Arbeitswelt
Retex-Mitarbeiter bangen um Jobs

Mindestlohn bringt die Regensburger Integrationsfirma in die Bredouille. Neue Verträge sehen keine Sozialleistungen mehr vor.

12.12.2014 | Stand 16.09.2023, 7:08 Uhr
Norbert Lösch
Das Fertigen von Kabeln für den Maschinenbau oder die Autoindustrie ist ein Auftrags-Segment bei Retex. Mitarbeiter wie Paul Regensburger befürchten, dass sich ihre Arbeitsbedingungen durch den Mindestlohn verschlechtern. −Foto: Retex

Paul Regensburger ist das, was man einen zufriedenen Arbeitnehmer nennt. Der 49-Jährige verdient zwar nur ganz wenig Geld, fühlt sich aber gebraucht und akzeptiert. „Ich mache die Arbeit gerne, sie füllt mich aus“, sagt der gelernte Maurer. Er ist seit Jahren Mini-Jobber bei Retex, jener von einem Verein getragenen Regensburger Integrationsfirma für Menschen mit psychischer Behinderung. Für die 14 Stunden pro Woche, in denen er per Zuverdienstvertrag seine Erwerbsunfähigkeitsrente aufbessert, bekommt er einen monatlichen Lohn von rund 320 Euro. Das entspricht einem Stundenlohn von 5,50 Euro. Nach dem Mindestlohngesetz stünden ihm und seinen 26 Kollegen deutlich mehr zu – und hier liegt der sprichwörtliche Hase im Pfeffer.

Arbeitsplätze in Gefahr?

Paul Regensburger will den Mindestlohn von 8,50 Euro nicht. Er hält ihn nämlich für jobgefährdend. „Bisher hatten wir einen Arbeitsvertrag mit Sozialleistungen, zum Beispiel sechs Wochen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und einen geregelten Anspruch auf Urlaubstage, für die der Lohn weiter bezahlt wird. Wir hatten also ein regelmäßiges, gleichbleibendes Einkommen. Für mich und viele meiner Kollegen ist dieser Zuverdienst-Arbeitsplatz genau das richtige, mehr können wir nicht leisten. Dieser spezielle Arbeitsplatz ist jetzt für uns in Gefahr – durch das Mindestlohngesetz“, schlägt der Frührentner Alarm.

Die Signale sind tatsächlich schlecht: Ab 2015 werden wegen der Einführung des Mindestlohns für die Retex-Mitarbeiter im Gewerbepark Urlaubsgeld, Krankengeld, Sonderzahlungen und bezahlte Feiertage wegfallen. Regensburger und seine Kollegen fürchten gar noch Schlimmeres: „Retex kann uns keinen höheren Lohn zahlen, da die Aufträge sonst nicht gehalten werden können.“ Spärlichere Aufträge und die Zuverdienstgrenze von 450 Euro für Mini-Jobber – das hat aus der Sicht der Retex-Mitarbeiter eine klare Konsequenz: „Entweder arbeiten wir weniger, oder es fallen Stellen ganz weg.“ Diese Perspektive finden die 27 „Zuverdienstler“ bei Retex ebenso schlecht wie die aus ihrer Sicht zu unflexible Haltung des Gesetzgebers. „Für solche Jobs, bei denen es weniger um das Lohnniveau als um eine sinnvolle Aufgabe für psychisch kranke Menschen geht, sollte es Ausnahmen geben, wie sie etwa für Langzeitarbeitslose oder Erntehelfer vorgesehen sind“, fordert neben Paul Regensburger auch sein Kollege Sven Hüwe.

„Das wird ein frommer Wunsch bleiben“, sagt Retex-Geschäftsführer Helmut Endl. Er glaubt allerdings nicht, dass Jobs wegen des Mindestlohns wegfallen. „Der Status der Mitarbeiter muss sich aber ändern – von einem normalen Arbeitsverhältnis zu einer arbeitnehmerähnlichen Beschäftigung nach dem Sozialgesetzbuch. Für diese gilt der Mindestlohn nämlich nicht“, sagt Endl.

Dabei geht es überhaupt nicht darum, Mitarbeitern den ihnen zustehenden Mindestlohn vorzuenthalten. Diese seien aufgrund ihrer Handicaps gar nicht in der Lage, eine Leistung zu erbringen, die einem „normalen“ Arbeitsverhältnis im Sinne des Mindestlohngesetzes entspricht, sagt Endl. Er bedauert, dass der Gesetzgeber diese Ausnahmesituation nicht regeln wollte: „Dieser Zug dürfte abgefahren sein, obwohl die Maßnahmenträger seit langem Sturm laufen gegen die Mindestlohn-Verpflichtung.“

Deshalb müssen jetzt alle Arbeitsverträge mit den „Zuverdienstlern“ bei Retex geändert werden. Endl: „Wir stehen unter großem Zeitdruck.“ Der Bezirk Oberpfalz, der solche Integrations-Arbeitsplätze unterstützt, hat jetzt die Förderrichtlinien für diesen Bereich geändert. „Während bisher das Geldverdienen und die Arbeit im Mittelpunkt der Zuverdienst-Verträge standen, sollen jetzt Komponenten wie die Betreuung psychisch Kranker und die Arbeitstherapie in den Vordergrund rücken“, beschreibt Helmut Endl die Neuerungen. Damit könne man den Status „arbeitnehmerähnlich“ begründen, den auch alle behinderten Beschäftigten in der Werkstatt von Retex in Burgweinting haben.

Auch der Werkhof ist betroffen

Das wiederum hat Folgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Mini-Jobs sind für die „Zuverdienstler“ so nicht mehr möglich, entsprechend entfallen auch die bisher gewährten Sozialleistungen. Andererseits gibt es auch keine fest vereinbarten Arbeitszeiten und keine Verpflichtung zur Leistungserbringung mehr. An der bisherigen Lohnstruktur will Retex aber zunächst festhalten. „Wir schauen uns das zusammen mit dem Bezirk mal ein halbes Jahr an“, sagt Endl. Und: „Vielleicht gelingt es ja auch, einige der Mitarbeiter in echte Mini-Jobs zu bringen“, sieht er die einzige Alternative, die dann wirklich zum Mindestlohn führen würde.

Auch der Werkhof Regensburg muss Verträge mit seinen Beschäftigten wegen des Mindestlohns in Teilbereichen ändern. „Wir sind ebenfalls eine Integrationsfirma mit Zuverdienstlern“, sagt Angelika Krüger, die Leiterin für den Bereich pädagogische Dienstleistungen. In Regensburg sind 13 Mitarbeiter betroffen; die anderen 110 Beschäftigten sind ohnehin Festangestellte, denen ab Januar mindestens der Mindestlohn gezahlt wird.