Leichtathletik
Der Beinahe-Olympiasieger Hermann Magerl

Am Sonntag wird Ex-Hochspringer 70 Jahre alt. Er schrammte 1972 in München am Gold-Coup vorbei – und half der Konkurrenz.

11.01.2019 | Stand 16.09.2023, 5:55 Uhr

Hermann Magerl (hier beim Länderkampf gegen die UdSSR und auf einem Foto einer seiner Autogrammkarten) wälzte sich noch im Straddle-Stil über die Latte. „Das macht zehn, 15 Zentimeter aus“, sagt Magerl.Foto: Privatarchiv Magerl (Werek/Werner Rzehaczek)

Die sportliche Karriere des Hermann Magerl ist eine, die eng mit dem Konjunktiv verknüpft ist. Wäre er nicht erst in Cham am 16. September 1972, sondern schon in München sechs Tage vorher jene 2,24 Meter hoch gesprungen, dürfte sich Magerl Olympiasieger nennen. So aber war es „nur“ deutscher Rekord und als Olympia-Vierter von 1972 die berühmte „Blechmedaille“, die keiner haben will. Es ist die bedeutendste sportliche Geschichte, die mit dem EM-Teilnehmer 1971 aus Obertraubling verknüpft ist – und eine, die immer und immer wieder erzählt wird. Besonders natürlich in Tagen wie diesen:Am Sonntag wird Hermann Magerl, der seit rund drei Jahren in Aschaffenburg zuhause ist und nach dem Tod seiner Frau wieder geheiratet hat, 70 Jahre alt.

Auch 46 Jahre nach dem Wettkampf spukt das „Was wäre gewesen, wenn...“ noch durch den Magerlschen Kopf. „Klar denke ich darüber nach. Aber es macht keinen Sinn. Es gibt Fakten – so wie beim Wetter“, sagt der Jubilar, der sich aus Frust über die Dopingdiskussionen „über Jahre, ja Jahrzehnte“ von der Leichtathletik distanziert und die Sportmedizin aufgegeben hatte. „Jetzt habe ich mich der Leichtathletik wieder zugewandt und verfolge sie am Fernseher. Die Problematik wird gut aufgearbeitet und auch Clemens Prokop ist ja sehr aktiv, auch wenn er nicht mehr Präsident ist.“

Der inzwischen zweifache Großvater, der den Tag gerne morgens mit einem Lauf beginnt, hadert nicht. „Ich muss schon dankbar sein, weil ich so viel Positives erlebt habe, was andere gar nicht erleben dürfen.“ Mit der aktuellen Generation wie Europameister Mateusz Przybylko fiebert er besonders mit. „Weil ich mir vorstellen kann, wie das ist vor 60 000, 70 000 oder 80 000 Zuschauern. Das habe ich x-mal erlebt. Und ich bin solidarisch mit deutschen Springern.“

Auch diese Solidarität hatte er 1972 bei den Olympischen Spielen gelebt. Der DDR-Kollege Stefan Junge stand in der Qualifikation unter 40 Springern bei 2,12 Metern vor dem Aus und musste in den entscheidenden dritten Versuch. Magerl gab dem Konkurrenten Tipps, Junge schaffte den Einzug ins Finale und gewann die Silbermedaille – vor Magerl. „Das ist für mich normale Mitmenschlichkeit“, erzählt Magerl heute. Wobei die Erinnerung an das damalige deutsch-deutsche Verhältnis langsam verblasst. „Er hatte zu mir gesagt, dass er Probleme kriegt, wenn ich nicht weggehe.“

Nicht nur einmal Konjunktiv

München 1972 war beileibe auch nicht der einzige Anlass im Konjunktiv zu Zeiten, in denen es in der Leichtathletik noch keine Weltmeisterschaften gab (die erste fand erst 1983 statt). 1968 stand er mit Chancen im Aufgebot der Junioren-Europameisterschaften, die dann boykottiert wurden – es hatte gerade der Einmarsch in die damalige CSSR stattgefunden. Oder 1969 Athen: Bei der Europameisterschaft durfte der zuvor geflüchtete Mittelstreckler Jürgen May nicht starten. „Die Mannschaft hat sich solidarisch erklärt“, berichtet Magerl. Alle Einzelstarts wurden abgesagt, „nur Staffeln gelaufen“.

Und dann waren da diese vom Palästinenser-Attentat auf die Israelis überschatteten olympischen Tage von München, diese „unglaubliche Tat“, wie es Hermann Magerl formuliert, „die mich unglaublich runtergezogen hat. Da fragt man sich, ob man nicht alles bleiben lässt.“ Nicht von ungefähr war für Hermann Magerl das deutsche Abschneiden zweigeteilt. „Die Goldflut mit Wolfermann, Meyfarth oder Rosendahl war vorher. Danach war es nicht mehr so prickelnd.“

Nicht so prickelnd war auch die persönliche Situation Magerls. Erich Deuser, der legendäre Masseur, hatte die dauerhaften Schmerzen am Sprunggelenk mit einem Verband zwar nicht beheben können. „Aber es war besser.“ Und dann war da das besondere Verhältnis zu Trainer Dragan Tancic, der später mit Carlo Thränhardt und Dietmar Mögenburg die ganz großen Erfolge feierte. „Fachlich war er sehr gut, aber menschlich waren wir zu verschieden“, sagt Hermann Magerl und erzählt die Geschichte von der Fotoserie im Olympia-Vorfeld, in der Tancic erklärt hatte, mit welchen Zeichen er Magerl was wie erklärt. „Avery Brundage (damaliger IOC-Präsident, d. Red.) hat daraufhin gesagt, dass er mich aus dem Betrieb nimmt, wenn er das sieht. Deswegen war mein Trainer beim Endkampf dann nicht da.“

Der Rekord als „Trotzreaktion“

Hermann Magerl stieg im Finale „bei 2,05 Metern ein“ und brauchte bis 2,18 Meter für alle Höhen bis auf die 2,15 nur einen Versuch. „Das war alles locker“, sagt Magerl. „Und dann hat bei 2,21 die Latte gewackelt, gewackelt und gewackelt – und ist dann doch runtergefallen.“ Sechs Tage später fuhr Magerl höchstselbst am Steuer „gemeinsam mit meinem Schwager“ nach Cham und sprang 2,24 Meter. „Das war eine Trostreaktion und Weltjahresbestleistung. Die 2,26 habe ich hauchdünn gerissen. In dem Jahr war ich der Springer mit den meisten Höhen über 2,20.“ Irgendwo im Magerl-Keller findet sich noch der Beweis auf Papier in einem Fachblatt. „Aber das habe ich seit 72 nimmer angeschaut.“

Magerl, der Hochspringer im Wälzer-Stil, versuchte sich auch noch an der Technik des aufkommenden Fosbury-Flops. „Ich war 1973 noch mal zu einem Lehrgang in Duisburg eingeladen. Ich bin hingefahren, aber das Feuer war nicht mehr da.“ Das frühe Karriereende mit 23 war perfekt. „Hochsprung ist sehr techniklastig. Deswegen kommen die großen Leistungen meist erst mit 28 bis 32“, weiß Magerl.

Er ist zwar längst in Rente, arbeitet aber immer noch als Arzt der klassischen Homöopathie und bildet sich fort. Für den runden Geburtstag am Sonntag kann Dr. Hermann Magerl aber nicht mal im Konjunktiv sprechen: Er weiß nicht, was passieren könnte. „Ich bin kein Feiermensch. Meine Frau hat irgendwas angekündigt. Und einen Handwerkertermin am Montag musste ich absagen.“

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