radny zurück.

Allerdings schwingt auch Wehmut darüber mit, dass andere Bandmitglieder ihr Leben mit viel Drogen und Alkohol ruinierten – und Regensburg letztlich „der falsche Ort“ war, um von hier aus eine wirkliche Karriere zu starten. Sei’s drum: MASS sind seit 2017 zurück, spielten live mittlerweile auf etlichen Festivals und kommen bei Publikum und Kritikern gut an. So gut, dass es demnächst eine neue Scheibe der Regensburger Hardrocker geben wird.

Aktuelle Band ist „spätes Glück“

„Es für mich wie spätes Glück, jetzt die richtigen Musiker für die Wiedergeburt dieser Band zu haben“, sagt Radny. Seine Freunde und Bandkollegen sind – wie übrigens auch bei The Mystic Eyes – Hannes Heid (Gitarre), Matthias Pfaller (Gesang), Andi Gmeinwieser (Schlagzeug) und Clemens Matejka (Keyboards). 2019 dürfte ein spannendes Jahr für die Truppe werden, die unter anderem für ein großes Rockfestival in Schweden fest gebucht ist.

Hier sind die „neuen“ MAAS in einem Live-Video zu sehen:

„Ich bin fit und freu’ mich auf die Zeit mit 70 und danach“, frohlockt der Rock ’n’ Roller mit der heute weißen und etwas schütteren Mähne. Er verrät, dass er den runden Geburtstag gar nicht groß feiern wird. Bis zu einem Unfall vor fünf Jahren hat der Jahn-Fan noch aktiv Fußball gespielt, mittlerweile bringt er seinem Neffen Florian und dessen Kumpels von der E1-Jugend bei der Turnerschaft das Kicken bei. „Das macht mir richtig Spaß“, lässt der Bassist durchblicken, dass Musik dann doch nicht alles ist. Und weil er davon sowieso nicht leben könnte, ist er seit 40 Jahren auf Märkten als Antiquitätenhändler unterwegs. Im Angebot hat er da natürlich noch weit ältere Stücke als Baujahr 1949.