Verkehr
Weißgerbergraben: Anwohner sind genervt

Alle zwei Minuten saust ein Bus durch den Weißgerbergraben. Die Anlieger fordern Tempo 30. Stadt und RVV sträuben sich.

28.12.2018 | Stand 16.09.2023, 5:56 Uhr
Anna Heidenreich

Ständig fahren Busse durch den Weißgerbergraben. Für Radfahrer und Fußgänger wirken sie bedrohlich, die Anwohner sind genervt. Foto: Heidenreich

Wer hier wohnt, kann kein Fenster aufmachen. Wer mit dem Fahrrad durchmuss, wird von den gelben Bussen überholt. Rollstuhlfahrer oder Personen mit Gehhilfe haben auf dem Fußgängerweg keine Chance, denn der ist zum Teil weniger als einen Meter breit. Das alles weiß Sebastian Schmidt, einer der Anwohner am Weißgerbergraben – und fordert von der Politik eine Geschwindigkeitsbeschränkung. Doch die Stadt reagiere bisher nicht, klagt er.

Nun hat er sich an die Medien gewandt. „Dass ich Ihnen geschrieben habe, war ein Verzweiflungsschritt“, sagt er der Mittelbayerischen. Seit mehr als einem Jahr versuche er es in der Politik. Er habe sein Anliegen bei ÖDP-Stadtrat Benedikt Suttner, bei der Grünen Veronika Zeichinger und Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer vorgebracht – ohne Erfolg.

Schmid hat gezählt. „18 Busse fahren pro Richtung und Stunde im Weißgerbergraben“, sagt er. Im Schnitt fahre also alle 1,7 Minuten ein Bus durch die Straße zwischen Arnulfsplatz und Donau. Die dieselbetriebenen Fahrzeuge stinken, lärmen und rasen, so sein Vorwurf. Das Problem: Auf der gut 200 Meter langen Strecke darf man 50 fahren.

Viele Anwohner klagen

„Die Straße ist ein „Beschleunigungsstreifen“, wie Schmidt sagt. Der Apotheker ist nicht der einzige, den das stört. Anette Siegel betrieb jahrelang ihr Café im Weißgerbergraben. Ein Jahr lang hat sie über dem Lokal gewohnt. „Es sind nicht nur die Busse“, sagt sie. Sowohl von der Donau her, als auch vom Arnulfsplatz aus würden die Leute mit ihren Autos beschleunigen.

„Im Sommer hatten wir Außenplätze. Da war es schon nervig, dass die Autos vorbeigeprescht sind.“ Jetzt zog ihr Restaurant zwar um – in etwas Größeres: Sie übernahm das ehemalige Chaplin beim Ostentorkino. Trotzdem sagt sie: „Eine 30er Zone im Weißgerbergraben würde ich begrüßen.“ Nikolai Freese vom Spielwarengeschäft „Traumwerk“ findet: „Die Raser stören. Vor allem die Motorradfahrer drehen hier im Sommer auf.“

Was viele nicht verstehen ist, warum es kein Tempolimit gibt. Denn daraus erhoffen sich die Anwohner, dass es ruhiger wird im Weißgerbergraben. „Das ist die zentralste Stelle zur Altstadt, die keine 30er Zone ist“, sagt der Betreiber des Garbo Kinos, Achim Hofbauer. Er habe einen Freisitz, der aber wegen des Lärms nicht nutzbar sei.

Doch mit ihren Anfragen sind die Betroffenen bei der Stadt nicht durchgekommen. Anwohnerin Birgit Brunner hatte es schon vor vier Jahren dort versucht. „Da lohnt sich kein Tempolimit. Weil die Strecke so kurz ist, kommt eh keiner auf über 30 Stundenkilometer“ sei damals die Antwort gewesen. Doch sie findet: „Die Busse flitzen die Gasse hoch, fahren viel zu schnell auf den Zebrastreifen zu. Viele Kinder sind auf der Straße, weil sie zum Hort müssen.“ Gründe, die für eine Beschränkung sprechen, sagt sie.

Die Antworten auf das neuere Gesuch von Sebastian Schmidt liegen unserer Zeitung vor. Gertrud Maltz-Schwarzfischer schreibt: „Die Frequenz der Busfahrten hat sich seit dem Jahr 2016 bereits durch die Herausnahme der Buslinen 2B, 6 und 13 um 15 Fahrten pro Stunde und Richtung, also um 44 Prozent verringert.“ Eine weitere Rücknahme von Linien sei ausgeschlossen.

Zudem liege die durchschnittliche Fahrtgeschwindigkeit der Busse deutlich unter 29 Stundenkilometern. Weil diese in der engen Kurve Weißgerbergraben/Keplerstraße zunächst abbremsen und wieder beschleunigen müssen, entstehe nur der Eindruck, dass die Fahrzeuge mit einer hohen Geschwindigkeit in Bewegung sind.

Auch der Lärm sei kein Grund für eine Begrenzung: Einer lärmbedingten Geschwindigkeitsbeschränkung stehe auf Hauptverkehrsstraßen deren besondere Verkehrsfunktion entgegen. „Erst, wenn die Schwelle der ortsüblichen Lärmbelastung überschritten ist, ist eine Abwägung mit den Belangen des Verkehrs zu treffen“, schreibt die Bürgermeisterin. Es müsse nachgewiesen sein, dass das ortsübliche Lärmniveau im Weißgerbergraben höher als in anderen Hauptverkehrsstraßen ist. Nur dann wäre eine Geschwindigkeitsbeschränkung denkbar.

Dieser Nachweis liege allerdings nicht vor. Auf Nachfrage unserer Zeitung heißt es von der Stadt, dass hierfür spezielle Berechnungen notwendig sind. Auf die Frage, ob es ein Anliegen der Stadt sei, dass gültige Lärmberechnungen für den Weißgerbergraben gemacht werden, kam keine Antwort.

Die Probleme im Weißgerbergraben sind in der Stadt durchaus bekannt. Sie selbst startete vor einiger Zeit Lärmabfragen auf ihrer Homepage. Unter den insgesamt 230 Lärmorten in Regensburg, zu denen die Bewohner Hinweise und Vorschläge gegeben haben, war auch der Weißgerbergraben. Auch im Rahmen der Aktion wiesen Personen auf zu schnell fahrende Busse und Taxis sowie Lärmechos in den Häuserzeilen hin – und schlugen eine Geschwindigkeitsbegrenzung, Fassadenbegrünungen und Baumpflanzungen vor.

„Problem“: noch keine Unfälle

Ein weiteres Argument der Bürgermeisterin: „Geschwindigkeitsbeschränkende Maßnahmen auf innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen dürfen nur angeordnet werden, wenn Unfalluntersuchungen ergeben haben, dass häufig geschwindigkeitsbedingte Unfälle aufgetreten sind.“ In den letzten vier Jahren habe sich kein einziges derartiges Unglück im Weißgerbergraben ereignet. Daher fehle die notwendige Rechtsgrundlage für eine Begrenzung. Schmidt ist wütend über diese Antwort. „Es muss wohl erst etwas passieren, bis die Stadt Handlungsbedarf erkennt“, sagt er.

Doch die Anwohner müssen sich wohl gedulden. Busse dürfen und müssen durch die Straße fahren, betont Stadtwerk-Sprecher Martin Gottschalk. Sie dürfen, trotz Umweltzone, weil alle Dieselbusse mindestens auf Euro vier Standard umgerüstet sind. Sie müssen, weil der Weißgerbergraben „eine zentrale Straße bezüglich der Innenstadterschließung“ ist, sagt er. Linien zusammenzulegen, damit dort weniger Busse fahren, sei nicht praktikabel.

Von einer Begrenzung auf 30 hält er nichts. Die Busse müssen laut Gottschalk sowohl vom Arnulfsplatz aus, als auch aus Richtung Donau beschleunigen. „Daran ändert auch eine 30er Zone nichts.“ Der Lärm, der beim Gasgeben entstehe, würde trotzdem bestehen bleiben. Generell sei Tempo 30 für den Busverkehr ungünstig. „Bei so einem kleinen Abschnitt ist das nicht dramatisch. Aber in Summe machen diese ganzen kleinen 30er-Zonen den ÖPNV immer langsamer“, sagt Gottschalk. Mittelfristig, also in drei bis fünf Jahren, sei eine „Elektrifizierung“ geplant. Unter den Bussen sollen dann deutlich mehr Elektrofahrzeuge sein, die Lärmbelastung sinken. „Das dauert aber noch ein paar Jahre.“

Lesen Sie auch:

Mehr Nachrichten aus Regensburg finden Sie hier.

Die aktuelle Verkehrslage bequem aufs Handy: Mit unserem WhatsApp Newsletter bekommen Sie alle aktuellen Nachrichten und Staumeldungen sofort. Informationen finden Sie unterwww.mittelbayerische.de/whatsapp