Interview
Yoga bringt uns in Verbindung

Die Yogalehrerin Helga Baumgartner aus Regensburg versichert: „Jeder kann Yoga genau da beginnen, wo er gerade steht.“

05.03.2019 | Stand 16.09.2023, 5:53 Uhr

„Yin-Yoga ist eine Praxis, die keinerlei Leistungsanspruch hat und keine Forderungen stellt“, sagt Helga Baumgartner. Die Yogalehrerin hat inzwischen ein Buch über diesen Yogastil geschrieben. Foto: Christine Schneider

Schon als Teenager begann Helga Baumgartner, sich mit Meditationstechniken zu beschäftigen. Die 39-Jährige absolvierte zahlreiche Ausbildungen in den Bereichen Yoga, Yin-Yoga, Meditation sowie Anatomie und Faszien. Sie zählt zu den wenigen Yogalehrern in Europa, die die 500-stündige Yin-Yoga-Lehrerausbildung bei Paul Grilley, dem „Urvater“ des Yin-Yoga, abgeschlossen haben. Inzwischen bildet Helga Baumgartner europaweit Yin-Yoga-Lehrer aus. Wenn sie nicht gerade unterwegs ist, lebt die studierte Architektin und Städtebauerin als Yogalehrerin in Regensburg. Beim Interview legt sie Wert auf die Feststellung, dass der Yoga für sie kein Fitnesstrend, sondern vielmehr eine spirituelle Reise ist.

Du bist inzwischen hauptberuflich Yogalehrerin und hast Dir national und international einen Namen als Spezialistin für Yin-Yoga gemacht. Was genau verstehst Du persönlich unter Yoga?

Für mich ist Yoga ein Philosophiesystem, das uns hilft, eine tiefere Verbindung mit uns selbst, aber auch mit allen anderen Menschen, Tieren und der Natur um uns herum zu finden. Der Yoga ist etwas, das uns in die Verbindung bringt, ein System, das uns aus dem Getrenntsein herausführt. Wenn man sich im Geist getrennt fühlt, wenn emotionale Konflikte einen belasten, dann entstehen auch im Körper Spannungen, die man durch die Asanas(Körperübungen im Yoga, Anm.d.Red.)positiv beeinflussen kann. Man kann also über die Asana-Praxis die geistige Stimmung genauso verändern, wie man über den Geist auch den Körper beeinflussen kann.

Yoga ist also nicht nur eine Sportart?

Früher habe ich, um besser abschalten zu können, sehr viel Sport gemacht. Vor allem lange Läufe. Aber erst nach meiner ersten Yogastunde habe ich gemerkt: Endlich kein „Restless-Leg-Syndrom“ mehr! Endlich kann ich einschlafen! Dank Yoga bin ich heute nicht mehr hyper-nervös und ständig aufgeregt. Meine erste Yogastunde war vor zwanzig Jahren – und damals war ich ein Nervenbündel. Yoga hat mich nicht nur körperlich, sondern auch geistig verändert – und deshalb ist es für mich mehr als nur Sport.

Inzwischen hast Du Dich dem Yin-Yoga zugewandt. Was charakterisiert diesen Yogastil?

Yin-Yoga ist eine Yogapraxis, in der es um den ruhigen, kühlen Part des Yoga geht. Die meisten traditionellen Formen von Yoga entsprachen übrigens einer Praxis, die wir heute Yin nennen. Erst die Yoga-Revolution mit Ashtanga und Vinyasa machte Yoga zu einer schnellen, dynamischen und schweißtreibenden Praxis. Diese Yang-Formen des Yoga wurden so populär, dass die lange Geschichte von Yoga als eine ruhige Praxis darüber beinahe in Vergessenheit geriet. Weil unser Leben aber immer schneller wird und auch der Leistungsdruck immer mehr zunimmt, ist die „Yin“-Seite der Yogapraxis wichtiger denn je, um auszugleichen und uns in unsere Mitte zurückzubringen. Es ist eine Praxis, die keinerlei Leistungsanspruch hat und keine Forderungen stellt. Man muss im Yin-Yoga nichts erreichen. Stattdessen übt man sich im Loslassen. Die aktive Muskelkraft wird gerade nicht angesprochen und darum ist Yin-Yoga eine öffnende, stille und ruhige Praxis. Bestenfalls kann uns diese Form des Yoga in die Meditation führen, ohne so schwierig wie die klassische Meditation selbst zu sein. Das Gute ist: Man kommt in die Ruhe wie bei der Meditation, kann aber alle fünf Minuten die Position wechseln – und das fällt vielen leichter als das lange Sitzen in der Meditation. Allerdings ist Yin-Yoga keine Praxis, die ausschließlich geübt werden möchte. Wir brauchen im Yoga auch die kraftvollen Übungen, das Weite. In diesem Zusammenhang empfinde ich eine teils fließende und teils federnde Yogapraxis als gute Ergänzung, zum Beispiel taoistisches ‚Yang‘- Yoga, das vom Qi Gong beeinflusst ist, oder der „Bowspring-Yoga“. Das ist ein relativ neuer Yogastil, in dem vor allem mit den natürlichen Kurven der Wirbelsäule und leichten, fast federnden Bewegungen gearbeitet wird.

Du hast über Yin-Yoga ein Buch geschrieben. Kann man Yoga überhaupt aus Büchern lernen?

Grundsätzlich kann man Yoga auch aus Büchern lernen. Optimaler ist es, wenn immer auch ein Yogalehrer dabei ist. Hat man eine Zeit lang mit einem Lehrer geübt, kann Yoga sehr gut auch alleine oder zusammen mit einem Buch praktiziert werden. Es gibt aber auch viele Menschen, die über ein Buch zum Yoga finden und erst später zur Praxis in der Gruppe stoßen. Und auch das ist wunderbar. Für mich persönlich war es immer toll, von einem Lehrer an die Hand genommen zu werden.

Ich finde es für Anfänger manchmal schwierig, sich im Dschungel der einzelnen Stile zurechtzufinden. Ist Yin-Yoga beispielsweise gut für Yoga-Neulinge geeignet?

Eigentlich ist jeder Stil für Anfänger geeignet. Yin-Yoga würde ich zum Einstieg dann empfehlen, wenn man entweder sehr gestresst oder sehr athletisch ist und nach einem Stil sucht, der einen mehr in die Ruhe bringt. Es ist auch gut für ältere Menschen, weil der Körper im Alter oft etwas steif wird und zumacht und Yin-Yoga Senioren in der Beweglichkeit hält. Auch Menschen, die Schwierigkeiten mit klassischen Meditationstechniken haben, finden im Yin-Yoga vielleicht einen guten Weg in die Ruhe. Grundsätzlich muss man sich die Frage stellen: Wie steht es bei mir mit der persönlichen Balance? Brauche ich gerade mehr die körperliche Aktivität, die Kraft oder eher die Ruhe im Geist? Letztere erreichen wir, wenn wir lernen, unsere Anspannungen loszulassen.

Du beschäftigst Dich ja auch mit den Auswirkungen des Yin-Yoga auf unser Fasziengewebe.

Genau, und die sind faszinierend! Der Stand der Forschung ist, dass besonders ein achtsamkeitsbasiertes Yoga, das nicht sportlich leistungsorientiert ist, sondern viel Zeit zu einem langsamen Hineinspüren lässt, sich auf die Faszien sehr positiv auswirkt und mögliche Verklebungen lösen kann. Wir gewinnen dadurch vor allem eine bessere Körperwahrnehmung. Und das Beste ist: Je achtsamer und mehr wir üben, je mehr wir uns selbst spüren, umso weniger Schmerz verspüren wir.

Benötigt man für Yoga eine spezielle Ausrüstung?

Ich sage immer: Man braucht zum Yogaüben gar nichts. Man kann auf einem Teppich üben, auf einem Handtuch oder auf einer Wolldecke. Alles, was nicht zu rutschig oder kalt ist, ist wunderbar. Grundsätzlich gilt: Für Yoga braucht man keine Beweglichkeit und kein Vorkönnen. Jeder kann Yoga genau da beginnen, wo er gerade steht. Meine Mama zum Beispiel hat nach einem Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung mit Yoga begonnen und ist dabeigeblieben. Wirklich jeder kann Yoga üben, Yoga passt sich an.

Yoga ist ja ziemlich angesagt. Und wie bei jeder In-Sportart gibt es da ja auch hier die eigenartigsten Auswüchse. Angefangen vom Bier-Yoga bis hin zu extrem teurem Equipment, das man angeblich unbedingt braucht. Welche Anschaffungen wären sinnvoll, wenn man sich als Yogi etwas Gutes tun will?

Das wirklich Wichtigste, was man sich im Yoga anschaffen kann, ist Erfahrung. Man sollte sich viele Yogalehrer und viele Stile anschauen und für sich das Richtige finden. Ganz ehrlich: Das, was ich als Yogi generell am ehesten „konsumieren“ würde, das ist die Praxis, der Unterricht bei guten Lehrern. Was anderes braucht man nicht. Man braucht weder schöne Yogahosen noch teure Yogamatten. Aber natürlich kann es sein, dass man sich das irgendwann wünscht und gönnt. Ich laufe beispielsweise nur noch in bunten Yogaklamotten rum(lacht)– aber da ist ja auch nichts Verkehrtes dran. Das ist halt mein persönlicher Luxus.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.

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