Im Notfall hilft ein klarer Kopf

12.06.2023
cry1040x520.jpg
So schwer es fällt: Bei Unfällen und medizinischen Notfällen bei Kindern ist die Regel Nr. 1: Ruhe bewahren. −Foto: unsplash

[Anzeige]

So reagiert man bei Unfällen, Verletzungen und anderen gesundheitlichen Notfällen bei Kindern.

Es ist eine Alptraumsituation für Eltern: Das Kind ist beim Spielen gestürzt und diesmal hat es nicht nur eine kleine Schramme oder ein Aua, das sich Wegpusten lässt, sondern braucht ernsthaft Hilfe. Wie reagiert man richtig? In welchem Fall sollte man einen Notruf absetzen? Wie behalte ich einen klaren Kopf?

Manche Unfälle sind vermeidbar – aber viele geschehen trotz Vorsicht

Es ist weit verbreitete – und sinnvolle – Praxis, das Lebensumfeld von Kindern sicher zu gestalten. Dazu gibt es zahlreiche Ratgeber, die auf Gefahrenquellen aufmerksam machen und dabei helfen, diese zu entschärfen. Wegschließen giftiger Reinigungsmittel, Türstopper, Sicherungen an gefährlichen Gegenständen und auch die Aufklärung der Kinder über Gefahren sind wichtige Maßnahmen. Dennoch werden Eltern nie die volle Sicherheit herstellen können – das wäre die Abwesenheit sämtlicher Gefahren. Unser Leben ist mit Risiken behaftet und wird es immer bleiben.

Deswegen sollte niemand die Sicherheit seiner Kinder vernachlässigen: Fahrlässigkeit ist in dieser Hinsicht nicht nur ein strafbares Vergehen, sondern führt bei schwerwiegenden Folgen auch zu jahrelangen Vorwürfen und Zweifeln, die Eltern sich machen. Trotzdem bedeutet ein gesundes Gefahrenbewusstsein auch das Inkaufnehmen von Restrisiken, ohne in Ängste zu verfallen.

Es gab einen Unfall, das Kind ist verletzt – was ist nun zu tun?

Sichern Sie zuerst die Unfallstelle. Stellen Sie die akute Gefahr ab, wenn diese noch vorhanden ist. Auch für Helfer am Unfallort können Risiken drohen, die auf jeden Fall zu vermeiden sind: Schalten Sie bei Stromunfällen den Strom ab (Sicherung unterbrechen), löschen Sie kontrollierbare Feuer, beseitigen Sie Glasscherben. Die einfachste und oftmals schnellste Methode, Sicherheit herzustellen ist gerade bei Kindern aber: Nehmen Sie das Kind aus der gefährlichen Umgebung, schließen Sie die Tür (bei Unfällen daheim) oder suchen Sie einen Ort auf, in dem keine akuten äußeren Gefahren (z. B. durch Straßenverkehr) drohen. Erst dann können Sie damit beginnen, die gesundheitliche Gefahr/die Schwere der Verletzung zu beurteilen.

Oftmals kann man diesen Schritt auch auslassen, wenn keine drohenden Risiken mehr vorhanden sind: Ist das Kind schwer mit dem Rad auf dem Gehweg gestürzt, müssen Sie es nicht erst wegtragen, sondern können sich sofort um den kleinen Patienten kümmern.

Bei der Beurteilung der Schwere der Verletzung erwartet niemand von einem Laien eine medizinisch saubere Diagnose. Machen Sie sich mit den Kennzeichen eines Schocks vertraut (Unruhe, Blässe, kalte schweißnasse Haut, Frieren und Zittern, später auch untypische Ruhe und Teilnahmslosigkeit). Wichtig ist auch die Beurteilung des Bewusstseinszustands: Ist das Kind ansprechbar? Reagiert es klar oder ist es eingetrübt? Spricht es deutlich oder verwaschen? Tendenziell ist ein vor Schmerzen schreiendes oder laut weinendes Kind ein positives Zeichen, denn das spricht gegen Schock oder akute Lebensgefahr. Natürlich gibt es weitere klare Signale, dass Hilfe notwendig ist, z. B. Atemnot, Vergiftungssymptome (starkes wiederholtes Erbrechen, Bewusstseinsverlust etc.), stark blutende Verletzungen oder Hinweise auf Knochenbrüche (unnatürliche Winkel der Gliedmaßen, ausspießende Knochen).

Entscheiden Sie sich für das Absetzen eines Notrufs sind diese Informationen wichtig für die Einsatzkräfte, um die Schwere der Verletzung oder des Unfalls einzuschätzen und Sie evtl. bei Erste-Hilfe-Maßnahmen anzuleiten. Die oben aufgeführten Signale für einen schweren Schock, starke Vergiftungen oder schwere Verletzungen sind allesamt gute Gründe, um einen solchen Notruf zu rechtfertigen.

Am häufigsten besteht wohl Unsicherheit bei Schnittverletzungen und Knochenbrüchen. Lässt sich der Blutverlust mit einem normalen Verband eindämmen, können Sie sich selbst auf den Weg in eine Notaufnahme oder zum Arzt machen. Ist dagegen ein großes Gefäß verletzt, sodass ein Druckverband nötig ist, sollte ein Notruf abgesetzt werden. Knochenbrüche, die das Kind für Laien transportunfähig machen, z. B. Beinbrüche, rechtfertigen dies ebenso. Handelt es sich dagegen um einzelne Finger oder Zehen, die in Mitleidenschaft gezogen wurden, so können Sie den Transport selbst übernehmen. Wichtig sind hier auch immer die Begleitumstände und v. a. Schocksymptome.

Wie behandelt man Verbrennungen?

Entscheidend für die Gefährlichkeit von Verbrennungen sind zwei Faktoren: Erstens der Schweregrad (von Rötung [1. Grad] über Blasenbildung [2. Grad] bis Hautablösung [3. Grad] oder gar Verkohlung [4. Grad]) und zweitens die betroffene Hautfläche. Auch eine sehr großflächige Verbrennung erstens Grades kann den Kreislauf stark belasten und zum Schock führen. Drittgradige oder schlimmere Verbrennung sind sofort notärztlich behandlungsbedürftig.

Auch hier ist wichtig, die Gefahrenquelle abzustellen: Feuer löschen, verschüttetes heißes Wasser entfernen bzw. das Kind rasch vom Gefahrenort entfernen. Bei Feuer ist auch die Möglichkeit einer Rauchgasvergiftung zu berücksichtigen (Atemnot, Husten, Eintrübung). Kleidung muss von der betroffenen Körperstelle – insbesondere bei Verbrühungen – entfernt werden, sofern sie sich ablösen lässt. Manche Kunststoffe können regelrecht mit der Haut verschmelzen und sorgen beim unsachgemäßen Abreißen für zusätzliche Verletzungen.

Um den Schmerz zu lindern und das Fortschreiten des Gewebeschadens durch bleibende hohe Temperaturen zu stoppen empfiehlt es sich immer, die betroffenen Körperstellen zu kühlen. Kühlen heißt in diesem Zusammenhang: Kühles Wasser, unter Umständen sogar lauwarm. Zu kaltes Wasser oder sogar Eis (Kältekompressen) schaden dem Gewebe noch zusätzlich. Bei großflächigen Verbrennungen sind so auch Unterkühlungen des betroffenen Kindes möglich.

Schockgefahr entsteht bei Verbrennungen durch den Wasserverlust über die verbrannte Körperoberfläche. Die Effekte sind ähnlich wie bei einem schweren Blutverlust. Bei Kindern können ab Verbrennungen oder Verbrühungen von 5 % der Hautoberfläche bereits schwere Kreislaufkomplikationen auftreten. Bei Kindern kann man diese Fläche anhand der betroffenen Körperpartien abschätzen. Für einen Fünfjährigen gilt grob: Kopf 15 %, Arme je 9 %, Rumpf vorn 18 %, Rumpf hinten 18 %, Beine je 17 %.

Erste Hilfe bei Vergiftungsfällen

Leider kommt es auch bei angemessener Vorsicht gelegentlich dazu, dass Kinder Substanzen aufnehmen, die sie krank machen oder verletzen können. Ein erster Ansprechpartner dafür ist die Giftnotrufzentrale, die Informationen, Anleitung bei Notfällen und die Weiterleitung an geeignete Notaufnahmezentren bietet. Auch wenn Sie nicht sicher sind, ob ein aufgenommener Stoff gefährlich ist, können die Experten bei der Aufklärung helfen.

Was führt bei Kindern häufig zu Vergiftungen? Im Haushalt gehen Gefahren von Haushaltsprodukten und Chemikalien vor allem zur Reinigung aus. Giftigen Produkten wird heutzutage ein Bitterstoff zugesetzt, der verhindern soll, dass Kinder oder Tiere zufällig zu viel davon essen/ trinken. Dennoch können Unfälle geschehen. Auch Medikamente – vor allem in Dosierungen für Erwachsene – können ein lebensgefährliches Risiko darstellen, wenn sie nicht korrekt gelagert und damit für Kinder unerreichbar sind. Bei einigen Wirkstoffen genügt eine einzelne Tablette, um bei Kindern schwere Vergiftungen auszulösen. Besonders verlockend: Omas Pillendose, die einfach greifbar auf dem Wohnzimmertisch oder in der Küche steht und voller bunter Kapseln oder Tabletten ist. Außerdem problematisch sind alkoholische Getränke: Diese können bei Kindern wesentlich schneller zu Vergiftungen führen als bei Erwachsenen, auch unabhängig vom Körpergewicht, da der kindliche Organismus Alkohol erstens schneller aufnimmt und zweitens nicht so gut abbauen kann wie bei Erwachsenen.

Im Garten und der Natur tritt die Gefahr durch giftige Pflanzen und Tiere und daheim gelegentlich durch toxische Zimmerpflanzen hinzu. Hier besteht das größte Problem darin, sicher festzustellen, wie viel Pflanzenmaterial aufgenommen wurde. Einige Bestandteile heimischer Vegetation stellen auch in geringer Dosierung eine tödliche Gefahr dar. Oftmals betrifft dies Gewächse mit farbenprächtigen Blüten (wie Fingerhut und Eisenhut) oder vielgestaltige Pilze.

Abhängig von der aufgenommenen Substanz sind unterschiedliche Maßnahmen erforderlich. Sind die Augen betroffen, spülen Sie diese ausdauernd mit klarem Wasser aus. Bei eingeatmeten oder verschluckten Stoffen ist es nicht immer ratsam, ein Erbrechen auszulösen, da dies zur Verschlimmerung der Symptome führen kann. Bevor sie derartige Maßnahmen ergreifen, immer erst professionelle Rücksprache halten! Benommene oder bewusstlose Kinder sollten Sie in stabiler Seitenlage lagern. Tritt spontanes Erbrechen auf, sorgen Sie für eine leicht vornüber gebeugte Körperhaltung beim Kind, um das Einatmen von Erbrochenem zu verhindern. Wenn ätzende Flüssigkeiten oder Stoffe in den Mund gelangt sind oder verschluckt worden sind, wischen oder spülen Sie dem Kind unverzüglich den Mund aus und geben Sie Ihm ein Glas Wasser oder Tee zu trinken (ggf. auch Milch, wenn nur diese angenommen wird).

Ertrinken: Auch flaches Wasser ist gefährlich

Die DLRG warnt vor der Zunahme von Ertrinkungsunfällen. Das liegt an längeren und heißeren Sommern, die mehr Menschen zur Abkühlung ins Wasser locken bei gleichzeitig schlechterer Qualifikation zum Schwimmen der breiten Bevölkerung. Doch besonders gefährdet sind Kinder, die noch kein Seepferdchen- Abzeichen haben und sich in Gefahrensituationen im Wasser nicht selbst helfen können.

Wenn Kinder ertrinken, geschieht das nicht mit viel Geschrei und Winken, wie oft im Film dargestellt. Ertrinken ist leise. Wenn der Kopf unter Wasser gerät, setzen bei Kindern Reflexe ein, die dafür sorgen, dass der Körper stillhält. Kinder sind so nicht in der Lage, um Hilfe zu rufen. Wer nicht schwimmen kann – beim Schwimmunterricht lernt man unter anderem, wie man durch Schwimmbewegungen oder Wassertreten wieder an die Wasseroberfläche kommt – bleibt unten. Gerade Babys und Kleinkinder mit im Verhältnis zum Körper großem Kopf haben Schwierigkeiten, sich auch im flachen Wasser aufzurichten und können unbeobachtet sogar in sehr flachem Wasser ertrinken. Beobachten Sie Kinder beim Baden ständig. Wenn mehrere Erwachsene anwesend sind, muss es eine Person geben, die die Verantwortung für diese Aufsicht trägt. Bei Toilettenpausen oder wenn Nachschub an Getränken besorgt wird, muss der Verantwortliche sich abmelden und einen Ersatz benennen, damit wirklich immer ein Erwachsener Acht gibt.

Bei einem Ertrinkungsunfall ziehen das Kind oder Baby sofort aus dem Wasser. Nutzen Sie dazu auch Hilfsmittel wie Schwimmmatratzen, Schwimmwesten etc. und schätzen Sie Ihre Kräfte richtig ein – sie müssen den RÜCKWEG MIT KIND schaffen. Bei Ertrinkungssituationen immer einen Notruf absetzen!

Rechnen Sie mit einer Schocklage des Kindes. Wenn das Kind nicht mehr atmet, fangen sie sofort mit der Reanimation an – Herzdruckmassage und Beatmung. Mehr dazu im folgenden Abschnitt.

Wichtig für Ertrinkungsunfälle ist die Gefahr des "sekundären Ertrinkens". Durch inhaliertes Wasser kann es zu heftigen Schwellungen und Entzündungen der Lunge kommen, die sehr rasch lebensbedrohlich wird. Anzeichen dafür sind Husten, Übelkeit, Erbrechen, bläulich verfärbte Lippen. Deswegen sind Kinder nach Ertrinkungsunfällen weiterhin überwachungspflichtig!

Atemblockade oderAtemstillstand bei Kindern

Idealerweise sollten alle Eltern einen Erste-Hilfe-Kurs für Babys oder Kinder belegen. Dabei erhalten Sie genaue Anleitung, wie man bei verschiedenen möglichen Notfällen reagieren sollte. Was sich in dieser Anleitung nur schwer wiedergeben lässt: Wie führe ich eine Oberbauchkompression (Heimlich-Handgriff) bei einem Baby beziehungsweise einem Kind durch, das durch einen verschluckten Fremdkörper Atemnot hat? Wie stark oder häufig drücke ich bei einer Herzdruckmassage auf den Oberkörper des Kindes? Wie genau lege ich ein Kind in die stabile Seitenlage?

Ein guter Startpunkt zum Erlernen sind Kurse des DRK. Dort erhalten Eltern alle notwendigen Informationen und Anleitungen in professioneller Aufarbeitung durch erfahrene Spezialisten.

Generell sollte klar sein: Wenn das Kind nicht mehr selbstständig atmet, ist eine Atemspende oder Herzdruckmassage notwendig. Dies kann den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten und sollte sofort begonnen werden. Ist keine zweite Person anwesend, um einen Notruf abzusetzen, legen sie das Telefon im Lautsprechermodus neben sich auf den Boden und unterbrechen sie die Reanimation nicht. Sprechen Sie während der Reanimation mit dem Notrufteam. Idealerweise sollte dies jedoch durch eine zweite Person erfolgen, damit sich ein Ersthelfer vollständig auf die Herzdruckmassage konzentrieren kann. Rufen Sie im Notfall laut um Hilfe, wenn Sie allein sind und keine Möglichkeit für einen Notruf in der Nähe erreichbar ist. Dabei sind konkrete Informationen wichtig. "Ich brauche Hilfe/einen Notarzt. Mein Kind atmet nicht mehr!" Sprechen Sie bei tatenlos herumstehenden Schaulustigen konkrete Personen an. "Sie in der blauen Jacke, rufen Sie sofort beim Notruf an."

Es sei an dieser Stelle noch einmal betont: Jede Verzögerung bei der Reanimation kann bleibende Schäden verursachen. Egal, wie unsicher oder unerfahren Sie in Sachen Herzdruckmassage oder Atemspende sind: Alles ist besser als Hilfe zu unterlassen oder zu verzögern.

Auch bei psychischen Notständen brauchen Kinder Hilfe

Ebenfalls berücksichtigen sollte man psychiatrische Notfälle. Diese sind bei Kindern zum Glück erheblich seltener als bei Erwachsenen, dennoch muss klar sein, dass auch hier Hilfe geleistet werden kann und muss! Bei Störungen des Realitätsbezugs, Halluzinationen, wirrem Reden oder Panikattacken, akuten Suizidgedanken oder sogar -versuchen, Störungen des Bewusstseins (z. B. Dissoziation) oder Nervenzusammenbrüchen (akute Belastungsreaktion/ psychische Dekompensation) kann angemessene Hilfe entscheidend für die Auswirkungen der Krise sein.

Als Bezugsperson ist in erster Linie wichtig, eine sichere Umgebung zu schaffen, in der das Kind in der psychischen Notlage keinen weiteren körperlichen Schaden erleiden kann. Es ist bei aggressivem oder autoaggressivem Verhalten wenig hilfreich, körperlichen Zwang anzuwenden oder die Bewegungsfreiheit durch Festhalten stark einzuschränken. Kommunizieren Sie aktiv und zugewandt mit dem Kind, bieten Sie Handlungsalternativen und Trost an. Bestrafung oder Androhung einer solchen kann in der Krise noch verschlimmernd wirken. Auch ein Abbruch der Kommunikation ("Dann rede ich nicht mehr mit dir!") ist tendenziell schädlich. Wenn sich nicht abzeichnet, dass sich das Kind beruhigen lässt oder körperliche Folgen befürchtet werden, ist ein Notruf die angemessene Reaktion.

Fazit

Niemand wünscht sich je in die Lage zu kommen, bei schweren Unfällen mit Kindern erste Hilfe leisten zu müssen. Denn ist es immer besser, umfassend vorbereitet zu sein und im Notfall zu wissen, was man tut. An dieser Stelle seien noch einmal Kurse für Erste Hilfe bei Kindern und Babys empfohlen, in denen Situationen durchgespielt werden, damit Ersthelfer nicht vor Angst erstarren, sondern nützlich eingreifen können.