Mit einem großen Erfolg kehrte Rainer Steinberger aus Polen zurück. Denn beim Race Around Poland, bei dem es galt, 3618 Kilometer und knapp 31000 Höhenmeter zurückzulegen, belegte er am Ende einen starken zweiten Platz – dies bedeutet den Vizeweltmeistertitel im Ultracycling.
Und Steinberger hat in diesen sieben Tagen im Rennen wieder viel dazugelernt, sagt er: „Ich habe in einem Wettkampf noch nie so viele Höhen und Tiefen erlebt, inklusive einer Wiedergeburt.“ War der Pösinger doch beim längsten Ultracyclingrennen in Europa und dem zweitlängsten auf der Welt am Start. Dabei sah er sich von den Straßenverhältnissen her mit den schönen, aber auch den negativen Seiten in Polen konfrontiert.
Wer solch eine Distanz zurücklegt und dabei 167 Stunden und 35 Minuten im Sattel sitzt, der kann einiges berichten. Und es ehrt den Pösinger, dass er nicht seine – zweifelsohne – herausragende sportliche Leistung in den Vordergrund gerückt wissen will, sondern vielmehr die Mannschaftsleistung: „Es war eigentlich mein Team, das mir das Rennen gerettet hat.“
Wichtige und richtige Entscheidung
Denn als von Donnerstag auf Freitag nach knapp der Hälfte der Strecke bei ihm nahezu nichts mehr ging, trafen die Betreuer, die Steinberger hinterherfuhren, eine wichtige und im Nachgang die richtige Entscheidung. Sie holten den zweifachen Familienvater vom Rad und nahmen ihn „virtuell gesehen“ aus dem Rennen. Fast fünf Stunden lang saß Steinberger nicht mehr im Sattel und nutzte die Zeit für eine ausgiebige Schlafpause.
Das hatte freilich zur Folge, dass Jimmy Rönn, der spätere Sieger, Steinberger enteilte und der Pösinger zwischenzeitlich sogar auf Platz drei zurückfiel. Mit dem späteren Sieger aus Schweden hatte sich der erfahrene Ultracycler vorher ein gnadenloses Rennen um den Weltmeistertitel geliefert. „Es war halt ärgerlich, dass er mich in der allerschlechtesten Phase meines Rennens überholt hat und mir dann enteilt ist.“ Denn vorher lag Steinberger stets in Führung. Doch nach der langen Pause ging es eigentlich nur noch bergauf: „Das hat dann richtig Spaß gemacht.“
Bis zu jener Teamentscheidung war Rainer Steinberger auch nicht schlecht unterwegs, doch der Schlafentzug und die auftretenden Probleme an einem Körperteil, das beim Radfahren bekanntlich sehr beansprucht wird, waren ursächlich dafür, dass er nicht mehr in seinen gewohnten Tritt kam.
Angesprochen darauf, wie schwer es Steinberger fiel, dem Team Folge zu leisten und zu pausieren, sagt der Pösinger: „Du bist so im Tunnel und mit dem Wundenlecken beschäftigt, dass du dann einfach gehorchst. So hab ich das Team nur gefragt: Was habt ihr für einen Vorschlag.“
Das Team meinte: schlafen. Der Pösinger gehorchte und legte sich hin. Das Nickerchen bezeichnete der spätere Vizeweltmeister im Nachgang als großes Risiko: „Ich hatte immer Angst davor, dass ich danach überhaupt nicht mehr in Tritt komme und so das Rennen verliere, wenn ich mich so lange hinlege.“ Als Steinberger wieder einstieg, merkte er aber schnell, dass genau das Gegenteil der Fall war.
Von seinen drei gesteckten Zielen hieß es ab sofort, noch so viele wie möglich zu erreichen. Sie lauteten: Das Ziel binnen neun Tagen zu erreichen und damit den Streckenrekord zu brechen, sich wieder den zweiten Platz zurückzuerobern und im besten Falle Rönn sogar noch abfangen. Zwei dieser drei Ziele erreichte Steinberger schließlich. Der Pösinger kam schnell wieder auf Touren, schloss wieder auf den Zweitplatzierten auf und gönnte so Rönn, der zwischenzeitlich schon bis zu 300 Kilometer enteilt war, fortan keine ruhige Sekunde mehr. „Mir war klar, dass er auch mal einen Einbruch bekommt und auch mal schlafen muss“, sagte Steinberger. Mit unglaublichen Tempo verringerte Steinberger den Rückstand und kam noch einmal bis auf 70 Kilometer an den Schweden heran.
„Ich habe dann in der letzten Phase des Rennens einfach noch einmal alles versucht und investiert – bis 150 Kilometer vor dem Ziel. Dann war aber der Ofen aus“, berichtet er. Rönn brach nicht mehr ein. Steinberger akzeptierte – im Bewusstsein, auf jeden Fall das Ziel als Zweiter zu erreichen – den Sieg des Schweden. Er schaltete mehrere Gänge zurück und rollte dem Ziel Warschau entspannt entgegen.
Team schiebt Überstunden
„Dass es überhaupt noch einmal so spannend geworden ist, ist auch meinem Team zu verdanken, das dann sogar Überstunden geschoben hat.“ Denn durch das unglaubliche Tempo, das Steinberger in der letzten Rennphase anschlug, passten die anvisierten Wechsel nicht mehr. Die zweite Crew hatte Schwierigkeiten, dranzubleiben.
Als Steinberger das Ziel in Warschau erreicht hatte, war er nicht nur Vizeweltmeister, sondern hatte erstmals im Ultracycling auf so einer langen Renndistanz gefinisht. Bleibt das eine einmalige Sache? „Ich denke nicht, denn ich habe gemerkt, dass die Lang-Lang-Distanz mich unglaublich reizt. Und ich möchte das Erlernte nun auch in weiteren langen Rennen umsetzen“, sagte Steinberger.
Ob es schon im nächsten Jahr wieder nach Polen geht, lässt der Pösinger indes offen. Das Alter – Steinberger ist mittlerweile 47 – sieht der zweifache Familienvater nicht als Problem an: „Solange es mir Spaß macht und meine Familie voll dahinter steht, mache ich weiter. Zudem kann ich durch mein vieles Training die natürlichen Probleme, die mit dem Alter auftreten, aus dem Weg räumen.“