Rückblick Top-Themen der MZ-Historie
Erinnerungen an fünf herausfordernde Komplexe. Berichte zwischen Euphorie und Empathie, von Atomindustrie bis zur Pandemie.

1. Streit um die WAA: Zwischen Bauzaun und Planungsrecht
Am Anfang stand eine Unwahrheit: Im Dezember 1980 erklärte der damalige bayerische Umweltminister Alfred Dick (CSU), eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) bei Wackersdorf sei „undenkbar“. Knapp zwei Jahre später sollte das Undenkbare plötzlich wahr werden. Die Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) beantragte bei der Regierung der Oberpfalz ein Raumordnungsverfahren für den Bau der WAA. Fast zehn Jahre hielt die Auseinandersetzung eine ganze Region in Atem – bis zum Aus für die Anlage im Jahr 1989.

Für die MZ war das Thema Herausforderung und Belastung gleichermaßen. In die komplizierte Materie mussten sich die Kolleginnen und Kollegen vor Ort erst einmal einarbeiten, Hunderte Seiten Unterlagen wälzen, verfahrenstechnische Abläufe ebenso studieren wie die Kniffe des Planungsrechts. In der Bauphase war dann auch Durchhaltevermögen gefragt. Fast jedes Wochenende ging es an den Bauzaun, oft kilometerweit, um über Kundgebungen, Hüttendörfer oder Räumungsaktionen zu berichten – ohne Handy und Laptop damals, bewaffnet nur mit Block und Kamera. Die entwickelten Filme wurden noch per Kurier nach Regensburg gebracht.
Auch sonst standen die Kolleginnen und Kollegen unter Druck. Sich von keiner der beiden Seiten vereinnahmen zu lassen – weder von der Politik noch von den WAA-Gegnern – war vielleicht die schwierigste Aufgabe. Nach Jahren der Anspannung erlebten etliche Redakteure das Ende des Atomprojekts mit einer Mischung aus Erleichterung und Erschöpfung. Sie waren nach der Auseinandersetzung um die WAA erst einmal „ausgebrannt“. (Hubert Heinzl)
2. Mauerfall: „Man spürte, dass es kein Zurück geben würde“

SED-Mann Günter Schabowski ging am Abend des 9. November 1989 reichlich unvorbereitet in die Pressekonferenz, an deren Ende er sinngemäß die Erlaubnis zur Ausreise über die DDR-Grenzübergänge erwähnte. Und zwar ab sofort. Tausende Ost-Berliner kamen zu den Übergängen. Um 23.30 Uhr gaben die ebenso unvorbereiteten Wachsoldaten an der Bornholmer Straße dem Druck nach und öffneten die Tore. Von der deutschen Einheit wollte an diesem Abend – noch – kaum einer sprechen. Aber der Gedanke war da.
Der „Mauerfall“. Etwas Historisches war passiert, man musste dabei sein. Die MZ-Redakteure Heinz Klein und Fritz Winter fuhren tags darauf nach Berlin, um die Menschen in unserer Region über Tage am Geschehen in der irgendwie nicht mehr geteilten Stadt teilhaben zu lassen. „Es herrschte eine ansteckend euphorische Stimmung“, erinnert sich Klein. Winter sagt: „Man spürte, dass es kein Zurück geben würde in die alte DDR-Ordnung.“
Eine Sensation, die keine sein dürfte
Zuhause kommentierte Chefredakteur Kurt Hofner zurückhaltend: „Eine Sensation, die keine sein dürfte (…) angesichts der Jahre der Todesschüsse, waghalsigen Fluchten, entwürdigender Schikanen…“ Was führt die DDR-Führung wirklich im Schilde?, fragte er indirekt. Aber bald wurde klar, dass es eine logische Entwicklung zur Einheit gibt. Die Annäherungs- und Abrüstungspolitik zwischen den Supermächten USA und UdSSR ließ dies zu.
Die Modelle des Zusammenwachsens der deutschen Staaten waren ebenso Gegenstand journalistischen Arbeitens wie die Aufgabe, einen weißen Fleck auf der Landkarte zu füllen. Denn das war der DDR für viele, vor allem für die Jüngeren. (Manfred Sauerer)
3. Der 11. September: Ein barbarischer Akt mit Folgen bis heute
Ein in der Geschichte der Menschheit beispiellos barbarischer Akt: Vier Passagier-Flugzeuge waren am 11. September 2001 von Terror-Teams der al-Qaida entführt worden, zwei davon rasten in die Türme des World Trade Centers in New York, eines ins Pentagon nahe Washington und eines stürzte nach Kampf zwischen Entführern und Passagieren in Pennsylvania ab. Die erste Meldung kam gegen 15 Uhr deutscher Zeit: „Kleinflugzeug stürzt ins World Trade Center“. Nach und nach wurde das wahre Ausmaß der Anschläge bekannt.

Am Fernseher war zu sehen, wie Menschen aus den höchsten Stockwerken der Türme sprangen, um nicht zu verbrennen. Sie sprangen dennoch in den Tod. Wir versuchten, die unzähligen, meist schockierenden Nachrichten der Korrespondenten aus den USA zu einem irgendwie stimmigen Ganzen zusammenzufügen.
Kolleginnen und Kollegen, die frei hatten, kamen in die Redaktion, andere blieben nach ihrer Tagesaufgabe einfach da. Alle halfen mit, eine Zeitungsausgabe zu gestalten, wie wir sie niemals zuvor machten. Alle Regeln für deren Zusammensetzung und Aufmachung wurden außer Kraft gesetzt.
Wir hatten das Geschehen auch einzuordnen. Im Leitartikel hieß es: „Zivilisationen, die den westlichen Werte-Kanon (…) ablehnen, fühlen sich durch das amerikanische Hegemonie-Streben permanent bedroht. (…) In vielen Ländern der Welt schlägt den USA blanker Hass entgegen.“ Die Folgen des 11. September und des zugrundeliegenden Kulturkampfes forderten bis heute zahllose Opfer. Über eine wie auch immer geartete Versöhnung gibt es bis heute nichts zu berichten. Im Gegenteil. (Manfred Sauerer)
4. Wolbergs-Prozesse: Ein Stadtoberhaupt auf der Anklagebank
Schuld an allem ist dieser Blog. Da war die Idee, es einmal mit einer Berichterstattung direkt aus dem Gerichtssaal zu versuchen. Das fiel mir zu. Prima, dachte ich. Dann bin ich nach den ersten Tagen wieder raus. Spätestens, wenn es tiefer in die Beweisaufnahme geht, mag das doch keiner mehr lesen. Am Ende habe ich die insgesamt 96 Verhandlungstage der beiden Wolbergs-Prozesse mitgeschrieben. Aber ich will kein Mitgefühl erheischen. Das wäre fehl am Platz. Aus meiner Sicht habe ich ohnehin nur meine Arbeit gemacht: nüchtern Fakten zusammentragen.
Kaum ein Verhandlungstag endete ohne Beschwerdeanrufe oder E-Mails.
Vor Gericht werden Sachverhalte ergründet und keine Seelen. Es geht darum, was belegt werden kann. Die zwei Korruptionsprozesse gegen den früheren Regensburger OB Joachim Wolbergs waren jedoch von Emotionen überlagert. Das verstärkte sich noch mit dem Wahlkampf, der einsetzte, bevor das zweite Urteil gesprochen war. Es gab von Beginn an zwei Lager mit klaren und entgegengesetzten Vorstellungen, was von den Vorwürfen zu halten war. Die Leute hatten das eben im Gefühl. Entsprechend zahlreich und heftig waren die Reaktionen auf die Berichterstattung. Kaum ein Verhandlungstag endete ohne Beschwerdeanrufe oder E-Mails. Aber wenn man einmal von den persönlichen Verunglimpfungen absieht, ist Kritik gut. Wenn sie von allen Seiten kommt, ist das ein sicheres Zeichen, dass man richtig liegt. Zumindest hat man dann den Kardinalfehler vermieden, parteiisch zu sein.

Das Urteil müssen die Richter sprechen – nicht die Journalisten. Das Handwerkszeug von Journalisten sind Fakten. Die gilt es darzustellen. Das ist einerseits schon alles und andererseits schwierig genug. (Christine Straßer)
5. Eine Pandemie, die das Leben verändert
Wie aus einem Horrorfilm sahen die Straßen aus, als der Shutdown verhängt wurde. Geisterhafte Szenen auch in den Städten und Gemeinden im Verbreitungsgebiet der Mittelbayerischen. Journalisten sollten mit dem Begriff „historisch“ sparsam umgehen. Doch das, was sich seit Anfang des Jahres von China aus zunächst in Südeuropa, dann auch in Deutschland und schließlich in die Städte und Landkreise in der Region ausbreitete, wird dem Adjektiv historisch durchaus gerecht.

Für Journalisten ist die Pandemie eine Herausforderung. Sie betrifft alle Lebensbereiche: Das Gesundheitssystem an erster Stelle, das Bildungssystem, doch auch die Wirtschaft ist massiv betroffen, Arbeitsplätze wackeln. Schließlich ist die Demokratie vom Virus bedroht: Demonstrationen von Corona-Leugnern gab es auch vor Ort. Die Herausforderungen für Medien sind vielfältig: In Gesprächen mit Experten muss man Übersetzungsarbeit leisten, damit auch Nicht-Mediziner verstehen, was die Pandemie bedeutet. Politisch muss die Frage gestellt werden, wie weitgehend Einschränkungen von Grundrechten und die Macht der Exekutive bis hinunter in die Rathäuser gehen darf.
Corona-Leugner auf der einen Seite, Alarmismus auf der anderen und eine breite Mitte, die das Leben von Risikogruppen schützen will, aber auch die Gefahr für die Gesellschaft sieht: In diesem Spannungsfeld bewegen sich Medien derzeit. Hilfreich ist dabei das kleine Einmaleins des Journalismus: Recherchieren, Experten hören, aber auch den Lesern zuhören. Wie die Politik fahren allerdings auch Journalisten in der Corona-Krise auf Sicht – jeden Tag aufs Neue. (Dr. Christian Eckl)
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