Porträt
Buchhändler, Bassist und BWLer

Chris Röhrl ist der Neffe von Rallyefahrer Walter Röhrl, der zeitweise wie ein Ersatzvater für ihn war.

13.07.2018 | Stand 16.09.2023, 6:05 Uhr
Michael Scheiner

Chris Röhrl ist Buchhändler, hat aber auch eine Vorliebe für Musik und die BWL. Foto: Scheiner

Und dann ist da noch etwas“, sagt Buchhändler Christian (Chris) Röhrl vergnügt grinsend und deutet auf ein Regal in seinem Rücken. „Das gibt es nur bei uns, exklusiv im Bücherwurm!“ Beinahe triumphierend hebt er einen imposanten Bildband von der Auslage und schlägt ihn auf. Zwei Signaturen, von Rallyefahrer Walter Röhrl und seinem langjährigen Copiloten Christian Geistdörfer mit Filzstift hineingezirkelt, zieren das innere Deckblatt. Handsigniert! Und nicht nur ein Exemplar – ein ganzer Stapel liegt da. „Dafür kommen Bestellungen bis aus Italien“, verweist Röhrl auf die nach wie vor enorme Beliebtheit des Rallyefahrers. Verschiedene, handsignierte Bände, darunter die „Zeitreise in Bildern“, die zum 70. Geburtstag des weltmeisterlichen Rennfahrers erschienen ist, hat er vorrätig. Walter Röhrl ist der Onkel des Buchhändlers, Musikers und Bergwanderers Chris Röhrl. Zeitweise spielte der ein wenig die Rolle als Vaterersatz für den Neffen. Als Schüler schaute Chris zum kühnen Onkel auf, hatte sich doch der gegen den Widerstand seiner Mutter, Chris’ Großmutter, durchgesetzt und begonnen, Rennen zu fahren.

Der frühe Tod des Vaters warf den Sohn völlig aus der Bahn

Die Ablehnung der Großmutter gegen die Pläne ihres Sohnes Walter hatten einen Grund. Ihr älterer Sohn – der Vater von Chris – war im Sommer 1965 mit seinem Porsche bei Mariaort tödlich verunglückt. „An das Bild kann ich mich ganz genau erinnern“, holt der heute 58-jährige Chris die bedrückende Erinnerung ans Licht. „Wir saßen morgens um den Tisch, als die Mutter hereinkam und sagte: ,Der Vater kommt nicht mehr heim!’“ Die vernichtende Botschaft wirft den damals gerade fünf Jahre alten Jungen völlig aus der Bahn. Fast ein dreiviertel Jahr lang ist er krank, fiebert sich von einer Kinderkrankheit in die nächste. „Die Familie versammelte sich schon ums Bett“, erzählt er mit sarkastischem Humor, „bis das Fieber dann doch endlich gefallen ist“. Er hat seinen Vater geliebt und bewundert. Aus dieser Trauerzeit bleibt Chris eine chronische Bronchitis, „die mich bis heute plagt“.

Jetzt musste die Mutter arbeiten gehen, der Sohn wächst in Stadtamhof bei der Großmutter, die für ihre Gaststätte Colosseum kocht, und der Tante auf. Zwei Jahre später zieht die Familie nach Nabburg. Die Mutter hatte wieder geheiratet. Einen Postbeamten, der – wie sich bald herausstellt – das Gegenteil des weltoffenen und unternehmungslustigen Vaters von Chris war. Heimisch wird der Junge aus der Stadt im ländlich geprägten Nabburg lange nicht. In der Schule und im Gymnasium findet er keinen Anschluss, ist wegen der Bronchitis vom Sport befreit, fühlt sich isoliert und ist dauernd am Lesen. Perry Rhodan, der intergalaktische Science-Fiction-Held einer Roman-Serie, gehört wie Falk, Kid Carson, Batman und andere Allesbezwinger zu seinen leidenschaftlichen Vorbildern. So lange, bis der rigide Stiefvater entscheidet: „Das ist alles Schund!“. Der lesehungrige Geschichtenverschlinger muss seine ganzen Hefte zusammenpacken und der schwelenden Müllhalde vor der Stadt übergeben. Ein Desaster!

Musik bringt einen Wendepunkt. Als der gedemütigte Gymnasiast in die Jugendblaskapelle eintritt, erschließt er sich von der Gitarre, über die Querflöte bis zum Saxofon rasch verschiedene Instrumente. Schon bald folgen die ersten Bandgründungen zusammen mit anderen Musikbegeisterten. Mit der Rockmusik der 60er und 70er Jahre eröffnen sich für den Jugendlichen ganz neue Welten. Dabei lernt er auch seine spätere Frau Hanna kennen, mit der er noch heute gemeinsam Musik macht. Es folgen Abi und eine Grundausbildung als Sanitäter bei der Bundeswehr. „Ich wollte nicht verweigern, aber auch keinen Waffendienst tun“, begründet Chris Röhrl seine angepasste Haltung. „Wenn schon Militärdienst, dann wollte ich etwas Sinnvolles tun.“ Vielleicht sei er „einfach noch zu wenig rebellisch gewesen“, sinniert er ganz ohne Koketterie über die damalige Entscheidung.

Nach meiner Banklehre war mir klar, dass ich in meinem Leben nie wieder einen Chef haben will.Chris Röhrl

Noch happiger wird es für ihn, als der Stiefvater kurzerhand über seinen Kopf hinweg entscheidet, „du gehst jetzt zur Schmidt-Bank und machst eine Banklehre“. Chris gehorcht, sortiert tagelang Kontoauszüge, bringt die Post zum Schalter und zählt Kleingeld. Am Ende von drei qualvollen Jahre beschließt er, „dass ich in meinem Leben genug von Chefs habe und nie wieder einen haben will“. Mit 22 packt er seine Siebensachen, geht zurück nach Regensburg und immatrikuliert sich für BWL. Es ist wie eine Heimkehr. Röhrl lebt auf, nimmt die Zügel seines Lebens selbst in die Hand, die Musik gewinnt weiter an Bedeutung. Er lernt die Liedermacherband „Onyx“ kennen und steigt ein, als deren Bassist ausfällt. Ab dem Moment wird der Bass zu seinem Instrument. Eine Phase intensiver kreativer Aktivitäten beginnt – mit Plattenaufnahmen, Verlagsgründung und Musik. Sogar einen Film dreht die Clique, in dem Onkel Walter mit dem Porsche ein Goggo verfolgt. Während die Onyx-Freunde ins sichere Lehrerdasein abwandern, macht Chris aus der gemeinsam gegründeten Versandbuchhandlung den ersten Bücherwurm-Laden und heiratet seine Hanna. Zur Arbeit mit Büchern, die bereits im auslaufenden Studentenleben eine beträchtliche Rolle eingenommen hat, kommt die Familie hinzu, die sich bald um inzwischen erwachsene Kinder erweitert.

„Rettet den Bücherwurm“ – eine Hilfsaktion verhindert den Ruin

Erweitert wird auch der Bücherwurm. Bis zur Jahrtausendwende werden sechs Filialen gegründet, die Buchhandlung zählt zu den 100 größten im deutschsprachigen Raum. Wenig später der große Crash: Röhrl muss Insolvenz anmelden, das Eigenheim verkaufen, das Leben beginnt – zumindest finanziell – wieder von null. Das Debakel hat allerdings nicht nur etliche Menschen den Arbeitsplatz gekostet und die Familie vors finanzielle Aus gestellt, es hatte auch einiges Gutes. Statt Spott und Häme, wie oft in solchen Fällen, rollte eine regelrechte Solidaritätswelle an. „Rettet den Bücherwurm“ erwies sich nicht nur als leerer Slogan, sondern half den Röhrls wieder auf die Beine. Es zeigte sich, dass zwei der Läden genügend Potenzial hatten, um sie in neuer Form weiter zu betreiben.

Noch heute ist der engagierte Buchhändler dankbar für die vielen positiven Reaktionen, die er mit Freunden und Nachbarn „in der ganzen Misere“ gemacht hat. „Es ist eine tolle Erfahrung“, erzählt er offen. „Man kann sich auf einmal einfach helfen lassen und vergisst diese Menschen nie mehr!“

Die Erfahrung, auf die der so unorthodoxe wie untypische BWLer gern verzichtet hätte, hat noch andere Früchte getragen, von der heute hunderte Buchhändler profitieren. Nach einem finanziellen Fiasko beim Börsenverein des deutschen Buchhandels war Röhrl aktiv an der Gründung der „Buchwert“ beteiligt, einer Kooperation, die Dienstleistungen – vom Abrechnungsverfahren bis zum Marketing – für beteiligte Läden übernimmt. Das Marketing in seinen beiden Buchhandlungen betreiben der Regensburger und seine Hanna selbst aktiv und einfallsreich. Zusammen mit Partnern organisieren sie Literaturfestivals, Lesungen mit Schwerpunkt auf regionalen Autoren, Aktionen zur Leseförderung. Letzteres ist „sein Thema“, das ihn schon lange umtreibt. Wie bringt man Menschen zum Lesen? Oder wieder zum Lesen? Denn für Chris Röhrl sind die Geschichten und das Wissen in Büchern etwas Lebendiges, dem er tiefe Wertschätzung entgegenbringt. „Und Spaß macht es noch dazu, das Lesen“, sagt der Überzeugungstäter.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.