Samstagsinterview
Edgar Itt und die Hürden des Lebens

Der Ex-Weltklasseläufer verpackt seine Erfahrungen heute als Mentaltrainer. Claus Wotruba hörte sprach mit ihm.

31.01.2014 | Stand 16.09.2023, 7:12 Uhr
„Kein Hürdenlauf ist wie der andere“: So dynamisch bewältigte Edgar Itt seine Strecke zu aktiven Zeiten. −Foto: imago

Herr Itt, ernte ich viel Widerspruch bei Ihnen, wenn ich sage, dass Sport die beste Lebensschule ist und dort Metaphern für alle Lebenssituationen zuhause sind?

Edgar Itt (überlegt): Jein. Der Sport gibt viele Metaphern, da wird viel widergespiegelt, auch aus Situationen außerhalb des Sports. Man kann viele Analogien ziehen, aber alles wird der Sport nicht abbilden können.

Was kann er nicht abbilden?

Bestimmte Empfindungen. Sehen Sie, in vier Monaten bekomme ich einen Sohn, mein erstes Kind: Ich weiß, dass das eine Situation, ein Empfinden, ein Gefühl ist, das es im Sport nicht gibt. Das ist noch nicht mal zu vergleichen mit dem Gewinn der Bronzemedaille bei Olympia. Das ist eine ganz andere Ebene. Und das ist nur eines der Beispiele.

Sie haben ja gesagt, dass 70 Prozent der Dinge, die Sie bei Ihren Vorträgen als Inspirations- und Mentaltrainer verwenden, im Sport gelernt haben.

Ja, absolut.

Ich habe aufmerksam Ihrem Vortrag gelauscht. Dabei habe ich auch gelernt, dass bei Ihnen in der Wertigkeit zwischen dem Lauf über und ohne Hürden kaum ein Unterschied ist. Sie haben beides gerne, oder?

Der Hürdenlauf hat mir ehrlich gesagt mehr Spaß gemacht.

Weil Sie die Hürden, die alle gehasst haben, eher geliebt haben?

Genau. Das war spannender. Da war zehnmal die Gefahr, dass irgendetwas passiert... Das hatte einen ganz anderen intellektuellen Anspruch. Ein 400-Meter-Hürdenlauf ist gar nicht so einfach. Du musst den Rhythmus suchen, den Rücken-, Seiten-, Gegenwind einschätzen können, das Gespür haben, einen halben Schritt weniger zu machen...

Gibt es denn identische Läufe?

Nie, nie, nie. Selbst im gleichen Stadion, bei gleichem Wind und gleicher Temperaturen gibt es das nie.

Über 200 Meter sind sich Läufe ähnlicher?

Ja, das würde ich sagen.

Sie waren als Mentaltrainer der deutschen Leichtathleten bei Olympia 2012 in London. Erzählen Sie da auch Geschichten wie hier die Episode aus dem Golf-Film „Das Leben des Bagger Vance“ mit Will Smith, in dem er davon spricht, dass in jedem Menschen ein authentischer Schlag steckt, den er nur finden muss?

Wenn es angebracht ist, ja. Und genau diese Episode kam auch in London zum Einsatz.

Wir hatten dort auch eine Regensburger Läuferin dabei. Hatten Sie mit Corinna Harrer zu tun?

Ja, klar, die kam ja fast mit der Babyflasche, so jung war sie. Das ist so eine Liebe. Das Schöne war ja, dass wir vorher in Kienbaum alle zusammen waren. Da war sie noch sehr nervös. Sie hat das super gemeistert.

Was haben Sie selbst von Ihrem Olympia-Erlebnis diesmal mitgenommen.

Ich habe Olympia mal von einer ganz anderen Seite gesehen. Zwischen 1988 und 2012 waren einige Spiele, aber ich war nie dabei – irgendwie eigenartig. Was man gehört hat von so vielen, diese Stimmung, das habe ich jetzt selbst gesehen. In London hatte man ja davor gedacht, die Stadt hält das nicht aus. Aber diese Freundlichkeit der Menschen, dieser Enthusiasmus...

Das Beeindruckende war also, was die Olympischen Spiele mit einem machen. Nicht nur mit denen, die da starten, sondern auch mit denen, die „nur“ zuschauen, das Ganze aber mit Leben füllen.

Ja, das war toll. Bei Olympia war ich auch, weil ich für den IT-Dienstleister der Spiele vor dem Stadion 20-minütige „dinner speeches“ gemacht habe, um deren Kunden ein Stück zu sensibilisieren für das, was sie dann im Stadion erwartet hat.

Gibt es aus Ihrer aktiven Zeit noch Freunde? Was ist aus der Beziehung zu Ihren Staffelkollegen von Seoul 1988 geworden, aus Harald Schmid oder dem Hürdenlau-Superstar Edwin Moses?

Harald Schmid hat mich ja auch noch die letzten drei Jahre trainiert. Der Kontakt besteht immer noch, ob zu ihm, Edwin Moses, Norbert Dobeleit, der jetzt in München lebt oder Jörg Vaihinger, der bei einer Bank in Stuttgart arbeitet oder auch zu Ralf Lübke, der eine der höchsten Führungspositionen in Südamerika bei Bayer hat. Aber es erwächst selten ein ewig langer Kontakt.

Ihr hättet 2013 25-jähriges Jubiläum von Bronze in Seoul feiern können.

Das haben wir verpasst. Vielleicht klappt das ja beim nächsten Mal.

Wie stehen Sie zur aktuellen Situation der Leichtathletik in Deutschland? Ist die Entwicklung gut? Gibt es große Unterschiede zu 2012: In London war die Leichtathletik ja einer der krachenden Höhepunkte.

Die Entwicklung ist top. Für die deutsche Leichtathlik gab es für zehn Jahre von Mitte der Neunziger bis 2004 eine schwierige Zeit. Es kann sein, dass man gedacht hat, das würde sich durch die Wiedervereinigung automatisieren. Man hat aber relativ früh erkannt, dass das Gewicht noch mehr auf den Nachwuchs zu legen ist. Der Deutsche Leichtathletik-Verband hat umgedacht, einiges intern verändert und viel strukturell gemacht. Im Sport ist es ja so: Wenn du eine Nachwuchsgeneration verschläfst, hinkst du eineinhalb Generationen nach.

Das ist ja das Doofe an Nachwuchsarbeit – sie dauert, bis sie Früchte trägt.

Genau. Der Nachwuchs muss zum Teil ja auch erstmal produziert werden (lacht). Jetzt ist das Schöne, dass sie in eine Individualsportart Mannschaftsgeist hineingebracht haben.

War das früher anders?

Ein bisschen, es war individueller, aber es war auch eine andere Zeit. Andere Nationen haben diesen Mannschaftsgeist schon früher gelebt – zum Beispiel zu meiner Zeit die Franzosen. Ooooh Equipe tricolore, da war alles wie bei einer Handball- oder Fußballmannschaft. Auch bei den Italienern, Portugiesen, Spaniern war das so, bei uns dagegen noch nicht so intensiv.

Das Motto Ihrer Vorträge ist: „Olympia steckt in jedem – über Hürden zum Erfolg“. Sie meinen das im übertragenen Sinne, nicht nur im sportlichen, oder?

Die Wurzel ist, dass Olympia für den Sportler ein Wunsch, ein Gefühl, eine Vision, ein Bild ist, das man hat. So etwas hat jeder im Leben. Die Kraft, dorthin zu gehen wie der Sportler zu Olympia, die trägt jeder in sich.

Haben Sie auch eine Sicht der Dinge, Dinge die nicht fassbar und erklärbar sind, dass man etwas aus sich selbst produziert. Das ist ja auch ein Teil von Inspiration und Motivation.

Ich bin Christ. Gott hat so viel in uns gelegt. Was er in uns gelegt hat, ist Liebe zu spüren und Liebe zu leben. Und wenn wir liebevoll mit uns umgehen, dann können wir auch liebevoll mit anderen umgehen. Dann können wir mehr Fehler verzeihen, die wir im Leben gemacht haben und daraus lernen. Ich glaube das.

Das ist ein wundervoller Schlusssatz. Herzlichen Dank für das Gespräch.