nr. sieben
Grünes Licht für die Erbse

Die Erbse ist eine der vielfältigsten Pflanzen. Doch der Anbau lohnt sich nicht. Jetzt aber erlebt sie eine Renaissance.

20.08.2016 | Stand 16.09.2023, 6:41 Uhr
Sophia Zimmermann

Eiweißlieferant, Stickstoffversorger, Tierfutter: Das alles können Erbsen sein. Foto: Becker/Hartl

Georg Schmid, in Gummistiefeln und Arbeitshose, steht bis zum Bauchnabel in einem grünen Feld mit weißen Blüten und lächelt. „Die Erbsen in diesem Jahr sind bombastisch schön. Wenn wir sie nur halb so schön ernten, wie sie momentan aussehen, dann bin ich sehr zufrieden“, sagt er sichtlich stolz. Der Landwirt aus Marzling (Landkreis Freising) hat uns in seinem Geländewagen mitgenommen, um uns sein gepachtetes Land zu zeigen. Wir haben uns durchgeschlängelt zwischen Raps- und Getreidefeldern. Sie machen den größten Teil seiner 100 Hektar Anbaufläche aus. Nach zehnminütiger Fahrt sind wir an unserem Ziel angekommen. Grüne Pflanzen, durch Ranken miteinander verhakt, mit dünnen, unregelmäßigen Stielen, ein Wirrwarr aus Blättern, Blüten und Hülsen in unterschiedlichen Grünschattierungen – so stehen sie vor uns, die Erbsenpflanzen.

Erst letztes Jahr hat Georg Schmid wieder begonnen, Erbsen anzubauen. Nach 15 Jahren Pause. „Damals hatte ich grausige Ergebnisse“, erzählt er mit einem Kopfschütteln. Und das, obwohl die Böden und das Klima in Deutschland eigentlich gut für Erbsen geeignet sind. In diesem Jahr aber soll es anders werden. Wenn er seine Erbsen an diesem Freitagnachmittag so betrachte, gehe er heuer von einer guten Ernte aus. „Ich will es aber noch nicht verschreien“, sagt er vorsichtig.

Bis 2012 nahm der Erbsenanbau ab, jetzt wird er gefördert

Risiko, Ungewissheit, Misserfolge – was hat dann Georg Schmid im letzten Jahr dazu getrieben, den Erbsen doch wieder eine Chance zu geben? Die Politik hat sich eingeschaltet. Die UN hat das Jahr 2016 zum „Internationalen Jahr der Hülsenfrüchte“ erklärt. Und auch die europäische und bayerische Agrarpolitik zielt seit einiger Zeit auf eine Stärkung des Anbaus von Leguminosen – das ist der wissenschaftliche Name für Hülsenfrüchte. Nutzen Landwirte fünf Prozent ihrer Ackerfläche für sogenannte „Greening-Maßnahmen“, erhalten sie seit 2015 EU-Fördermittel. Die Fläche kann entweder zur Regeneration brachgelegt werden, oder eben mit bestimmten Zwischenfrüchten bebaut werden, darunter Leguminosen. Der Vorteil: Die Landwirte können den Ertrag nutzen. Die Maßnahmen wirken – 2015 stieg die Leguminosenfläche in Bayern im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent.

„Die Erbsen in diesem Jahr sind bombastisch schön.“Georg Schmid, Landwirt aus Marzling

Die Erbse gehört zur Familie der Leguminosen. Für Mensch und Tier sind Hülsenfrüchte ein wichtiger Lieferant für pflanzliches Eiweiß. Für Georg Schmid haben sie eine andere Bedeutung: Leguminosen binden Stickstoff aus der Luft und führen ihn dem Boden zu. Der Freisinger Landwirt muss die Fläche dann nicht mehr künstlich düngen. Außerdem ist ein zu monotoner Anbau schlecht für das Ökosystem. Denn je ausgeprägter die Artenvielfalt, desto größer die Nahrungsgrundlage für bestäubende Insekten wie Bienen. Während Georg Schmid das erklärt, muss er fast schreien. Ein Auto rast vorbei und lässt uns von der schmalen Teerstraße ins Feld zurückweichen.

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Es durchbricht für einige Augenblicke die Idylle der Natur, die uns umgibt: Die Straße wird gesäumt von weitläufigen, grünen Feldern, die in einer Hügellandschaft ineinander übergehen. Auf der einen Seite der Waldrand, auf der anderen Seite lässt sich der Verlauf der Amper erahnen. Die Landschaft lockt an den Wochenenden zahlreiche Freizeitler in die Gegend um Marzling. Inline-Skater, Radfahrer, Spaziergänger sind dann zwischen Georg Schmids Feldern unterwegs.

Die Erbsenfelder machen dabei nur einen geringen Anteil aus. Georg Schmids Felder spiegeln damit die Situation in ganz Bayern wider, denn der Anbau von Erbsen ist im Freistaat spärlich ausgeprägt: Nur 1,5 Prozent der Ackerfläche werden für Erbsen und andere Hülsenfrüchte verwendet. Der Grund: Der Anbau von Hülsenfrüchten ist risikoreich und wirtschaftlich wenig rentabel, denn sie sind starken Ertragsschwankungen ausgesetzt. Mit der Effizienz von Getreide oder Mais kann die Erbse nicht mithalten. Schmid veranschaulicht es: „In einem schlechten Jahr habe ich beim Getreide mal 30 Prozent weniger Ernte. Bei der Erbse dagegen schnell mal überhaupt nichts.“ Der Bauer tut alles in seiner Macht stehende dafür, dass es dazu nicht kommt. Zu Stoßzeiten verbringt er schon mal 20 Stunden auf dem Feld, von sechs Uhr morgens bis zwei Uhr nachts, Sonn- und Feiertage eingeschlossen. „Ich versuche, immer genau das zu tun, was die Pflanze braucht und das zum richtigen Zeitpunkt. Damit steht und fällt das Ergebnis.“ Trotz aller Hingabe und Arbeitsbereitschaft – auf eine gute Erbsenernte in diesem Jahr kann Georg Schmid letztendlich nur hoffen.

Neue Züchtungen sollen Erbsen konkurrenzfähiger machen

Dr. Peer Urbatzka von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) und seine Kollegen wollen diese Unsicherheit ändern. Sie erforschen, wie man Erbsen und andere Leguminosen konkurrenzfähiger machen kann. Erbsen sind empfindlich, von Natur aus schlechter gegen Witterungen gerüstet: „Die Hülsen sind prädestiniert dafür, dass sie bei starkem Regen und Unwetter aufplatzen“, erklärt Urbatzka. Man sei mit der Züchtung einfach noch nicht so weit wie bei anderen Kulturen. Der Anbau von Hülsenfrüchten hat bis 2012 stetig abgenommen, in diesem Zuge auch die Nachfrage nach neuen Sorten und produktionstechnischen Kenntnissen – eine Negativspirale.

Georg Schmid pflückt eine Erbsenhülse aus seinem Feld und öffnet sie: die kleinen, grünen Körner sind schon erkennbar, aber noch nicht ausgereift. Wir probieren eine kleine Frucht. Sie schmeckt süßer als die Erbsen, die wir gewohnt sind. Vielleicht bringt Schmid später seinen beiden Kindern ein paar davon mit. Für die Ernte des kompletten Feldes ist es im Juni oder Juli aber noch zu früh. „Würde ich da jetzt mit dem Mähdrescher drübergehen, wäre der Ertrag gleich Null.“

Der Erntezeitpunkt ist von alles entscheidender Bedeutung. Während die Pflanze ihre Körner bildet, verliert sie nach und nach an Höhe – und schlagartig sackt sie in sich zusammen. Ein typisches Phänomen. Was dann am Boden liegt, ist maschinell nicht mehr zu ernten. Die Pflanze aufrecht, die Erbsen gerade reif – exakt diesen Zeitpunkt gilt es zu erwischen. „Eine Minutenarbeit“, sagt Schmid. Die arbeitsintensive Zeit erwartet der Landwirt in diesem Jahr im August. Bis zum Bauchnabel werden ihm die Erbsenpflanzen bis dahin wohl nicht mehr reichen.

Landwirt aus Leidenschaft: „Spielen auf dem Klavier Natur“

Die Erbse ist aber nicht nur empfindlich und anspruchsvoll wie eine Prinzessin, sie ist auch noch ein bisschen zickig – und zwar vor allem gegenüber sich selbst. Man nennt das die sogenannte „Erbsenmüdigkeit“ und meint damit die Unverträglichkeit der Pflanze mit sich selbst. Sie ist bei Hülsenfrüchten wesentlich extremer ausgeprägt als bei anderen Pflanzen. Während bei Weizen beispielsweise nach einem Jahr Pause wieder problemlos ausgesät werden kann, müssen bei Erbsen mehrere Jahre vergehen. Ansonsten folgen Ernteausfälle. „Einem Bekannten von mir sind letztes Jahr die kompletten Erträge flöten gegangen“, sagt Schmid. Er selbst befürchtet da keine Probleme. „Seit ich denken kann – und das ist nun schon eine ganze Weile – standen auf diesem Feld keine Erbsen“, lacht er.

Georg Schmid übernahm den Hof vor 15 Jahren von seinen Eltern. Freiwillig. Nach dem Abitur studierte er Agrarwissenschaften an der Technischen Universität in Freising, irgendwie sei er dann eben doch dabeigeblieben. Bereut hat er es nie. Georg Schmid ist Kreisobmann im Bauernverband und er übt seinen Beruf mit Leidenschaft aus. Seine Augen leuchten, während er von Erbsen, anderen Ackerfrüchten und seiner Arbeit auf den Feldern und im Stall erzählt. Am meisten schätze er das „Spielen auf dem Klavier Natur“ und ergänzt: „Wenn man nach der Ernte am Ergebnis sieht, dass man die richtigen Entscheidungen getroffen hat – das ist die größte Freude für mich.“

Heimisches Tierfutter statt Import aus Amerika

Georg Schmids Erbsen landen übrigens weder in der Dose noch in der Tiefkühltruhe. Sie enden im Futtertrog seiner rund 1000 Schweine. Auch das ist ein Grund für die Förderung von Leguminosen durch die Politik: Die Abhängigkeit von Futtermitteln aus Nord- und Südamerika soll verringert werden. „Bei unserem derzeitigen Fleischkonsum können wir sowieso nicht alle Futtermittel daheim erzeugen. Aber wir wollen erreichen, dass wir nicht mehr ganz so abhängig von Importen sind“, erklärt Urbatzkas Kollege bei der LfL, Alois Aigner.

Hat man denn überhaupt privat noch Appetit auf Erbsen, wenn man sich beruflich so intensiv damit befasst? Für Peer Urbatzka ist das ganz einfach: „Ich habe Kinder – Erbsen sind ja eine der wenigen Gemüsearten, die sie überhaupt essen. Da stellt sich mir diese Frage gar nicht.“

Und Georg Schmid? Auch ihn brachten seine Frau und Kinder zum Erbsenessen – wenn auch nicht die, die er selbst anbaut. Beim Thema Lebensmittelherkunft wird er ernst: „Wir haben chinesische Erdbeeren und argentinisches Rindfleisch, da stellt sich mir die Frage, ob man das bis zum Exzess weiterführen muss. Wenn es so weitergeht, wird unsere Landwirtschaft sich stark verändern, es wird nicht mehr so viele heimische Produkte geben.“ Und zum ersten Mal an diesem Tag schwindet das fröhliche Lächeln aus Georg Schmids Gesicht. Zumindest ein wenig.

Vom Arme-Leute-Essen zum Superfood: Erbsen, Bohnen und Linsen erleben gerade ein Comeback. Auch die Vereinten Nationen haben 2016 zum Jahr der Hülsenfrüchte erklärt. Studenten der Universität Passau (Medien und Kommunikation) sind für die Geschichten in dieser „nr. sieben“-Ausgabe unter die Erbsenzähler gegangen – und sind dabei mehr als fündig geworden.

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