Para-Leichtathletik
Paralympics-Helden starten in Regensburg

15.06.2022 | Stand 15.09.2023, 4:51 Uhr
Der größte Moment des Daniel Scheil: Der Weidener gewann in Rio 2016 Gold. −Foto: Eibner-Pressefoto

Eben noch war Sparkassen-Gala mit den deutschen Sprintstars wie Gina Lückenkemper oder der deutschen Rekordstafel, jetzt folgt am Samstag (10 bis 18 Uhr) und Sonntag (10 bis 12 Uhr) der nächste leichtathletische Leckerbissen in Regensburg. Zwei Tage lang sind am Weinweg die paralympischen Helden im Einsatz und kämpfen um die deutschen Para-Titel.

Am Start sind Paralympics-Sieger wie Sprinter Johannes Floors, Prothesen-Weitspringer Markus Rehm und Kugelstoßer Niko Kappel, die dieser Tage erst die Weltrekorde ihrer Sportarten verbesserten. Ein Rollstuhlfahrer genießt Heimvorteil: Der Weidener Daniel Scheil (49) hat die Meisterschaften vor der Haustür. „Es ist schön, nicht so weit fahren zu müssen“, sagt der Paralympicssieger 2016 und Vize-Weltmeister 2017 im Kugelstoßen.

Daniel Scheils Lebensgeschichte birgt viel Dramatik, auch wenn er selbst es herunterspielt. „Ach, andere hat es viel schlimmer erwischt.“ Bis Mitte 30 war der Mann aus Chemnitz pumperlgesund, wie der Bayer sagt. Zu DDR-Zeiten knapp vor der Wende 1989 deutete sich als Nachwuchs-Nationalspieler in Chemnitz eine Fußballerkarriere an. Ein paar Wechsel und Verletzungen später war er in der Oberpfalz zuhause. „Ich habe Kemnath mit hochgebracht“, sagt der Mann, der bei der US-Armee in der Security arbeitete.

Mit einem Tag alles anders

Dann kam der 25. Januar 2008 – und mit einem Schlag war alles anders. „Ich habe mein Auto in die Werkstatt gefahren, bin hochgelaufen zum Bäcker und dort zusammengebrochen“, erinnert sich Scheil. Achtmal wurde er wiederbelebt, lag im Koma und trug diverse Folgeschäden davon. Woran das lag? „Das ist viel zusammengekommen und ich hatte 16 verschiedene Diagnosen“, sagt Scheil. Er widerspricht nicht, bei der Behauptung, Sport sei zu seinem Lebensretter geworden. „Ich war von jetzt auf gleich schwerbehindert. Da kam auch Depressionen dazu“, erzählt Scheil. „Ich habe damals in einem Dorf bei Kulmain gewohnt, wo auch Gerd Schönfelder zuhause ist“, berichtet er von der Nachbarschaft zum deutschen Rekordsportler der Winter-Paralympics. „Ich hatte zwar ein Auto, aber mit dem konnte ich nichts mehr anfangen. Ich war wie eingesperrt, musste mein Leben neu ordnen.“

Immer wieder umgefallen

Das tat Daniel Scheil. „Ich habe überlegt, wie ich da rauskomme, habe im Internet von der Leichtathletik gelesen. Aber es gab ja in Bayern keine Trainer“, erzählt Scheil von seinem Weg und stieß in Birgit Kober auch auf eine Paralympicssiegerin. „Sie hat mir erzählt, was man braucht“, sagt Scheil und ordnet das selbst inzwischen so ein. „Du brauchst Ausdauer. Ich bin mit meinem Rollstuhl anfangs immer wieder umgefallen, aber auch immer wieder aufgetanden. Und du brauchst Geld. Jetzt ist es besser, weil ich in der Nationalmannschaft bin, aber auch da könnte es besser sein. Ich muss vieles immer vorstrecken“, sagt Scheil. „Vom bayerischen Verband ist jedenfalls nichts gekommen. Zuschüsse und Trainingslager wurde immer abgeschmettert. Deswegen starte ich für Erfurt“, sagt der Leistungssportler, der früher für Weiden aktiv war.

Längst hat sich Daniel Scheil mit seinem Schicksal arrangiert. „Ich bin froh, wie alles gekommen ist“, sagt er. Zumal es vom ersten Wettkampf 2011 bis zu den ersten internationalen Erfolgen nicht lange dauerte. Bereits 2014 wurde er Europameister in Diskus und Speerwurf und Dritter im Kugelstoßen, gewann 2015 Bronze und wurde 2016 mit 11,03 Metern Paralympicssieger im Kugelstoßen. Das ist auch seine Hauptdisziplin. „Im Speerwerfen bin ich mit 26,97 Meter immer noch Weltrekordler“, sagt Scheil. „Aber das habe aufgehört, als es aus dem Programm genommen wurde, fange aber jetzt wieder an. Und Diskus mache ich just for fun. Das ist nicht paralympisch.“

In Regensburg ist Daniel Scheil in allen drei Disziplinen gemeldet. Für ihn ist es ein das Jahr ohne Welt- und Europameisterschaften ein Gewöhnungsjahr. „Ich habe einen neuen Stuhl und muss eine neue Sitzposition finden“, sagt Daniel Scheil. Regensburg ist ansonsten „ein normaler Wettkampf“.

Scheil hat auch im Sport Rückschläge hinnehmen müssen. 2019 fiel er für die WM wegen einer Handverletzung aus, 2021 bei den Paralympics in Tokio brach eine Verletzung auf und aus der erhofften Titelverteidigung wurde Platz fünf. „Da habe überlegt aufzuhören.“ Jetzt ist Paris 2024 das große Ziel – und vielleicht auch Karriere-Schlusspunkt für einen Sportler mit beeindruckender Lebensgeschichte.