Porträt
Der Komponist, der das Gras wachsen hört

Sepp Frank ist einer der vielseitigsten Musiker der Region. Der Soundtrack seines Lebens ist aufregend und kompromisslos.

02.06.2018 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Einst stand er in Amerika beim Autobauer Ford am Band. Heute räumt er mit seinen Bands Preise ab. Foto: altrofoto.de

Der Musiker Sepp Frank, Jahrgang 1951, ist gläubig. Immer noch. Oder vielmehr: mehr denn je. „Der Glauben“, sagt er, „gibt mir Halt.“ Und dann präzisiert er: „Natürlich bin ich nicht mit allem einverstanden, was die Kirche sagt und tut.“ Aber er ist keine Karteileiche, von Geburt an gewissermaßen und aufgrund einer Taufe, gegen die man sich nicht wehren kann, sondern ein praktizierender Katholik, der regelmäßig in die Kirche geht. Was ist ihm wichtig? Das läuft wie bei vielen, die Probleme mit der Institution haben, auf die Botschaft der Bergpredigt hinaus: „Die Nächstenliebe ist mir wichtig. Und dass sie nicht nur ein abstraktes Bekenntnis ist, sondern dass man sie auch lebt. Tag für Tag.“

Beinahe wäre er Priester geworden

Dabei hätte nicht viel gefehlt und er wäre Priester geworden. Zwar wurde er in Ingolstadt geboren, in die Schule jedoch ging er in Salzburg. In einem Gymnasium, das von Ordensleuten geführt wurde. „Aber schon im zweiten oder dritten Jahr haben sie uns beruhigt. ,Ihr müsst nicht Priester werden. Wir wollen euch nur zu vernünftigen Menschen erziehen.’“ Vernünftig, das kann auch heißen: rebellisch.

Sepp Frank war noch in seiner Schulzeit ein Mitglied von „The Waves“. Das „the“ ist verräterisch. So hießen damals die Beat-Bands: „The Beatles“, „The Rolling Stones“, „The Who“, „The Kinks“. Und es gibt Fotos aus dieser frühen Zeit. Da sehen Sepp Frank und seine Kollegen aus wie klassische Beat-Band-Members: kein Hippie-Look, keine langen Haare oder Flower-Power-Klamotten, dafür hochgestellte Krägen, Seidentücher, schmucke Hosen. Wenn man ganz genau hinschaut, kann man auf dem Auftritts-Foto der „Waves“ sogar ein Bild von Richard Wagner erkennen, das an der Wand hängt. „The Waves“ brachten sich auch ins Kirchenleben ein, gestalteten „rhythmische Messen“ im Stil der Zeit. Bis irgendwann ein Lehrer, „hochgebildet, seine Wohnung war voller Bücher“, aufstand, als wäre er Jesus, der den Tempel von all dem Unrat säubern muss und gegen die „Negermusik“ wetterte.

„Die Nächstenliebe ist mir wichtig. Und dass sie nicht nur ein abstraktes Bekenntnis ist, sondern dass man sie auch lebt. Tag für Tag.“Sepp Frank, Musiker und praktizierender Katholik

Das war ein Schock. Aber nur für einen Tag. Sie haben dann doch weitergemacht. Auch mit einer neuen Gruppe, „Die Skalden“. Mit ihr war Sepp Frank 1972 Finalist des ORF-Musikwettbewerbs „Talente 70“. In Salzburg machte er schließlich die Matura. Und dann stürzte er kopfüber ins wirkliche Leben. Er studierte Englisch, Deutsch und Russisch. Aber das wirkliche Leben hörte auf den Namen Denise. Sepp Frank, noch heute mit schauernder Bewunderung: „Sie war sehr klein, nur ein Meter fünfzig, aber atombombenmäßig unterwegs.“ Man kann sich die Erschütterung des jungen Mannes vorstellen, der noch nach fast einem halben Jahrhundert so von ihr redet.

Denise war nicht nur klein und „atombombenmäßig“, sondern auch sehr, sehr schön. Mit den bekannten Folgen, von denen schon Marlene Dietrich zu berichten wusste: „Männer umschwirren mich wie Motten das Licht ...“. Und, verbrannte Sepp Frank? Zunächst musste er sehr „rackern“, um sich gegen all die Rivalen und Mitbewerber durchzusetzen. Am Ende aber, da war er gerade im dritten Semester, bekam er seine Denise, heiratete sie und wurde von ihr prompt nach Amerika entführt.

Seine zauberhafte Denise hatte eine Stimme wie Joan Baez

Das führte zunächst zu einem kleinen Kulturschock. Sepp Frank, der Künstler in spe, landete in einer Fabrik des Autoherstellers Ford. In Detroit? „Nein, in Ypsilanti.“ Sie haben sich nicht verlesen. Der Ort, in der Weite von Michigan gelegen, heißt tatsächlich so wie die SPD-Politikerin, die einst partout hessische Ministerpräsidentin werden wollte. Dort stand er am Band und hat Stoßdämpfer geschweißt, acht Stunden am Tag, für fünf Dollar die Stunde. Gerettet hat ihn die Öl- und die sich daran anschließende Wirtschaftskrise nach dem Herbst 1973. Ford musste die Produktion einschränken. Es herrschte das „Senioritätsprinzip“, Sepp Frank, gerade erst eingestellt, wurde mit als Erster entlassen.

„Sie war sehr klein, nur ein Meter fünfzig, aber atombombenmäßig unterwegs.“Sepp Frank über seine Denise

Aber schon Hölderlin wusste: Wo die Gefahr wächst, wächst das Rettende auch. Oder so ähnlich. Sepp Frank in seiner Not besann sich auf seine Grundkompetenzen. Er spielte Akkordeon und Gitarre und die atombombenmäßige Denise verfügte über ein Goldkehlchen. „Sie hatte eine Stimme wie Joan Baez.“ Sie tingelten durch die zahllosen deutschen Gastwirtschaften in Michigan und blieben in Fritz Kochendörfers „Old Heidelberg“ hängen. Statt dem Great American Songbook war hier das Repertoire vom Kien Paule gefragt, das sich Sepp Frank von seiner Mutter aus Deutschland schicken ließ. Zu vorgerückter Stunde trat auch schon mal ein alter Russe an ihn heran, der einst Kriegsgefangener in Deutschland war und jetzt „Am Brunnen vor dem Tore“ hören wollte. „Für jedes Lied steckte er mir einen Dollar in die Tasche.“

Musiker mit dem Talent zur Melancholie: Rainer J. Hofmann führt eine Vielfach-Existenz. Er ist Musiker, Lyriker, Stummfilmbegleiter und Leiter einer Apotheke.Lesen Sie hier ein weiteres Porträt aus unserer Reihe „Höchstpersönlich“!

Als „Sepp und Denise“ im Hinterhaus aufgetreten

Und warum ist er dann doch zurückgekehrt? Hat es ihm in Amerika nicht gefallen? „Doch, sehr. Ich war auch sofort Teil von Denises großer Familie. Aber ich wollte fertig studieren. Und ich konnte mir die Studiengebühren dort nicht leisten.“ Deshalb ging er mit Denise nach Regensburg. Dort hat er sie verloren. Zuvor aber traten sie, die Älteren werden sich noch erinnern, als „Sepp und Denise“ im Hinterhaus auf. Ihr Programm: internationale Folklore.

Und dann ging es Schlag auf Schlag. 1977 war Sepp Frank Gründungsmitglied von „Chambergrass“. Er resümiert knapp und bescheiden: „Zahlreiche Rundfunk- und Fernsehauftritte. Mehrere erste Preise bei nationalen und internationalen Musikwettbewerben.“ Und, gut durchschnaufen, erster Platz in Köln beim Marlboro-Contest. „Chambergrass“ spielten eigentlich Bluegrass, natürlich englisch, aber so richtig bekannt wurden sie, zumindest in Regensburg, mit ihren urbairischen Liedern: „Ich hör’ das Gras wachsen“ und „Regensburg“. Diesen Song gibt es viermal, jedes Chambergrass-Mitglied hat einen getextet und komponiert. Aber durchgesetzt hat sich die Version von Sepp Frank.

Und weiter ging’s in hohem Tempo. 1985 hatte sein Professor an der Uni, Otto Hietsch, für den Regensburger Almanach drei Mundartgedichte beziehungsweise -lieder vom legendären Dichter-Bäcker Schindler, von Joseph Berlinger und eben von Sepp Frank ins Englische übersetzt.

Der Tausendsassa komponiert auch Film- und Hörbuch-Soundtracks

So lernte dieser Joseph Berlinger kennen, spannte ihm – na gut, das ist vielleicht arg vereinfacht – Monika aus, die dann seine zweite Frau wurde, was aber ihrer Freundschaft und Sepp Franks Karriere keinen Abbruch tat. Durch Joseph Berlingers Vermittlung, das wäre eine eigene Geschichte, wurde er im Jahr 1986 musikalischer Leiter des „Regensburger Figurentheaters im Stadtpark“ (bis heute) und schrieb die Theatermusik zur höchst erfolgreichen Berlinger-Trilogie „Conquista“, „Blomberg“ und „Dollinger“. Letzteres ein Sommer-Spektakel auf dem Haidplatz. Er schrieb auch diverse Film- und Hörbuch-Soundtracks. Aber am wichtigsten war vermutlich doch die Gründung des „Trio Trikolore“ (mit Reiner Hofmann und Eva Sixt) vor mittlerweile 18 Jahren, das aus dem Regensburger Kulturleben nicht mehr wegzudenken ist.Erst jüngst kam ihr fünftes Album „Les Sixties“ auf den Markt.

Sepp Frank ist in seinem Künstlerleben sehr vielseitig und sehr fleißig. Denn neben dem „Trio Trikolore“ spielte er auch noch in zahlreichen anderen Gruppen und Combos, von „Salettl“ und den „Sieben Sinalcos“ über die „Song Poets“ und das „Folk Project“ bis zu, neuerdings, den „Old Folks“, die mit viel Liebe Songs von Bob Dylan und Johnny Cash, aber auch von Billy Joel interpretieren. Dessen „Piano Man“ hat es Sepp Frank ganz besonders angetan, weil er in Amerika selbst erlebt hat, wie es ist, am Klavier zu sitzen und einsamen Leuten Geschichten zu erzählen. „Man wird angesprochen. Es gibt viel Resonanz.“ Ja, man wird gewissermaßen hineingezogen in fremde Leben, die ansonsten stumm blieben.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.

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