Menschen
Der letzte Kürschner verlässt die Altstadt

Nach 43 Jahren gibt David Danziger sein Pelzgeschäft auf. Nun hat er Zeit, seine Frau Ilse zu unterstützen – auf Empfängen der jüdischen Gemeinde.

15.10.2014 | Stand 16.09.2023, 7:09 Uhr

„43 Jahre! Wie die Zeit vergeht. Einen Espresso?“ David Danziger in seinem Geschäft in der Wahlenstraße Foto: altrofoto.de

London. Paris. New York. Kein Wunder, dass David Danziger seit seinem ersten Lebensjahr als Kürschner zur Dunhill greift. Auch seine Lebenskoordinaten sind international: Berlin, Brooklyn. Regensburg.

Dienstag, 14. Oktober. David Danziger entschuldigt sich, im Geschäft zu rauchen. Aber dann korrigiert er sich. „Warum eigentlich nicht? Rauch passt gut zu Rauchwaren.“ Er lächelt über sein Wortspiel.

Alles an Danziger ist angenehm. Die Manieren. Die zugewandte Art zu sprechen. Seine Hülle, der italienische Nadelstreifen-Anzug in Blau und Beige, die weltmännische Art wie er die Zigarette anfasst und, wie gesagt: sein gewinnendes Lächeln. Man fühlt sich ein bisschen an Hans Rosengold erinnert, den Grand Seigneur der jüdischen Gemeinde.

„Zweimal ausgewandert“

Wie einst Rosengold seligen Angedenkens ist Danziger aus dem Ei gepellt, ein Mann der Mode. Oder war es. Pelze Danziger schließt zum Jahresende. „Nach 43 Jahren!“, sagt er. „Wie die Zeit vergeht. Einen Espresso?“

Es wird ihm ein bisschen viel zurzeit. Schweißtropfen stehen ihm auf der Stirn. Interview. Es ist sein Geburtstag. Und am Sonntag ist er erstmals Opa geworden und das gleich doppelt, Lea und Elia – ein Pärchen. In der Wahlenstraße gegenüber dem Zuckerl-Müller regnet es Glückwünsche über den frischgebackenen Großvater. Und das mitten im letzten Schlussverkauf in der Geschichte seiner Familie. Einer umtriebigen Familie mit Unternehmungen in Regensburg, Berlin und New York.

„Sie dürfen nicht vergessen: Es war die Generation, die auf gepackten Koffern saß“, sagt David Danziger mit rauchigzarter Stimme. In eine Familie von Holocaust-Überlebenden ist er am 14. Oktober 1951 hineingeboren worden. Vater Isaak wurde in Buchenwald befreit, wanderte in den späten 40er- Jahren nach Israel aus, ging zur Armee, kämpfte im Unabhängigkeitskrieg und kam wieder nach Regensburg. Seine Mutter Genia lebt noch. Sie wurde in einem Nebenlager von Bergen Belsen befreit. Diese Geschichte hat David Danziger in den Kleidern.

An den hohen jüdischen Feiertagen war immer die Gemeinde auf Besuch im Haus in der Prüfeninger Straße. Die Lustanowskis, Schuhhändler aus der Ludwigstraße, die Drajnudels, Weinhändler aus der Ostengasse und die Familie des Kantors Leo Hermann. Man legte Wert auf Tischsitten und gute Manieren. Von dieser beispiellosen jüdischen Tischkultur hat David Danziger profitiert.

Die älteren Regensburger werden sich noch an das „Haus der Pelze“ in der Wahlenstraße erinnern (jetzt „Galerie“). Das war die Zeit, als es in der Domstadt noch „zig“ Pelzgeschäfte gab. Das Haus der Pelze, das Isaak Danziger mit dessen Schwager Reif betrieb, hatte nach dem Krieg in der Manufaktur der alten Bleistift-Fabrik in der Marschallstraße (heute Regierung der Oberpfalz) 60, 70 Angestellte, vom Kürschner bis zur Näherin.

Ein weiteres „Haus der Pelze“ gab es in Berlin-Neukölln, Karl-Marx-Straße, gegenüber dem Rathaus. Es wurde erst 2005 zugemacht. Parallel versuchte sich Isaak Danziger, sein Vater, noch in Brooklyn mit einem Restaurant. Zweimal ist die Familie nach USA ausgewandert und wieder eingewandert. „Als wir wieder zurückkamen, war ich 13 Jahre alt“, sagt David Danziger. Er erzählt das ganz entspannt.

„Ich bin ja nicht gewählt“

„Für einen jungen Menschen war das unproblematisch“, kommentiert er seine unstete Jugendzeit. Geboren in Regensburg, eingeschult in der Engelburgerschule, in der zweiten Klasse nach Berlin, ab der 4. Klasse nach New York, Schulabschluss bei Pindl in Regensburg. Danach Modeschule in Berlin und Mitarbeit im Neuköllner Familienbetrieb. „1974 rief mein Vater an, im ehemaligen bayerischen Schokoladenhaus in der Goliathstraße, wo heute die Reisetasche drin ist, werde ein Laden frei.“ Dort hat David Danziger seine „Dany-Pelzmoden“ eröffnet, den zweiten Familienbetrieb der Danzigers in Regensburg.

Danziger wurde nicht in die Kürschnerei gedrängt, er hat sie erwählt und liebt sie bis heute. An seinem 63. Geburtstag zeichnete er für seine beiden Damen, die seit undenklichen Zeiten für ihn schneidern, mit weißer Kreide die Schnitte an einem Breitschwanz-Persianer an. „Herrlich das Gestalten mit diesem Material“, sagt er. „Von Zuschneiden bis zum fertigen Produkt. Alles Natur.“

Das wird ihm ab Januar fehlen. Profitieren aber wird seine Frau Ilse. 1968 lernte er das ehemalige Englische Fräulein kennen. Sie ist heute das Gesicht der jüdischen Gemeinde Regensburg. Schon lange hatte sie sich beklagt, dass er wegen des Geschäfts so selten Zeit für die Gemeinde habe. Jetzt hat er sie. David Danziger verspricht: „Ich werde meine Frau unterstützen und sie jetzt oft bei offiziellen Anlässen begleiten.“ Reden wird er nicht. „Ich bin ja nicht gewählt.“ Aber bestimmt wird er an ihrer Seite immer eine gute Figur machen.