Menschen
Der Mann, den Bayern brauchte

Noch 2006 regierte nach 20 Uhr Ballermann in allen Festzelten. Die Zeiten sind um. Josef Menzl brachte die Blasmusik zurück.

08.10.2016 | Stand 16.09.2023, 6:44 Uhr
Helmut Wanner
Vollblutmusiker im Einsatz: Josef Menzls Auftritt beim Kneitinger Bockanstich Arnulfsplatz −Foto: altrofoto.de

Sein Haus findet man nicht auf Anhieb. Man sucht erst mal. „Keine Werbung!“ steht am Briefkasten. Daneben aber wirbt er für sich. Auf einem Plakat kündigt er die kommende Menzl-CD an.

„An dem Abend is im Zelt sogar das Bier ausganga“Josef Menzl

Die Blaskapelle hat sich darauf positioniert wie Wildgänse fliegen – in Formation. Mit Josef Menzl als Frontmann. „Reißt’s Eich zamm“, steht da. Und in Frakturschrift „Menzl spuid auf“. Fraktur passt zu ihm, meint der Grafiker. Aber auf „Menzl kommt“ hat er dann doch verzichtet.

Vor Weihnachten kommen Titel heraus wie: „Bei da Wirtin hint drin“ und „Der Wind spielt mit der Scheißhaustür“. Die starken Sprüche polen schon vor der Haustür um. Man betritt seine Heimat, und bei den ersten Schritten übers Hofpflaster drehen die Empfindungen ins Bayrisch-Rustikale. Es ist nicht kalt, es ist saukalt.

Kippen auf die Bühne geschnalzt

So bayerisch präsent muss einst Oskar Maria Graf in Lederhosen auf dem Roten Platz in Moskau gestanden sein wie Josef Menzl jetzt in der Tür steht. So stand der Josef schon mit 20 Jahren vor der Disko, als sich alle, die in der Reihe standen, in die Hosen machten, ob sie fein genug angezogen sind, um reinzukommen. „I bin einfach durch.“ Und so hat er sich auch im Glöcklzelt gegen die Front der Blasmusik-Verweigerer durchgesetzt, die Kippen auf die Bühne schnalzten. „So, jetzt hab’s noch zehn Minuten, ihr könnt’s aufstehen und rüber gehen ins Hahnzelt.“

Tracht und Blasmusik sind für ihn etwas Natürliches. Jetzt, wo die Dult „voller Dultaffen und Dultschnallen in magentafarbigen Dirndln ist“, hat er sich überlegt, ob er die Lederhose wieder ausziehen soll. Er ist so frei. Den Marketing-Trends misstraut er.

Vier Stunden später wird er beim Bockanstich im Mutterhaus aufspielen. Es ist einer von 50 Auftritten im Jahr. Aber jetzt ist er Familienmensch. Seine Frau Evi sitzt bei der Tochter Johanna über den letzten Wörtern der Englisch-Hausaufgabe, Sohn Andreas, Altist im Konzertchor, ist noch in der Schule bei den Domspatzen. „Du Däd, was ist die Steigerung von bad?“ - „Bäder“, sagt Menzl und lacht, dass die Fenster wackeln.

Er zeigt derweilen sein ungeheiztes Arbeitszimmer, in dem er alle die Arrangements schreibt, die zwischen „Alter Wies'n“ und Gäubodenfest den Menzl-Sound ausmachen.

In den Regalen steht eine beeindruckende Steingutsammlung, die Menzl seit seinem 15. Lebensjahr vervollständigt. Er war immer anders. Mit 11 hörte er nicht Nino di Angelo, sondern d’Saulocker. Bei der Tür hängt sein Idol Jeff Bridges. „The Big Lebowski ist mein Lieblingsfilm.“ Darunter lehnen zwei Gitarren. Sie zeigen: Ja, es gibt auch den anderen Josef Menzl. Den sensiblen Barden Josef Menzl, der seine Evi innerlich zum Glühen bringt, wenn er zur Gitarre greift und anstimmt „Besame, besame mucho“.

Auf der Lehne des Kanapees, das jeder Künstler braucht, um von der Muse geküsst zu werden, liegt ein Josef Menzl Fan-Schal, den ihm seine Münchner Fans zum 20-Jährigen geschenkt haben. „Reißt’s Eich zamm“, steht auf der Vorderseite des Einzelstücks. Und auf der Rückseite das Mantra der Bayern: „Leck mich am Arsch“. Mit diesem Kraft-Titel will er irgendwann noch eine CD herausbringen. „Leck mich am Arsch. Das passt einfach auf alles“, sagt er. Menzl redet Fraktur. Die härtesten bayerischen Sprüche klingen in seinem Haus wie die Allerheiligen-Litanei.

Der Rasen ist frisch gemäht. Von Robbi dem Roboter. „I hab a Weißbier aufg’macht und dabei zuag’schaut“, bekennt Josef Menzl. Er mag Biergärten lieber als Bauerngärten. Seiner Frau Evi geht’s ebenso. Sie weiß, von was sie spricht. Sie ist die Wirtin von der Walba. Bayern schaut nach Unterirading, seitdem die Menzls die bankrotte Ausflugsgaststätte Walburga Reisingers übernommen haben.

Josef Menzl ist Baujahr 1973. Es war das Jahr der ersten Energiekrise mit Fahrverboten auf der Autobahn. Die Energiekrise hat einen Bogen um Menzl gemacht. Der Mann hat ein Wirtshaus, eine Blaskapelle und arbeitet vier Vormittage im Finanzamt.

„Zwei Kinder, zwei Gschäfta und vier Jobs, da brauchst Platz.“ Die Eltern sind ausgezogen. Sie haben hinterm Maschendrahtzaun gegenüber ihren Austrag. Der Vater, Berufsfeuerwehr-Mann, war derselbe Zwei-Meter-Riese. Josef Menzl hat mit 15 gemacht, was der Papa sagt: „Josef, geh zum Finanzamt. Die Musik kannst nebenbei macha. Recht hat er g’habt.“ Sein Bruder Sebastian ist IT-ler bei BMW und wohnt ein paar Häuser weiter. Sebastian (Posaune) und Josef (Klarinette) bilden den Kern der Blaskapelle, die vor einem Jahrmit dem Landkreis-Oskar ausgezeichnetwurde.

Menzls Haus zeigt deutlich Übergröße. Die Treppen und der Flur in Menzls Haus haben Ausmaße wie die Bayerische Seen- und Schlösserverwaltung. Die Türstöcke sind aus rohem grauem Holz und gut 2,10 Meter hoch. Der Vater hat das Haus 1980 gebaut. Menzl selber langt nichts an. „I bau nix. I mog nix Neis.“ Er mag eingelebte Häuser, er mag bodenständige, gewachsene Musik. Das taugt ihm. Sein Leben ist die Musik. Immer hat er ein Stück im Ohr. „Und irgendwann werd ich Musik studieren.“

Als Hutablage dienen die 16 Enden des Geweihs eines Hirschen von der Größe, die es in Bayern nicht mehr gibt. „In Chile ist der rumgelaufen.“ Menzl hat 15 der Geweihe dieses Formats. Hier im Haus und in der Walba. Ihre Größe spiegeln den Besitzer. Josef Menzl ist 1,94 Meter groß, 105 Kilo schwer und lebt mit Schuhgröße 47 auf großem Fuß. Diesen Mann mit Übergröße hat Bayern gebraucht. Er hat mit seiner Wucht die Blasmusik wieder in die Bierzelte zurückgebracht. Und zwar am Abend. Dort hatte, bis Menzl kam, von Coburg bis Kiefersfelden der Ballermann regiert.

Alle Wirtshauslieder unzensiert

Otto Ebner, Kiem Pauli, Adolf Eichenseer: Seine Vorbilder sind alle schon tot. Für Menzl ist der verstorbene Bezirksheimatpfleger ein Übermensch. „Sein größter Verdienst ist, dass er die Wirtshauslieder herausgebracht hat. Hut ab. Unzensiert.“ Alle Gruppen schöpften heute daraus.Bei Menzls Auftritten sollen die Gäste mitsingen.Er hat Liederbücher drucken lassen. „Wer nicht singt, der stinkt.“ Heute, sagt er, „wird nicht mehr gesungen, nur noch übers Handy gewischt“.

Sein Erfolgs-Rezept heißt auf Kraftbayrisch: „Scheiß da nix, dann fehlt dir nix. Alles geben,dem eigenen Stil treu bleiben– dann irgendwann kommen’s, die Leute.“ Seinen ersten Auftritt im Hahnzelt vor 18 Jahren bezeichnet er als Reinfall. Sein Siegeszug ging über den Umweg Straubing. Am 11. September 2009 kam der Durchbruch. Ein Gäubodenzelt-Wirt hatte offen gegen Blasmusik gelästert. Um Zehne sei damit jedes Zelt leergeblasen. Menzl hat dagegen gewettet. Die Zeitung schrieb danach: „Kein Erfolg. Ein Triumph!“ Menzl: „An dem Abend is im Zelt sogar das Bier ausganga.“

Er wirft ein paar Scheiteln in den großen grünen Kachelofen. Dann setzt er sich auf einen der drei HB-Stühle, die er sich beim Schafbauer erspielt hat. Warm braucht er’s. Er ist nicht oft angeschlagen, aber heute ist so ein seltener Tag. Deswegen hat er nur Energie für zwei. Er trinkt kein Weißbier, sondern Ingwertee, den er immer wieder aus einer großen Metallkanne nachschenkt. Seine Evi hat ihm gleich eine ganze Knolle hineingetan. „Eine Rosskur“, sagt er. Er schafft das. Abends im Mutterhaus muss er sich im zähen Fluidum aus schwarzem Bock, Händlmaiersenf und Schweinswürstl behaupten. Bis 23.30 Uhr hat er durchgehalten. Mit 43 Jahren ist er noch nicht über dem Zenit.

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