Spendenprojekt
Wilma läuft dem Krebs davon

Die Regensburgerin besucht eine besondere Sportgruppe. Jetzt legt die Leukämiehilfe mit einem einmaligen Projekt nach.

06.10.2021 | Stand 15.09.2023, 23:56 Uhr
Wilma Winkler gehört zu den „Urgesteinen“ der Sportgruppe „Fit for Cure“. Sie ist 84 Jahre alt und seit rund zehn Jahren setzt sie ihrer Krebserkrankung sportliche Fitness entgegen. −Foto: www.altrofoto.de

„Welche Stufe?“, fragt Wilma Winkler vom Ergometer herüber. Die 84-Jährige hat mir das Laufband empfohlen. Ich soll eine Runde rückwärts marschieren, das sei besonders gut fürs Gehirn, sagt sie. Meine Hände umklammern die Haltegriffe, so fest, dass die Knöchel weiß hervortreten. Ich muss mich stark konzentrieren, um nicht aus dem Rhythmus zu kommen und auf dem Hintern zu landen. Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei, drei vier. „Ich mache Stufe fünf und 1000 Meter“, sagt Wilma Winkler. Bei mir bilden sich erste Schweißperlen auf der Stirn. Das Laufband zeigt 468 Meter.

Sport als Ankerpunkt

Jede Woche ist die Regensburgerin mit ihrem Mann Werner am Uniklinikum Regensburg. Sie gehören zu den Urgesteinen, sagt der Leiter der Physiotherapie, Sebastian Meier. Alle Teilnehmer der onkologischen Sportgruppe „Fit for cure“ eint ein gesundheitlicher Tiefschlag. Der Sport ist zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Krebstherapie geworden. Sie wollen fitter werden, einige auch in den Beruf zurückkehren. Der Sport schaffe aber darüber hinaus auch einen Ankerpunkt, eine Struktur im Tagesablauf, ein geschütztes Umfeld, sagt Meier.

Ich habe mittlerweile 500 Meter Rückwärts geschafft. „Große Schritte machen“, mahnt mich Physiotherapeut Meier, während ich ein Bein hinter das andere stelle. Die Profis in der Gruppe laufen auf dem Gerät, ohne sich festzuhalten. Rückwärts laufen, so erklärt mir Meier, sei nach einer Chemotherapie ähnlich gut für das Gehirn wie das Stricken. „Es verbessert die neurokognitiven Fähigkeiten.“ Denn die aggressive medikamentöse Behandlung wirkt auf das zentrale Nervensystem und kann die Aufmerksamkeitsfähigkeit, das Denkvermögen oder die Konzentration beeinträchtigen. „Chemo-Brain“ wird diese Nebenwirkung genannt, die auch in einem chronischen Erschöpfungszustand, dem sogenannten Fatigue-Syndrom, münden kann.

Längst gibt es klinische Studien, die belegen, dass Sport die belastenden Begleiterscheinungen einer Krebserkrankung lindert. Prof. Dr. Tobias Pukrop, Leiter der Onkologie und Interdisziplinären Tagesklinik für Tumortherapie (ICT) am Uniklinikum Regensburg, sagt: „Sport steigert die körperliche Leistungsfähigkeit, reduziert die Tumor/Therapie-induzierte Müdigkeit und stärkt das Selbstbewusstsein.“ Doch das Training bewirkt noch viel mehr: Es senkt das Rückfallrisiko erheblich. Damit sei erwiesen, „dass Sport nach einer Krebserkrankung signifikant lebensverlängert wirkt“, sagt Pukrop.

Deshalb steigt auch die Nachfrage nach solchen Angeboten. Längst ist der Pavillon der Physiotherapeutischen Abteilung der Klinik zu klein. Corona hat die Situation nochmals verschärft. Die Warteliste wird länger. Nun handelt die Leukämiehilfe Ostbayern, die Fit for Cure seit 2018 mitfinanziert. In unmittelbarer Nähe zum Patientenhaus entsteht LEO-Sport. Ein Zentrum für Sport und Bewegung mit einem deutlich erweiterten Angebot. Staatliche Mittel oder eine Unterstützung durch die Kostenträger des Gesundheitssystems gibt es nicht. Deshalb braucht die Leukämiehilfe Spenden, um die 3,8 Millionen Euro Bausumme aufzubringen. „Ein tolles Projekt“, finden die Mitglieder der Sportrunde.

Vorhaben:Spenden:
Auf einer Fläche von 650 Quadratmetern soll eine Sporthalle mit Geräten und Fitnessräumen entstehen. Der Bau wird direkt an das Patientenhaus der Leukämiehilfe angrenzen. Das Projekt ist in dieser Form einmalig in Deutschland. Die Eröffnung ist für 2023 geplant. Der Bau kostet rund 3,8 Millionen Euro.Das Projekt wird über Spenden finanziert. Eine besondere Idee ist die Quadratmeterspende. Pro Quadratmeter werden 1000 Euro aufgerufen. Die Unterstützer werden in einer Spendentafel verewigt. Aber auch kleine Beiträge helfen der Leukämiehilfe das Projekt voranzutreiben. Spendenkonto: Leukämiehilfe Ostbayern e.V., Kennwort „Leo Sport“, Sparkasse Regensburg, IBAN: DE25 7505 0000 0780 0170 00, BIC: BYLADEM1RBG

Neben mir trainiert Elke Schmidt (Name geändert). Schon seit einer Viertelstunde stärkt sie Beine und Arme am Rudergerät. Sie hat ein hohes Tempo. „Ich muss viel für die Stabilität meiner Knochen tun“, sagt sie. Seit 2017 kommt sie regelmäßig. Bevor der Krebs diagnostiziert wurde, war sie auf dem Höhepunkt ihrer Fitness und gerade einen Halbmarathon gelaufen. Jetzt, so sagt Schmidt, kostet sie alles viel Kraft. Sie sei oft „todmüde“. Dass ihr Blutkrebs unheilbar sei, habe sie akzeptiert. Jetzt gehe es darum, die Lebensqualität hoch zu halten. Dabei helfe ihr der Sport. „Tanzen, Wandern oder Verreisen – ich nehme wieder aktiv am Leben teil, das genieße ich“, sagt sie.

„Ich mache alles mit“, sagt auch die 84-jährige Wilma Winkler. Verschlechtert sich ihr Zustand, steuert sie mit einer Chemotherapie gegen. „Wenn ich dann zwei, drei Jahre geschenkt bekomme, ist es das wert.“ Der Sport ist bei ihr fest in den Tagesablauf integriert. „Es gibt nichts, was man nicht machen kann, man darf sich nur nicht hängen lassen.“

Sehr individuelles Training

Die Stunde ist um. Einige Teilnehmer haben alle Geräte durchlaufen, andere längere Verschnaufpausen eingelegt. Physiotherapeut Meier sagt, dass das Leistungsvermögen sehr individuell sei und an die jeweiligen körperlichen Ressourcen angepasst werde. In der Gruppe gibt es Menschen im Heilungsprozess, andere in der palliativen Behandlung.

Deshalb gibt es auch immer wieder traurige Momente, wenn Mitstreiter nach langem Kampf versterben. Zwei Freundinnen habe sie schon verloren, sagt Wilma Winkler. Das sei nicht einfach, wenn man ein Stück des Wegs zusammen gegangen sei. Dann spricht sie schnell wieder über die heiteren Momente des Trainings. „Welche Stufe sind sie denn nun gelaufen?, will sie von mir beim Abschied wissen. Stufe 4 und nicht mal 1000 Meter, antworte ich. Wilma Winkler, 84 Jahre alt und unheilbar krebskrank lächelt fein: „Dann sollten Sie mehr trainieren!“