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Ulrich Laube: Imker mit dem Falkenauge

Jeden Samstag richtet Ulrich Laube an seinem Marktstand in Regensburg den Blick in den Himmel. Dort kann er den Teufel sehen.

26.04.2018 | Stand 16.09.2023, 6:05 Uhr

Domspion Ulrich Laube (70) richtet sein Spektiv ein. Foto: Wanner

„Was hätt ma denn braucht?“ Der Imker Ulrich Laube steht jeden Samstag mit seiner süßen Ware bei der Pieta am Alten Kornmarkt. Weil an seinem Stand, im Dreieck zwischen Gemüse und Kartoffeln, nicht so ein Andrang istwie weiland beim Würstltoni, hat der 70-Jährige die Muse, immer wieder mal die Augen zum Himmel zu richten. Distanziert, wissenschaftlich – durchs Spektiv.

Er ist da freigebig. Kunden bietet er kostenlos auch einen Blick an. Das sündteure Fernrohr vergrößert 30-fach. Es ist wackelfrei auf einem Stativ montiert. Die Kinder lässt er auf einen Schemel steigen und verspricht ihnen „den Deifel“. Erwachsenen bietet er einen kühlen Blick auf den Dom an.

Den Teufel im Blick

Wer nicht ausgeschlafen ist, sagt „den kenn i scho“. Aber die meisten Marktbesucher haben ja gute Laune. Jedes Mal genießt Laube den „Aha-Moment“, wenn der Kunde das Auge zum Okular führt. Wahnsinn! Messerscharf und formatfüllend sieht man den Wasserspeier am Dom, den Teufel. An seinem Hals kann man sogar die Flechten wachsen sehen. Manchmal stellt Laube auch auf die linke Domspitze scharf. Wenn man Glück hat, sieht man auf dem Geviert unter dem Blitzableiter, wie sich der Wanderfalke das Gefieder putzt. Dem Auge des Imkers Ulrich Laube entgeht nichts, was sich auf den beiden filigranen Domhelmen tut. Sogar das farbige Band hat er bemerkt, dass die Steinmetze um eine Domspitze geschlungen haben.

„Zur Demut beugen diese Dome und zwingen zum Christentum.“Heinrich Laube (1808 bis 1884)

Jeden Samstag um 6 Uhr packt Uli Laube sein einzigartiges Dreirad, ein Mokuli von Simson mit 50-Kubik-Maschine und rattert über die Nibelungenbrücke in die Stadt. Sein Leben ist bunt und reich und ähnelt darin dem einer Matrjoschka-Puppe – eiförmig, bunt und schachtelbar.

12 Völker hält Uli Laube an vier Standorten. Nimmt man an ihm den Imker weg, entdeckt man etwas Dunkles, den Landschaftsgärtner, der 30 Jahre lang Mittelstreifen auf der Autobahn plante. „Ich wurde zum Imker, als der stellvertretende Vorsitzende des Sinzinger Imkervereins, Hofmeister, ins Büro kam und sich beschwert hat, seine Bienen seien hin, weil die Autobahndirektion gegen Unkraut spritzen lässt.“ Sofort stellte er die Spritzerei ein und besuchte die Imkerversammlung.

Unter dem geläuterten Landschaftsgärtner erscheint der Cellist, der mit den Schönhartings, den Brauern von Eichhofen und dem ehemaligen Gastroenterologen-Professor Dr. Karl Hermann Wiedmann (Barmherzige Brüder) sowie dem Rechtsanwalt Niels Espenhain Mozarts Streich-Quintett D-Dur KV 553 spielt. Darunter wiederum scheint der Literat hervor, der drei Bücher gleichzeitig liest. Diese verschachtelte Matrjoschka-Existenz kommt, glaubt man seinem Vater Berthold, Elektroingenieur bei AEG (1908 bis 1993), nicht von ungefähr.

„Reise ins Biedermeier“

„Wir sind mit Heinrich Laube verwandt“, raunte er. Seine Kinder haben es noch im Ohr. Der berühmte Urgroßonkel (1806 bis 1884) war ein Zeitgenosse Heinrich Heines und späterer Direktor des Wiener Burgtheaters. Der aufgeklärte Geist schrieb Reisenovellen und hasste die sogenannte Reaktion. Unter dem Titel „Reise ins Biedermeier“ widmete er auch der Domstadt Zeilen. Er bewertete, was sein Nachkomme heute Samstag für Samstag durch das Okular seines Fernrohrs betrachtet. „Man kommt sich ärgerlich klein vor im Anschauen dieses schweigenden Gebäudes mit seinen hohen steinernen Mauern und ragenden Pfeilern. Zur Demut beugen diese Dome und zwingen zum Christentum.“

Sich zu demütigen fiel dem Zeitgenossen von Karl Marx schwer. „Breit und massiv, lassen sie ihre gebieterische Größe und Gewalt erst empfinden, wenn man dicht vor ihnen steht. Kleine Vertiefungen strecken sich an der Fassade in die Höhe. In kleinen Nischen unter zierlich gezackten Schutzdächern stehen putzig aussehende Könige, Frauen und Heilige, die sich in der Nähe recht groß ausnehmen mögen. Kraus wie die Wellen des Meeres laufen steinerne Schnörkel bis an den Giebel hinauf, wie die tausend kleinen Gesetze und Verbote des Christentums.“

Und ganz im modernen Sinne rümpfte er die Nase darüber, wie da Geld verplempert wurde. „Man fühlt, wie viel Zeit man im Mittelalter hatte, da ein einziger Mensch sein halbes Leben lang an einem Standbild oder an einer Reihe von Schnörkeln arbeiten mochte, die unter normalen Umständen nie ein menschliches Auge wieder sehen.“ Heinrich Laube betrat auch den Dom, um sich seinen düsteren Eindruck zu bestätigen. „Ich glaubte, die langen und langweiligen Gesichter und Gestalten der alten Reichstage aus den Seitengängen starren zu sehen. Aus den blauen und roten Fenstern fiel ein mattes Licht in das hohe Schiff der Kirche. Ich setzte mich auf eine Altarstufe, stützte mein Haupt in die Hand und wurde still in der steinernen Stille rings um mich.“ Ulrich Laube, der Domspion vom Kornmarkt, hat sich die Lektüre seines Vorfahrens vorgenommen, weil der seinen Fernstehenden-Blick auf die Kirche teilt, „aber auch wirklich schön schreiben kann.“

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