Gedenken
An „Engel der Polen“ erinnert

In Berlin ehrt eine Ausstellung den Schwarzhofener Otto Küsel. In Auschwitz hat er viele Leben gerettet.

15.07.2020 | Stand 16.09.2023, 4:50 Uhr
Alfred Wolfsteiner
Von vielen Autofahrern fast unbemerkt, steht an der Staatsstraße 2040 in Richtung Neunburg der trapezförmige Granitstein. −Foto: Helga Probst

Einige 100 Meter vom Ortsrand entfernt steht an der Staatsstraße 2040 ein trapezförmiger Granitstein, flankiert von zwei Linden. Wie die eingelassene Bronzetafel informiert, erinnert der Stein an die unbekannten KZ-Häftlinge, die auf einem der Todesmärsche vom April 1945 hier am „Rosentraudl“ ums Leben kamen.

Eine Gruppe von neun Häftlingen hatte am 21. April versucht, aus dem Evakuierungszug des KZ Flossenbürg zu fliehen, und war mit Genickschüssen getötet worden. Auch aus dem zweiten Evakuierungsmarsch, der am 22. April 1945 Schwarzhofen passierte, fanden sich bei der „Kallmünzer-Wies“ am Pfarrerberg weitere tote Häftlinge. Insgesamt summierte sich die Zahl der toten KZ-Häftlinge im Raum Schwarzhofen auf 33 Personen. Sie wurden in zwei Massengräbern an der südöstlichen Friedhofsmauer beerdigt.

Auf Antrag der SPD-Markträte Angela Heller-Wolfsteiner und Anton Ziereis ließ die Marktgemeinde 1995 den Gedenkstein errichten. Der Stein war schon mehrfach das Ziel von KZ-Überlebenden. Besucht wurde er zum Beispiel im Juli 2014 von einer Gruppe von Überlebenden der Todesmärsche, die aus allen Teilen der Welt auf Einladung der Stiftung bayerische Gedenkstätten in die Oberpfalz gekommen war, um die Strecke der Evakuierungszüge nochmals mit dem Bus zu befahren. Beim Stopp am Schwarzhofener Marktplatz erinnerte Ortsheimatpfleger Alfred Wolfsteiner auch an den KZ-Häftling Otto Küsel, der nach der Befreiung der Häftlinge durch die Amerikaner in Stamsried eine neue Heimat in Schwarzhofen fand.

Viele Menschenleben gerettet

Otto Küsel war mit der Häftlingsnummer 2 einer der ersten „Funktionshäftlinge“ in Auschwitz gewesen. Durch seinen Einsatz in der Arbeitsverwaltung konnte er vielen kranken Häftlingen einen Posten im Innendienst des Lagers vermitteln und rettete damit ihr Leben. Damit wurde nach fast 20 Jahren auch plausibel, warum Otto Küsel im KZ Auschwitz den Beinamen „Engel der Polen“ trug, wie seine Witwe Rosi Küsel dem Ortsheimatpfleger im Sommer 1995 erzählt hatte. Küsel heiratete 1946 eine Schwarzhofenerin, baute in der Bodenäcker-Siedlung ein Haus und versorgte über Jahrzehnte die Menschen der Umgebung für ein Neunburger Unternehmer aus einem Verkaufswagen heraus mit frischem Obst und Gemüse – eine Tätigkeit, die er sehr liebte, weil sie ihm das große Maß an Freiheit erlaubte, wie er Bonner Studenten 1984 erzählte.

Was Otto Küsel den Studenten verschwieg, war die Tatsache, dass er im KZ eng mit dem polnischen Untergrund zusammenarbeitete. Der polnische Offizier Witold Pilecki hatte sich undercover in Auschwitz einschleusen lassen, baute dort eine Widerstandsorganisation auf und informierte die polnische Exilregierung in London über das Konzentrationslager Auschwitz, bis ihm schließlich nach zweieinhalb Jahren die Flucht gelang. Witold Pileckis Schicksal endete tragisch: Zwar überlebte er die Zeit des KZ-Aufenthalts in Auschwitz, doch machte ihm das kommunistische Regime nach dem 2. Weltkrieg den Prozess: Pilecki wurde 1948 als Verräter hingerichtet, weil er mit der Exilregierung zusammengearbeitet hatte.

Küsel stahl Gaskammer-Pläne

Das Warschauer Pilecki-Institut mit seiner im September 2019 eröffneten Auslandsrepräsentanz in Berlin hat es sich zur Aufgabe gemacht, als internationale Begegnungsstätte der Kultur, der Forschung und des Lernens zu wirken. Die erste Ausstellung am Pariser Platz erinnert unter dem Titel „Der Freiwillige – Witold Pilecki und die Unterwanderung von Auschwitz“ an ihren Namensgeber, aber auch an den späteren Schwarzhofener Otto Küsel. Mateusz Falkowski, stellvertretender Leiter, schreibt in der Einführung zum Katalog: „Die Ausstellung zeigt… auch Otto Küsel, einen deutschen Gefangenen und Kapo in Auschwitz, der den Verschwörern mehrfach half und u.a. Pläne der Gaskammern stahl. Auch Küsel und sein Mut, in Deutschland kaum bekannt, sollten im Gedächtnis unserer nationalen und politischen Gemeinschaften präsent bleiben.“