Ernährung
Restlos überzeugte Lebensmittelretter

Eine Gruppe stellt sich der Wegwerfkultur entgegen, klappert Regensburger Geschäfte ab und teilt Nahrungsmittel auf Facebook.

01.01.2015 | Stand 16.09.2023, 7:07 Uhr
Veronika Lasota und Nicole Titze (r.) sind fast täglich im Einsatz gegen die Verschwendung. −Foto: mt

Es ist bereits stockdunkel als sie sich mit ihren Fahrrädern auf den Weg machen. Seit zwei Stunden ist Ladenschluss. Die Studenten tragen Stirnlampen und Gummihandschuhe. Für ihre Beute haben sie Leinentaschen dabei. Bevor sie sich dem Lebensmittel-Discounter nähern, schalten sie alle Lichter aus. Dann schleichen sie zu den Mülltonnen und legen los. Sorgfältig arbeiten sie sich durch die fünf Container – und machen dabei fette Beute: Bananen, Mandarinen, Schokolade, Kaffee und Toastbrot. Alles ist bereits abgelaufen, aber nichts davon ist schlecht.

Immer mehr Menschen stellen sich auf verschiedenste Weise der Wegwerf-Kultur entgegen. Die „Tonnentaucher“ sind dabei wohl am radikalsten unterwegs. Denn das sogenannte Containern, das Durchsuchen von Discounter-Mülleimern nach verwertbaren Lebensmitteln, liegt in einer rechtlichen Grauzone. Auch Veronika Lasota und Nicole Titze haben schon ihre Erfahrungen mit der Container-Lese gemacht – diese Zeiten sind aber längst passé. Im Gegensatz zu der riskanten Methode der „Tonnentaucher“ haben die beiden Regensburgerinnen nun einen besseren Weg gefunden, Lebensmittel vor dem Abfall zu retten: das Foodsharing. Einfach nach alten Lebensmitteln fragen – und zwar die Richtigen. Anschließend die überflüssigen Lebensmittel mit Hilfe von Internetforen tauschen und teilen.

Die Idee dazu entstand in Berlin. Dort schloss einer der „Tonnentaucher“ vor knapp zwei Jahren die erste offizielle Kooperation mit einer Bio-Supermarkt-Kette. Von da an durfte er die noch genießbaren Lebensmittel dann ganz legal vor der Tonne bewahren. Parallel dazu gründete eine Gruppe in Köln als unmittelbare Reaktion auf den Dokumentarfilm „Taste the Waste“die Online-Plattform foodsharing.de. Dort können seither überzählige Lebensmittel von Anbietern kostenlos eingestellt und von Interessenten abgeholt werden. Neben Privatleuten machen auch Firmen wie Bäckereien oder Supermärkte mit. Hintergrund ist dabei immer die Idee, bewusster mit Lebensmitteln umzugehen und weniger wegzuwerfen.

Die Idee wirkt ansteckend

In fast allen größeren Städten in Deutschland werden die Lebensmittel unterdessen eifrig über die Internetseite foodsharing.de, Facebook-Gruppen und sogenannte „Fairteiler“ weitergegeben – auch in Regensburg. Dort haben die Nahrungshüterin der Wechselwelt in der Steckgasse 6eine Anlaufstelle gefunden. Ein simples Regal, ein Kühlschrank und ein handgeschriebenes Plakat „Frisches gerettetes Gemüse gratis zum mitnehmen“ – mehr braucht es nicht zum Teilen.

Für Nachschub sorgen die Foodsaver täglich, indem sie mit Kisten oder Leinentaschen losziehen und lokale Händler abklappern, die bereit sind ihr nicht mehr so ansehnliches Obst und Gemüse weiterzugeben. „Wir bringen unsere eigenen Gefäße mit, schließlich wollen wir den Ladeninhabern keinen zusätzlichen Aufwand bereiten“, sagt Lasota.

Die Idee wirkt sehr ansteckend. „Produkte, die nicht mehr so schön sind, schenken wir gerne her“, sagt Erika Fenzel, Verkäuferin bei Gemüse und Obst Espach. „Vor allem, wenn freiwillige Helfer das so toll organisieren.“ Immer mehr Betriebe wie Allnatura, Feinkost Sarik oder Giovanni Supermercato beteiligen sich.Der Regensburger Facebook-Seite der Lebensmittelretter folgen bereits über 1000 Menschen.Verwaltet wird sie von Studentin Nicole Titze. Was nicht schmeckt oder nicht mehr schnell genug verwertet werden kann, geht dort online und wechselt so den Besitzer. „Es ist faszinierend, wie schnell die Leute zur Abholung da sind, sobald man etwas auf eine der Plattformen gestellt hat“, sagt Nicole Titze.

Vor zwei Jahren fing Veronika in München mit dem Lebensmittelretten an. Unterdessen lebt die Restauratorin in Regensburg und ist neben Stefan Hartinger eine der beiden Foodsharing-Botschafter für die Stadt. Sie organisiert Abholungen, spricht mit neuen Betrieben, die sich beteiligen wollen, kümmert sich um die „Fairteilung“ und lernt weitere Lebensmittelretter an.

Neue Interessenten werden zunächst zu einer Probeabholung mitgenommen. Wenn alles gut läuft, bekommen sie einen Foodsharing-Ausweis und können sofort selbst Abhol-Termine vereinbaren und loslegen. Eine Rechtsvereinbarung entbindet die Betriebe von jeglicher Haftung. Und die Retter unterschreiben dafür, dass sie auf eigene Gefahr handeln. Außerdem verpflichten sie sich dazu, die Produkte nicht weiterzuverkaufen.

Studenten, Arbeiter, Angestellte oder Akademiker: Offiziell gibt es in Regensburg rund 80 Retter. Den harten Kern schätzt Lasota auf etwa 25 Personen. Foodsharing sei ein Angebot für jeden, nicht nur für Bedürftige. „Wenn jemand einfach nur sparen will, ist das auch in Ordnung“, sagt Lasota. Es gehe nicht darum, etwas Wohltätiges zu tun. „Das ist vielleicht ein positiver Nebeneffekt. Eigentlich geht es uns aber nur darum, die Nahrungsmittel nicht wegzuwerfen.“ Insgesamt konnten die Regensburger Foodsaver schon 4432 Kilogramm vor dem Abfall bewahren, deutschlandweit wurden bereits 846 358 Kilogramm an Nahrungsmitteln weitergegeben.

Keine Konkurrenz zur Tafel

Wo die Tafeln das überschrittene Mindesthaltbarkeitsdatum abhält, schlagen die Lebensmittelretter zu. Sie sehen sich nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung. „Wenn das Datum abläuft, heißt das ja noch lange nicht, dass ein Produkt schlecht ist“, sagt Lasota. „Aber wir sind natürlich nicht die zweite Müllabfuhr. Wir nehmen nur mit, was noch verzehrfähig ist“. Auch in der Menge unterscheiden sich die Lebensmittelretter von den Tafeln. „Wir kommen auch wegen zwei Karotten“, sagt Lasota.

Oftmals fallen die Abholungen dennoch größer aus. Am Sonntag habe sich eine Pizzeria gemeldet, bei einer Veranstaltung hätten die Gäste fast das komplette Buffet stehengelassen. Lasota hängte sich sofort ans Telefon, packte das komplette Tupperware-Equipment der Lebensmittelretter zusammen und organisierte Helfer. „Eine ganze Wagenladung fertiges Essen“ konnten die Foodsaver so retten, „das sind Mengen, die man sich oft gar nicht mehr vorstellen kann“.

Jedes fünfte Brot, jeder zweite Kopfsalat, jede zweite Kartoffel: Ein Bundesbürger entsorgt im Jahr durchschnittlich 82 Kilogramm Lebensmittel in den Müll. „Es ist unmenschlich, was alles weggeworfen wird“, sagt Lasota. „Wenn man etwas nicht essen will, sollte man es einfach weitergeben, bevor es schlecht wird“.