Auf eine wilde Reise durch die Nacht begab sich Ultraläufer Markus Mingo beim Julian Alps Trail (JUT) in Slowenien. Über eine Distanz von 100 Kilometern und 5300 Höhenmetern wollte sich der Bad Kötztinger für den UTMB 2024 qualifizieren und erlebte dabei die Höhen und Tiefen eines anspruchsvollen Ultratrails.
„Slowenien, ein kleines grünes Land, zeichnet sich durch zahlreiche Naturschätze aus. Im südwestlichen Teil hat es Zugang zum Adriatischen Meer, im Süden findet man geheimnisvolle Wälder mit Resten von Urwäldern, und im nördlichen und nordwestlichen Teil wird es von den Alpen bedeckt, die sich bis auf fast 3000 m erheben. Dieses Naturjuwel, das auch durch den Triglav-Nationalpark geschützt ist, dürfen Läuferinnen und Läufer auf den herrlichen Strecken des Julian Alps Trail Run by UTMB umrunden,“ wirbt der Veranstalter für den JUT auf seinen Seiten. „Doch was haben sie zu verstecken, dass sie mich durch dieses Naturjuwel in der stockfinsteren Nacht laufen lassen?“, fragte sich Mingo vor dem Start.
Bei der Anmeldung war der Bad Kötztinger fast etwas blauäugig: Er wählte den Julian Alps Trail by UTMB weil er sich mit dem Rennen für den UTMB, die inoffizielle Weltmeisterschaft im Trailrunning in Chamonix, qualifizieren konnte. Die Perspektive: Mit einer Top-3-Platzierung wäre er beim UTMB 2024 fix dabei, mit einem erfolgreichen Finish hätte er immerhin die Chance über die Lotterie einen der begehrten Startplätze zu ergattern (siehe Qualifikationskriterien). „Zudem lag der Lauf in den Ferien, war mit verhältnismäßig wenig Aufwand zu erreichen und lag einen Tag vor dem Geburtstag meines Sohnes zu dem ich zurück sein musste“, erläutert Mingo seine Auswahlkriterien.
Start in der Nacht überrascht
Im Rahmen der Rennvorbereitung kam dann die große Erkenntnis: Der Start erfolgte nicht wie erwartet früh morgens, sondern erst um 21 Uhr abends: ein Nachtlauf! „Wenn ich etwas für mich verbuchen kann, ist es wohl die Fähigkeit der Resilienz: Ich versuche aus jeder Lage das Beste zu machen und möglichst optimistisch zu bleiben. Der Nachtlauf ist eine neue Erfahrung und wenn ich mich spute, bin ich zum Geburtstagsfrühstück zurück im Hotel – so der familienfreundliche Plan“, so der Ultraläufer aus dem Bayerwald.
Auch das Training war für ihn eine abwechslungsreiche Bereicherung. Es habe durchaus seinen Reiz, spätabends loszulaufen und in völliger Stille und Einsamkeit bei sternklarer Nacht am Gipfel eines Berges zu stehen. „Mein Highlight und zugleich auch die Schlüsseleinheit des Trainingsblocks: Zusammen mit Wolfgang lief ich an einem Samstagabend die U.TLW Runde. Start 20 Uhr in Lam, um 2 Uhr waren wir zurück am Ausgangspunkt. Wenn uns vor 20 Jahren jemand erzählt hätte, wie wir mit Anfang 40 unsere Wochenenden verbringen, hätten wir vermutlich mit dem Cuba Libre in der Hand nur müde gelächelt“, scherzt der Bad Kötztinger.
In seiner Wunschvorstellung wären er und sein Trainingspartner auch zusammen durch die slowenische Nacht gelaufen – leider musste dieser kurz vor dem Rennen verletzungsbedingt passen. Dafür „opferte“ sich die komplette Familie Hochholzer als Support und schlug sich mit Mingo die Nacht um die Ohren. Ein frisches Oberteil, neue Schuhe, Verpflegung oder eine weitere Stirnlampe können bei einem Ultra entscheidend sein.
Der Start in Radovljica erwies sich als famos und war einer UTMB-Veranstaltung würdig. Musik, Folklore und beste Stimmung in dieser wunderschönen Altstadt machten die Nacht zum Tag und schickten knapp 500 Trailrunnerinnen und Trailrunner auf die 100k Strecke. Die ersten 42 Kilometer mit „nur“ 1500 Höhenmetern erwiesen sich als erwartet schnell mit einem dichten Elitefeld. Nach 3:45 Stunden passierte Mingo die Verpflegungsstation, bevor es in den knapp 2000 Höhenmeter umfassenden Anstieg zum höchsten Punkt des Rennens (Stol auf 2157m) ging.
Ein Marathon zum Start
Das Schöne an Rennen über die Marathondistanz laut Mingo: „Wenn es beginnt weh zu tun, ist es meist auch schon fast vorbei. Anders bei Ultraläufen: Fühlte ich mich bis Kilometer 42 stark und empfand das Rennen als sehr kontrolliert, erwischte mich der Berg auf dem falschen Fuß. Eigentlich wollte ich auf dieser Passage angreifen, doch der Körper spielte nicht mit.“
Magenkrämpfe, Schwindel, Kopfschmerzen und Energielosigkeit machten dem Bad Kötztinger zu schaffen. Zudem: „Der Anstieg war teilweise so steil, dass ich zwei Anläufe brauchte, um auf den nächsten Felsen zu steigen. Das raubte mir jede Kraft. Gefühlt kamen die vielen Gels, Getränke und Energieriegel, die ich bis hierhin verdrückt hatte, nicht im Körper an. Meine Erklärung im Nachhinein: Ich hatte zwar das Laufen bei Nacht trainiert, nicht aber das Essen. Ich fluchte, haderte und kämpfte: Nie wieder Ultralauf!. Einzig die Verpflichtung des Geburtstagsfrühstücks motivierte mich nicht zu sehr zu trödeln.“
Zwischen Kuhfladen und Almpfaden
Doch am Gipfel ergab sich plötzlich eine komplett neue Situation. Dem Magen hatten die zwei Stunden Aufstieg gutgetan und mit neuem Elan und voller Energie ging es für den Ultraläufer aus dem Bayerwald ins alpine Gelände. Es war inzwischen 3 Uhr nachts und die nächsten 25 Kilometer empfind er als extrem schwer zu laufen. Steil, verblockt, ellenbogenbreite Pfade, knöcheltiefer Matsch und die Tücken des Nachtlaufs. „Kuhfladen und Wasserpfützen sehen identisch aus und ich hatte in der Dunkelheit Probleme, auf den vielen Almpfaden den Hauptweg zu finden. Einige 100 Meter sind immer wieder traumhaft zu laufen – beleuchtet vom Sternenlicht surfe ich auf über 2000 Metern Höhe durch die Stille der slowenischen Nacht“. schwankt Mingo zwischen Missmut und Begeisterung.
„Meiner Frau hatte ich im Vorfeld versprochen nichts zu riskieren und so werde ich auf den technischen Passagen immer wieder bis auf Rang 7 durchgereicht, kann in den kräftezehrenden Gegenanstiegen aber Boden gut machen. Für den Streckenabschnitt brauche ich deutlich länger als geplant, was auch eine positive Komponente hat. Ich erlebe die aufsteigende Morgenröte über den Julischen Alpen auf diesem Gebirgspfad – unbezahlbar!“
Ab Kilometer 75 hatte der alpine Teil der Strecke dann ein Ende und es folgten einfachere Abschnitte. Mingos Beine sind gut und er fühlt sich verhältnismäßig frisch. Für in bedeutet das: „Attacke! Schnell kann ich mich von meinen Mitstreitern absetzen und laufe, bejubelt von Max und Wolfgang, auf Rang 4 in die Verpflegungsstation bei Kilometer 80 ein.“
Ab in die Wettkampfpause
Hier hat der Bad Kötztinger zum ersten Mal seit Stunden Sichtkontakt zum Zweit- und Drittplatzierten und weiß, dass der ersehnte Podestplatz im Bereich des Möglichen liegt. Auf den letzten Kilometern fährt der Veranstalter noch einmal alles auf: „Ich laufe über Jungle-Pfade, durch ein Flussbett und sogar ein Stück auf den Resten einer Burgmauer, bevor ein acht Kilometer langes Asphaltstück folgt. Bei Kilometer 85 überholt Mingo zügig die beiden vor ihm Platzierten. Sie klatschen ihn kurz ab und lassen den Bayerwäldler kampflos ziehen. Es folgt die die letzte Verpflegungsstation bei Kilometer 92, der letzte Anstieg, bevor es in Richtung Ziel geht mit einer ordentlichen Portion Familienidylle: Seine beiden Söhne erwarten Mingo sehnsüchtig und laufen mit ihm zusammen gut gelaunt gemeinsam ins Ziel. Für ihn „unbeschreiblich schön“.
Mingo ist stolz auf diesen zweiten Platz bei einem international renommierten Rennen und freut sich über die direkte UTMB Qualifikation – ob er davon Gebrauch machen wird, weiß er allerdings noch nicht. Für 2023 ist es nun jedoch erst einmal gut. Nach einer gelungenen Saison mit zahlreichen Podestplätzen, keinen Verletzungen und jeder Menge Motivation für das nächste Jahr verabschiedet sich der Bad Kötztinger in die Wettkampfpause.