Film
„Wackersdorf“ zeigt ein inneres Dilemma

Der neue WAA-Film erzählt von den Anfängen der Proteste. Er will Fiktion sein – und kann doch von der Realität nicht lassen.

13.06.2018 | Stand 16.09.2023, 6:07 Uhr

Hans Schuierer wird zum WAA-Gegner, der am Bauzaun kämpferische Reden hält. Foto: if... Productions/Erik Mosoni

Hans Schuierer steckt in einem Dilemma, einem großen, scheinbar unauflösbaren. Da ist die horrende Arbeitslosigkeit von mehr als 20 Prozent im Landkreis Schwandorf auf der einen Seite. Auf dem Landrat lastet der Druck, wirtschaftlichen Aufschwung in die strukturschwache Region zu bringen. Und da ist, auf der anderen Seite, der Schutz der Oberpfälzer Natur und der Erhalt der Heimat, der sich Schuierer ebenso verpflichtet fühlt. Wirtschaftlicher Nutzen versus Sorge um die Umwelt – diese beiden Pole prallen krachend aufeinander, als es Anfang der 1980er Jahre um den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Wackersdorf geht. Zwei Herzen schlagen in Schuierers Brust – zumindest am Anfang.

Dieser innere Konflikt ist der Stoff des neuen Films „Wackersdorf“, der gestern in den Münchener City Kinos zum ersten Mal gezeigt wurde, diesmal nur für Pressevertreter.Die offizielle Premiere des Films findet am 29. Juni beim Münchener Filmfest statt.

Der Landrat im Zentrum

Der Film setzt 1981 ein, als die Bayerische Staatsregierung erstmals Pläne für die neue Atomfabrik im Landkreis Schwandorf andeutet. Zu Beginn ist Hans Schuierer, gespielt von Johannes Zeiler, begeistert: Mindestens 3000 neue Arbeitsplätze verspricht der bayerische Umweltminister (Sigi Zimmerschied) in einem streng vertraulichen Gespräch mit dem Schwandorfer Landrat, „alles in weißen Kitteln“ und ohne jegliches Risiko für Umwelt und Bevölkerung. Schuierer, dem zunehmend der Zorn der arbeitslosen Bürger entgegenschlägt, sieht in dem Bauprojekt eine Lösung der prekären Lage. Er reist extra nach München, um sich persönlich für die WAA einzusetzen. Auch Karlheinz Billinger (Fabian Hinrichs), der sauber gescheitelte Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK), verspricht „Wohlstand und Sicherheit“ für die Region. Billinger wird schnell zum Duzfreud. Der Karlheinz, verspricht der Landrat zuhause in Schwandorf, nimmt sich der Sache persönlich an.

Doch Schuierers anfängliche Eurphorie hält nicht lange an. Eine Gruppe von Atomkraft-Gegnern hat sich zur „Bürgeriniative Schwandorf“ zusammengeschlossen und macht Stimmung gegen das Bauprojekt. Als die Polizei ohne rechtliche Grundlage und auf Weisung „von ganz oben“ rigoros gegen die WAA-Gegner vorgeht, wird Schuierer misstrauisch gegenüber dem Vorgehen der Staatsregierung.

Der innere Wandel

Als Schuierer auf dem WAA-Bauplan dann noch den 200 Meter hohen Kamin entdeckt, wird aus anfänglicher Skepsis endgültig Ablehnung. Der Kamin, so erklärt die DWK, soll die radioaktiven Abfälle breiter verteilen und damit den bleibenden Schaden für die Umgebung begrenzen. Schuierer kann das Vorhaben nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren. Er schlägt sich auf die Seite der Gegner.

1988 markiert den Anfang vom Ende der WAA. Wir fragen Peter Gauweiler, Hans Schuierer und andere: Wie weit darf Protest gehen?Lesen Sie hier ein Feature aus unserem großen MZ-Dossier zum WAA-Widerstand!

„Wackersdorf“ stellt den Landrat radikal ins Zentrum und erzählt dessen Wandel vom Befürworter zum Gegner.Sein inneres Dilemma wird zum Kernthema.Man sieht Schuierer zu Filmbeginn in einem verrauchten Wirtshaus-Saal bei einer Rede vor frustrierten, arbeitslosen Bürgern, denen er erfolglos die Oberpfälzer Tugend des „Durchhaltens“ zu verklickern versucht. Man sieht ihn als deplatzierten Provinz-Landrat im Münchener Maximilianeum, mit in Falten gelegter Stirn vor den Bauplänen und als entschiedenen Widerstandskämpfer, der am Bauzaun kämpferische Worte schwingt. Der Film endet 1986 – dem Jahr, in dem die realen Proteste am Bauzaun hochkochten und es zu den härtesten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei kam. Es ist auch das Jahr der Atomkatastrophe von Tschernobyl. Der Film bindet den Super-GAU mithilfe von Archiv-Einblendungen der „Tagesschau“ ins fiktive Geschehen ein.

„Wackersdorf“ bleibt immer nah an Schuierers Perspektive und so ist er auch der Einzige, der den Namen seines realen Vorbilds trägt. Alle andere Figuren tragen fiktive Namen: so Monika Gegenfurtner, die mutige und vorlaute Sprecherin der Demonstranten. Überzeugend wird sie gespielt von Anna Maria Sturm. Es bleibt der Interpretation der Zuschauer überlassen, sie als Verkörperung ihrer Mutter Irene Maria Sturm zu verstehen, die zur WAA-Zeit tatsächlich eine der Vorkämpferinnen am Bauzaun war. Die Vertreter der Staatsregierung bleiben im Film gleich vollkommen namenlos, so der etwas knödelige Umweltminister (Sigi Zimmerschied) und der hyperkorrekte Innenminister (August Zirner). Auch der überambitionierte Staatssekretär (Frederic Linkemann), der die WAA zu seinem persönlichen Erfolgsprojekt machen will – koste es, was es wolle – trägt keinen Namen. Parallelen zu realen Politikern dieser Zeit, vom Umweltminister Alfred Dick über Innenminister August Lang bis zum Staatssekretär Peter Gauweiler legen die Szenen allzu nahe – machen sie jedoch nicht explizit.

Zeitzeugen und frühere WAA-Gegner erinnern sich an den Widerstand vor 30 Jahren und erzählen im Video, wie diese Zeit die Region verändert hat:

Keine klare Entscheidung zwischen Realität und Fiktion

Das ist schließlich auch die Schwäche, die man dem ansonsten packenden Film ankreiden kann: Er trifft keine klare Entscheidung zwischen historischer Dokumentation und fiktiver Überformung. Es scheint, die Macher wollten beides vereinen: sich sowohl die Schlagkraft des Widerstands vor 30 Jahren filmisch zu eigen machen, als auch die künstlerische Freiheit der Fiktion beibehalten. Diese Rechnung geht am Ende nicht ganz auf.

In diesem Video kommen Schauspieler und Regisseur des „Wackersdorf“-Films zu Wort:

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Überzeugender ist „Wackersdorf“ in jenen Momenten, in denen der Film seinem Protagonisten Hans Schuierer nahe kommt. Das liegt zum einen am glaubwürdigen Spiel seines Darstellers Johannes Zeiler. Zum anderen ist es auch der Aktualität des großen Dilemmas geschuldet: Eine Politik im Konfliktfeld zwischen wirtschaftlichem Nutzen und Umweltschutz lässt sich auch heute beobachten –nicht nur auf der Leinwand, auch auf dem realen politischen Parkett.