Tiere
Rettung aus einer Hundehölle

Die Polizei holte 150 Hunde aus einem Hof. Sie bestanden nur aus Angst. Im Tierheim Regensburg fassen sie langsam Vertrauen.

05.06.2019 | Stand 16.09.2023, 5:40 Uhr

Die Narben im Gesicht von Grisu (links) erzählen noch von seiner Vergangenheit im Königsmoos. Grisu und Hank achten immer auf ein Stück Distanz. Foto: Heinz Klein

Das Leben auf dem verlotterten Hof im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen war kein Hundeleben, es muss die Hölle gewesen sein. 154 erwachsene Hunde und dazu an die 60 dort geborene Welpen lebten auf dem total verwahrlosten und vermüllten Gelände, in Verschlägen, Hütten oder auch in dem Haus selbst – „unter kaum vorstellbaren hygienischen Zuständen“, beschrieb es die Augsburger Allgemeine. Auch Andrea Aumeier vom Regensburger Tierheim sah das Elend vor Ort. Polizei, Staatsanwaltschaft und Veterinäre hatten sich, nachdem ein Tierhandel nach Tschechien aufgeflogen war, Zutritt zu dem Gelände verschafft und riefen die Tierheime in Bayern um Unterstützung.

„Wir haben einfach vier gerade eingefangene Hunde in unsere Transportboxen bekommen“, erinnert sich die Leiterin des Hundehauses an die spektakuläre Aktion im November letzten Jahres. Und dann hieß es gleich weiterfahren und Platz machen für den nächsten Abholer. Insgesamt 21 Tierheime beteiligten sich an der Rettungsaktion.

So brachten die Mitarbeiter des Regensburger Tierheims vier halbverhungerte etwa fünf Jahre alte Labrador-Hunde mit. „Die waren nur Haut und Knochen, man sah jede einzelne Rippe“, erzählt Andrea Aumeier. Natürlich bekamen sie sofort Futter und einen Namen: Else, Hank, Grisu und Kim.

Hunde werden per Blasrohr geimpft

Natürlich sollten die vier Häufchen Elend jede Menge Streicheleinheiten bekommen, doch das ging nicht. Die Tiere bestanden nur aus Angst, mussten die Regensburger Tierschützer lernen. Sie hatten keinerlei Erfahrung mit Menschen. Ihr Leben fand in einer riesigen Hundemeute statt, in der das Recht des Stärkeren galt. Grisu sieht man das noch an seiner vernarbten Schnauze an. Diese Hunde waren unberührbar.

Nun machten sich hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter des Tierheims mit Engelsgeduld an die Arbeit. Da man sich den Hunden nicht nähern konnte, bekamen sie die nötigen Impfungen mit dem Blasrohr. Und Eindrücke von ihren „ersten Menschen“. Die setzten sich mit Büchern einfach zu Else, Grisu, Kim und Hank in die Zwinger, um da zu sein, und lasen den Hunden laut vor. Vielleicht sogar aus dem „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupéry. Darin fragte der kleine Prinz einen Fuchs, was „zähmen“ bedeutet. „Es bedeutet sich vertraut miteinander machen“, erklärte der Fuchs. „Wenn du mich zähmst, dann werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzigartig sein. Und ich werde für dich einzigartig sein in der ganzen Welt …“.

Hunde weichen zurück

Das Sich-vertraut-Machen geschah allerdings nur in winzigen Schritten. Inzwischen tragen die vier Hunde Halsbänder. Einige wenige Mitarbeiter können die Labrador Retriever berühren. Auf andere Menschen reagieren die Hunde bei Annäherung oder schnellen Bewegungen nicht mit Aggression, aber mit sofortigem Zurückweichen. „Die sind immer im Fluchtmodus“, sagt Andrea Aumeier. Die hauptamtliche Mitarbeiterin Grit Tresselt gehört zu den wenigen, die diesen Hunden nahekommen dürfen. Sie hat sich in vielen Stunden des Daseins im Zwinger mit ihnen vertraut gemacht.

Die Hunde kannten nichts anderes als das Anwesen und die vielen anderen Hunde: keinen Menschen, keine Straßen, keine Autos. Inzwischen kennen sie den umzäunten Auslauf des Tierheims und fühlen sich dort sicher. „Mit ihnen an der Leine außerhalb des Tierheims Gassigehen ist aber undenkbar“, sagt Andrea Aumeier.

So bringt die Hundetrainerin Sissy Kreid nun viele Geräusche aus einer anderen Welt mit ins Tierheim: Fahrgeräusche von Autos, Telefonklingeln, Staubsaugerbrummen, Musik und vieles anderes mehr – extra auf eine CD gebrannt. Else, Hank, Kim und Grisu werden Ohren machen...

„Die waren nur Haut und Knochen, man sah jede einzelne Rippe.“Andrea Aumeier, Leiterin des Hundehauses

„Es wäre uns eine Herzensangelegenheit, wenn diese Hunde nicht ihr ganzes Leben im Tierheim verbringen müssten“, sagt die Hundehausleiterin auch stellvertretend für die ehrenamtlichen Helfer, die sich rührend um ihre scheuen Schützlinge gekümmert haben. Allerdings sind diese Hunde nur unter ganz besonderen Bedingungen zu vermitteln. „Sie müssten in einem umzäunten Areal – am besten auf einem Bauernhof – einfach Hund sein und da sein dürfen und ihr Futter bekommen“, schildert Andrea Aumeier den Optimalfall und ist sich sicher: „Sie wären sicher auch Wachhund und würden alles und jeden melden.“ Am besten wäre es natürlich, wenn vielleicht zwei von den Vieren gemeinsam ihre neue Stelle antreten dürften.

Auch wenn Else im Auslauf schon an der Leine geht und Sitz macht, gibt sich Andrea Aumeier keinen Illusionen hin. Wenn einer der vier Hunde draußen auch nur eine Sekunde frei wäre, dann wäre er über alle Berge. Entsprechende Vermittlungsversuche in anderen Tierheimen sind gescheitert. So hat alles Vertrautsein doch seine Grenzen und Hank, Grisu, Kim und Else haben keinen Menschen, der so einzigartig für sie wäre, dass er sie zähmen könnte.

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