Psychologie
Falsche Erziehung macht Kinder oft krank

Schmerzen ohne körperliche Ursache sind bei Kindern häufig ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Ein Arzt berichtet aus der Praxis.

25.02.2019 | Stand 16.09.2023, 5:41 Uhr

Kinderärzten fällt auf, dass psycho-somatische Krankheiten bei Kindern zunehmen. Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Seit 30 Jahren arbeitet Georg Leipold als Kinderarzt. „Damals waren psycho-somatische Krankheiten bei Kindern eine Rarität“, sagt der Regensburger Arzt, der auch Vorstandsmitglied im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte ist. Heute machen Krankheitsbilder wie Verhaltensauffälligkeiten, Konzentrations- oder Somatisierungsstörungen, das heißt Schmerzen ohne körperliche Ursachen, 15 Prozent der Fälle aus, die Leipold in seiner Praxis behandelt. Erziehungsprobleme spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

„Danken, Grüßen, Manieren bei Tisch – mit dem Fehlen einfacher Verhaltensregeln fängt es an“, erklärt Leipold. Für Kinder sei es wichtig, dass es zu Hause Regeln gibt, die immer gelten, so dass die Kleinen eine klare Orientierung haben. Fehlen diese etwa im sozialen Umgang mit Anderen, kann dies zu Isolation und Einsamkeit führen. Teils muss er die Eltern in seiner Praxis auf Probleme aufmerksam machen, aber die meisten sprechen von selbst ihre Sorgen an, zum Beispiel, wenn sie Rückmeldungen aus dem Kindergarten bekommen. Der Arzt berichtet von Kindern, die dort keine Freunde finden – ein möglicher Hinweis auf eine Störung im Sozialverhalten, die sich im Schulalter fortsetzen kann.

Tollkühne und Schüchterne

PC und Handy: verlorene Zeit

„Heute ist die Spaßgesellschaft wichtig“, sagt Leipold. Es gebe mehr Ablenkungen für die Eltern, aber sie hätten auch andere Erwartungen als früher. „Mutter und Vater sind in ganzer Person gefordert, auch wenn es mal keinen Spaß macht.“ Für manche Eltern sei das Smartphone dann eine willkommene Beschäftigungsmöglichkeit für ihren Nachwuchs. Ein Zweijähriger verbringt am Tag durchschnittlich zweieinhalb Stunden vor einem Kommunikationsmedium. „Für das Kind ist das verlorene Zeit“, so Leipold. Er betont die Bedeutung des freien, kreativen Spielens. Wichtig dabei: der Mutter-Vater-Kind-Faktor. Die kreative und sinnstiftende Beschäftigung mit dem Kind komme heute viel zu kurz. Bei manchen Kindern führe das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit dazu, dass Schmerzen und Beschwerden instrumentalisiert werden, um Zuwendung zu bekommen.

„Jede Gesellschaft hat die Krankheiten, die sie verdient.“Georg Leipold, Kinderarzt in Regensburg

„Jede Gesellschaft hat die Krankheiten, die sie verdient“, sagt er und spielt damit auch auf den Zeit- und Leistungsdruck an. Wenn die Kinder früh in die Krippe gegeben werden, haben die Eltern zu wenig Interaktion mit dem Kind. Außerdem erwarten sie oft zu viel, etwa, dass das Kind im sozialen Rahmen von selbst alles richtig macht. Das Kind soll möglichst erfolgreich sein. Dazu wird dann oft jeder Wochentag mit Sport, Musikunterricht oder Nachhilfe verplant. „Es ist eine Schicht, die von sich selbst erwartet, alles gut zu machen und das auch von ihren Kindern erwartet.“ Selbst bei Helikopter-Eltern, die für ihre Überfürsorglichkeit verschrien sind, vermisst Leipold die angemessene Beschäftigung mit dem Kind. Denn nicht das gemeinsame Leben stehe für diese Eltern im Fokus, sondern Überwachung und Kontrolle, damit alles perfekt funktioniert.

Grundsätzlich rät Leipold Eltern, möglichst viel Zeit mit ihrem Kind zu verbringen und dabei seine Entwicklung wohlwollend zu begleiten. Das heißt sowohl zu fordern, als auch warmherzig, fürsorglich und respektvoll zu unterstützen. Das Kind muss etwas probieren und auch mal scheitern dürfen.

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