Menschen
„Lass mich von Problemen faszinieren“

In einer Zeit, in der die Unis zu verelenden drohten, förderte Helmut Altner das Stiftungswesen. Als Rektor in Regensburg wirkte er nachhaltig.

26.07.2014 | Stand 16.09.2023, 7:17 Uhr
Helmut Wanner

Helmut Altner liest Bert Brecht. Die Geschichte über das Lob erinnert humorvoll an die Fehler des Meisters, die die Schüler schon längst vergessen haben.Foto: altrofoto.de

Auf einen Kaffee bei Rektor Prof. Dr. Helmut Altner. Der Gast hatte nicht wirklich einen lichtdurchfluteten Elfenbeinturm erwartet, mit Biedermeiermöbeln, dekorativ aufgeschlagenen Kunstbänden, frischen Blumen in der Vase, Fotos an den Wänden, die ihn in Gemeinschaft bedeutender Männer zeigen und einem grandiosen Blick auf einen englischen Garten.

Eine marmorne Wendeltreppe führt nach unten. Das im Halb-Dämmer liegende Arbeitszimmer ist getrennt vom Familienleben. Der Biologe hat sich für die Arbeit eingegraben. Er will die Wurzeln sehen. Im Keller hat er seinen ihm gemäßen „Denkort“ geschaffen. Bücher in umlaufenden Regalen und auf einem Regalbrett, unerreichbar hoch: die Kopie der Venus von Willendorf.

Leistungsglück beim Pilzesammeln

Sie schaut aus wie ein Schwammerl. Schwammerl haben ihm Glück gebracht. Ohne Pilze wäre Altner nie Biologe geworden. Seinem Biologielehrer dankt er die Begeisterung und das enorme Wissen über Pilze, das er schon mit 14 Jahren hatte. Letztes Jahr hat er über 12 Kilo Steinpilze gefunden. „Während andere Senioren Geld zahlen, um sich an Geräten zu schinden, bücke ich mich auf fünf Kilometer 85 Mal.“ Altner hat Humor. In Momenten wie diesen empfinde er „Leistungsglück“. Den Begriff hat seine Frau geprägt.

Im Bewusstsein der Regensburger ist Altner Rektor der Uni, wie Adolf Eichenseer Bezirksheimatpfleger ist. Beide sind oder werden 80, aber Altner mag keine Gespräche über Lebensbilanzen. Stapel von Büchern liegen auf einem Beistelltisch. Darum greift der altgediente Wissenschaftsmanager aus all den Büchern gerade zu diesem alten Suhrkamp-Band „Geschichten“ von Bert Brecht. „Als Herr K. hörte, dass er von früheren Schülern gelobt wurde, sagte er: Nachdem die Schüler schon längst die Fehler des Meisters vergessen haben, erinnert er selbst sich noch immer daran.“ Es habe auch wenig Glorreiches in seinem Leben gegeben, sagt er.

Den weltbekannten Philosophen Vittorio Hösle konnte er nicht holen und den Erziehungswissenschaftler Manfred Prenzel nicht an der Uni halten. Das habe ihn damals sehr verbittert. Prof. Prenzel ist seit Juli Vorsitzender des Wissenschaftsrates. Auch Altner wurde dahin berufen. Das Jahr 1980 war zugleich der Beginn seiner Karriere als Wissenschaftsmanager.

Altner ist Urgestein der Regensburger Uni. Seit 1968 wirkt er an der Donau. An der LMU hatte er über den Geruchssinn der Amphibien promoviert. Nach seinem Wechsel in die Oberpfalz hatte er den Sonderforschungsbereich Biologie mit Schwerpunkt Sinnesleistung nach Regensburg geholt.

Altner blieb bis zu seiner Emeritierung hier, trotz lockender Angebote. Er liebt dieses Biotop Regensburg. Sein Professor Hansjochem Autrum war Strukturberater bei der Neugründung Regensburgs gewesen. Autrum hatte ihm die Donaustadt sehr ans Herz gelegt. Auch aus Treue blieb Altner. 1989 wurde er zum Rektor berufen. Es konnten viele nicht verstehen, womit die Stadt diesen Mann verdient hat.

Seine Frau Iris, eine Biologin, mit der er schon 43 Jahre verheiratet ist, stellt Espresso und Wasser auf den Beistelltisch. Der in Opladen bei Leverkusen aufgewachsene Sohn eines Chemikers sitzt da und strahlt Wohlwollen aus. Ambiente habe ihn bei der Arbeit nie fasziniert. „Ich lass mich von Problemen faszinieren.“

Alle Kraft für die Eliteförderung

Der in Breslau Geborene blickt von seinem Schreibtisch aus dunklem Holz „mit Geschichte“, über die er sich nicht verbreitet, wie durch einen Schacht nach oben. Farne im Dämmerlicht begrenzen den Horizont. Er hat sie gepflanzt. Sein jüngster Bruder, ein Landschaftsarchitekt hat ihn beraten. Sie waren drei Brüder. Günter Altner, Biologe und Theologe, ist verstorben. Er war Mitglied im Club of Rome.

1954 nach dem Abitur hatte die Studienstiftung des deutschen Volkes Helmut Altner gefördert. Ein Mann wie Altner steckt das Privileg nicht einfach so ein. 10 Jahre hat er als Präsident, wie er sagt „ Kraft und Gedanken in die deutsche Eliteförderung investiert“. Und auch Geld: Jedes Jahr bekommt die Theodor Pfizer Stiftung einen ansehnlichen Betrag überwiesen.

Sein Schreibtisch sieht auch heute nach Arbeit aus. Die Zukunft verspricht zähe, kontrollierte Arbeit für sinnvolle Projekte: den Bau der Synagoge, für die Bachorgel in Dreieinigkeit, für Donum Vitae … Als Wissenschaftsmanager auf Bundesebene sei er in seiner Arbeit ungeheuer effektiv gewesen, heißt es. Ehemalige Kollegen sprechen vom legendären Altner-Stil, der im Ministerium wegen seiner Präzision und Knappheit geschätzt war.

Die Arbeit an den harten Schreibtischbrettern schmeckt Altner süß. Vor kurzem ist er hier über seinem Vortrag „Eliteförderung: Zumutung oder Herausforderung?“ gesessen. Es war seine Abschiedsrede in Schloss Nymphenburg, in der er über Begeisterung, Leistung und Verantwortung sprach und Henry David Thoreau zitierte: „Das Höchste, was wir erlangen können, ist nicht Wissen, sondern Offenheit für Einsichten.“

Prof. Altner hat erst in diesem Jahr den Vorsitz des Elitenetzwerks Bayern abgegeben. Er gehörte zu den vier Gründervätern und er hat es die ersten zehn Jahre geführt. Altner hat dessen Kerngedanken so formuliert: „Ausgehend von Begabung, Begeisterungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, und nicht zuletzt auch Verantwortungsbereitschaft, vorbildliche Antworten auf Herausforderungen zu finden, die sich unserer Wissensgesellschaft stellen.“ Es war seine letzte große Verantwortung, und er ließ sie rechtzeitig vor seinem 80. Geburtstag los. Als Christ hat er einen kühlen Blick auf die Begrenztheit menschlichen Lebens.

Zu seinem 60. Geburtstag hatte er noch einen Paukenschlag gesetzt. Helmut Altner gab einen, für einen Privatmann, immensen Betrag in die Stiftung „Pro Arte“ ein. Es war die Begeisterung für die Stiftungsidee. Kurz vorher hatte der Regensburger Immobilienunternehmer Unternehmer Dr. Johann Vielberth mit seiner Universitätsstiftung den Sog erzeugt, von dem sich der damalige Rektor und andere gerne mitreißen ließen. Heute stärken 14 Einzelstiftungen mit einem Volumen von vier Millionen Euro Forschung und Lehre der Uni Regensburg. Die Stiftung Pro Arte habe er aus einer tiefen emotionalen Verbindung an die schönen Künste heraus geschaffen. Für die Musik, Literatur und bildende Kunst an der Uni sei es sehr schwer, Sympathien zu finden, die sich auch auszahlen. Er freut sich diebisch, ein Probenwochende des Uniorchesters in Prag unterstützen zu können.

Träger des Regensburg-Oskars

Altner hat eine hohe Idee von der Universität, die geschichtlich betrachtet, wie er sagt, immer in der Krise war. Größenwachstum, Anonymität und Fächerisolation beschäftigen ihn. Über den Bologna-Prozess ist er nicht glücklich, zitiert Klagen über Stromlinien-Studenten und Gängelei. Er selbst habe viel getan, um das Band der Zusammengehörigkeit an der Uni zu stärken. „Als ich nach 1968 begann, gab es doch starke Defizite in der Gesprächskultur.“

Der Verein ehemaliger Studenten der Uni Regensburg (ESdUR) verlieh ihm dafür das Bruckmandl. Der Regensburg-Oskar glänzt auf seinem dunkelgebeizten Schreibtisch wie Gold. Dieser Verein ESdUR ist lebendiger Beweis dafür, dass Altner einen Zielgedanken dauerhaft verankert hat. „Das Eigentliche an der Universität ist es, Studierende auf eine Idee hin zu integrieren, die jenseits des Faches liegt.“