Menschen
Der Mut einer Bäckersfrau aus Reinhausen

Hedwig Frohnhöfer (80) steht seit 1957 in ihrem Laden. Als dann der Räuber kam und „Geld her!“ schrie, wurde sie zur Heldin.

22.01.2016 | Stand 16.09.2023, 6:51 Uhr
Helmut Wanner
Das Hausbrot hat die Form eines Kleeblattes oder Kreuzes: Jedenfalls hat es Hedwig Frohnhöfer an diesem Tag Glück gebracht. −Foto: Wanner

Als der Räuber vor ihr stand, verhielt sich Hedwig Frohnhöfer genau entgegengesetzt zu dem, was die Polizei in solchen Fällen rät. Die Polizei empfiehlt, auf keinen Fall den Helden zu spielen. An jenem Montag im August um 11 Uhr leistete die fast 80-jährige Seniorchefin der Bäckerei Frohnhöfer in der Donaustaufer Straße 20 aktiv Widerstand – und sie vereitelte die Tat.

Fast zwei Jahre danach spricht die mittlerweile 80-jährige Handwerkerwitwe erstmals darüber. Dabei wundert sie sich über das kalte Blut – in diesem Moment, den jeder andere Mensch fürchten würde.

Das vierblättrige Hausbrot

Vielleicht liegt ihr Glück auch am Hausbrot. Das Roggenbrot bäckt ihr Sohn wie ein vierblättriges Kleeblatt. „Ich war hinten beim Brot und hab gerade die Brotkästen ausgeputzt, wie er reinkommen ist. Ich hab mir noch dacht, der schaut ja aus wie ein Räuber, weil er die Kapuze so ins Gesicht reinzogen hat. Er hat plötzlich ein Messer in der einen und einen Schlagstock in der anderen Hand und sagt: Geld her! Und ich sag so zu mir: Des gibt’s ja ned! Zwei Einbrüche und ein Raubüberfall in einem Vierteljahr!“

„Und ich sag so zu mir: Des gibt’s ja ned! Zwei Einbrüche und ein Raubüberfall in einem Vierteljahr!“Hedwig Frohnhöfer

Zuvor waren die Täter nachts über Schaufenster und Seitenfenster eingestiegen. Nun kamen sie am hellichten Tag. Seit 1957 sitzt sie da, mittlerweile auf einem weißen Drehstuhl ohne Lehne, und die Kasse ist elektronisch. Als sie damals, wie befohlen, Richtung Kasse ging, war da plötzlich dieser Gedanke in ihrem Kopf: „Warum soll ich denn die Kasse aufmachen. Ich hab doch eine Verantwortung gegenüber dem Finanzamt.“ Sie hat die Kasse nicht aufgemacht.

Angezogen ist sie im Zwiebellook der Nachkriegsfrauen. Roter Pullover drunter, weiße Schürze und lila Strickweste drüber. Pflicht im Herzen, den Mut einer Löwin und diesen kleinen Schalk im Nacken, der sie ans Finanzamt denken ließ. Ein Kunde kauft ein Salzstangerl gleich in die Hand. Er scherzt, ob er es denn ohne die Tüte billiger kriegt. Sie kontert: „Rufen S' halt die Merkel an. Die schafft das.“

Nächstes Jahr werden es 60 Jahre sein, dass ihr Mann Max Frohnhöfer gegenüber der Kirche St. Joseph die Bäckerei eröffnet hat. Nun sitzt sie immer noch da, ehrenamtlich, und sagt mit einem plötzlichen existenziellen Ernst in der Stimme. „I bin die frühere Chefin. Deswegen mach ich’s, wissen S‘.“ Freizeit hatte sie nie. Hobbys? „Nix. Außer die Kirch‘“, sagt sie spitzbübisch. Die liegt quer über der Straße.

Noch immer schreibt sie die Beträge für Croissant, Spitzl und zwei Glatte mit Bleistift auf einen Zettel und geht dann damit auf schwerer gewordenen Beinen am Zwiebelregal vorbei die paar Meter zur Kasse. Eine Stammkundin zahlt 3,29 Euro, weil sie auch noch einen Tee dazu mitnimmt. Sie spricht vorm Gehen das aus, was sich alle ihre Stammkunden denken: „Diese Frau muss man bewundern.“

Hedwig Frohnhöfer ist eine geborene Janner. Beim Start im Juni 1957 war die Bäckerstochter aus (der) Weiden gerade 22 Jahre alt. Die Bäckersfrau mit Abitur gebar in Reinhausen fünf Kinder, begrub die ersten zwei Buben, den einen mit acht Monaten und den anderen mit zehn Jahren. Und sie begrub ihre akademischen Zukunftspläne. „Mein Vater hat gesagt, Mädl du darfst alles werden und studieren, auch auf einen Doktor. Dann hat es ausgerechnet ein Bäcker sein müssen. Ich wollt nie ein Geschäft.“ Sie lächelt.

Sie möchte noch mal jung sein, sagt sie. „Aber ned in der Zeit, wie’s jetzt is. Da ging die ganze Gaudi noch mal los.“ 70 Jahre steht sie nun schon in der Bäckerei. Mit neun oder zehn Jahren musste sie neben der Schule im Laden mitarbeiten. „Mein Vater ist nimmer zurückgekommen.“ Die Pflicht hält sie auch jetzt auf dem Posten. Die letzte Bäckereifachangestellte hat vor zehn Jahren gekündigt. Jetzt ist sie ganz allein. Sie kann nicht mehr weg – und will auch nicht. Der Laden ist ihr ans Herz gewachsen.

Fünf Jahre für den Räuber

Ihr 2000 verstorbener Mann Georg hat mehrmals modernisiert. Dem Laden merkt man das Bemühen an,in der Ära des Bäckersterbens mit der Zeit zu gehen. Frohnhöfer wollte der Konkurrenz trotzen und Supermarkt-Atmosphäre erwecken. Neben dem pudding gefüllten Biskin-Eck, das nur sie hat, ist hier auch alles zu haben: Die gute alte Liebfrauenmilch, der Boskop-Äpfel, die Erika festgekochend, Spüli, Raphaelo und Excellent-Katzenstreu.

Die Glastür reagiert auf Bewegung. An der Kasse stehen um die zehn Einkaufswägelchen rum, die auch nicht einer anfasst. Hedwig Frohnhöfer aber ist froh um die nutzlosen Dinger. Sie dienten ihr als Waffe gegen den Räuber. „Ich hab die Körbel genommen und sie gegen ihn gestoßen. Da haben wir so hin und her gerauft. Und ich denk mir noch, wann er mir den Stock überziehen wird. Dabei fall ich hin und lieg da. Und er denkt sich, das war’s, und geht zur Kasse.“ Aber die Kasse ist nicht aufgegangen.

In der Zwischenzeit rappelt sich die Chefin auf. Sie weiß nicht, wie sie hinten herum bis zum Büro gelangt ist. Jedenfalls verriegelte sie die Tür und rief die 110. Der Rest war Routine. „Er wurde geschnappt. Ich hoff, dass es ihm was hilft. Dass er sein Leben ändert“, sagt die Frohnhöferin. Der Räuber bekam fünf Jahre. „Ja es gab Leute“, sagt sie, „die haben mir vorgeworfen, dem Mann wegen ein paar Zigaretten das Leben verbaut zu haben.“

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