Interview
„Ich schöpfe jede Alternative aus“

Sonntagszeitungs-Autor Bastian Schmidt hat sich mit dem weltweit anerkannten Experten Prof. Dr. Joachim Grifka unterhalten.

16.05.2018 | Stand 16.09.2023, 6:13 Uhr
Bastian Schmidt

•Prof. Dr. Grifka sieht den Einsatz modernster Technik als eine Voraussetzung für gelungene Gelenk-Operationen. Foto: Orthopädische Uniklinik Bad Abbach

Alljährlich werden in Bad Abbach über 1000 Operationen mit den schonenden Methoden durchgeführt. Gemeinsam mit seinem Team hat Prof. Grifka hier innovative, mikroinvasive Operationsmethoden entwickelt, die es ihm ermöglichen, neue Wege bei der Behandlung von abgenutzten Hüft- und Kniegelenken zu gehen.

Herr Prof. Dr. Grifka, Arthrose gilt als das Problem Nummer eins in den Gelenken. Was kann jeder Einzelne tun, um eine Arthrose zu vermeiden?

Es gibt kein Patentrezept, wie man eine Arthrose sicher vermeiden kann. Die Gelenke nutzen sich im Laufe eines Lebens ab, man kann aber einiges tun, um besser zurechtzukommen. Außerdem kann eine Arthrose auch genetische Ursachen haben oder als Folge von Verletzungen auftreten. Dazu kommen systemische Erkrankungen beispielsweise wenn die Bänder nicht stabil genug sind und die Gelenke nicht mehr exakt laufen, beziehungsweise die Gelenkflächen aufeinander scheuern. All das hat einen erhöhten Verschleiß zur Folge und kann als Ursachen für Arthrose kaum verhindert werden. Man kann aber die Funktion eines Gelenks verbessern, indem man gezielt die Muskulatur rund um das Gelenk stärkt und ihm damit Halt und Stabilität gibt. Das ist beim Knie leichter als bei der Hüfte. Bei der Hüfte bieten sich Übungen an, die vor allem die Bewegungskoordination und den Bewegungsablauf verbessern und so das Gelenk entlasten. Wenn man eine Veranlagung zur Arthrose hat, kann man sie aber auch damit nicht ganz vermeiden.

Wie erklären Sie die in den vergangenen Jahren stark angestiegene Zahl von operativen Eingriffen an Gelenken?

Das ist schwierig zu beantworten. Wir haben tatsächlich einen Anstieg bei künstlichen Hüft- und Kniegelenken zu verzeichnen gehabt, der in den letzten drei Jahren auf einem sehr hohen Niveau konstant geblieben ist. Dieser Anstieg lässt sich nicht in vollem Maße medizinisch erklären und es wird gemutmaßt, dass oftmals zu schnell operiert wird. Das ist in meiner Klinik anders. Ich schöpfe bei meinen Patienten jede Alternative aus und die Prothese ist tatsächlich die allerletzte Maßnahme. Wenn ein Patient dann die Empfehlung eines künstlichen Gelenks bekommt, ist es uns wichtig, zu betonen, dass er sich gerne eine Zweitmeinung einholen kann. Das ist seit September 2017 gesetzlich festgeschrieben und geschieht, ohne dass dabei zusätzliche Kosten auf den Patienten zukommen.

Wie versuchen Sie den Ersatz des Gelenks zu verhindern?

Beim Kniegelenk ist es möglich, im Rahmen einer Kniespiegelung (Arthroskopie) den Knorpel zu glätten und schadhafte Strukturen, zum Beispiel aufgefaserte Meniskusanteile, herauszunehmen. Das sind Eingriffe, die eine Arthrose hinauszögern. Das ist beim Hüftgelenk nicht ganz so einfach und wir wussten bis vor wenigen Jahren auch nicht, dass es mechanische Veränderungen gibt, die die Vorläufer einer Arthrose darstellen. Heute wissen wir, dass sogenannte „Entrundungen“ des Hüftkopfes durch Druck auf Weichteile und den Gelenkknorpel Schmerzen und Folgeschäden verursachen sowie die mechanische Beweglichkeit des Gelenkes einschränken. Wir haben eine Möglichkeit entwickelt, mit einem kleinen Schnitt, bei dem die Muskeln nicht durchschnitten, sondern lediglich beiseitegeschoben werden, an das Gelenk zu gelangen und dieses wieder zu „runden“. Wir können das machen, ohne das Gelenk ausrenken zu müssen, was eine deutlich kleinere Operation zur Folge hat. Wenn man diese Entwicklung rechtzeitig erkennt und diesen Eingriff durchführt, kann der Gelenkverschleiß und in der Folge eine Arthrose vermieden werden.

Wie finden Betroffene den richtigen Arzt und worauf sollte man bei der Wahl des Chirurgen achten?

Grundsätzlich kann man sagen, dass die Hausärzte einen guten Überblick darüber haben, wo gut operiert wird. Sie sehen ja ständig, wo ihre Patienten operiert werden und wie es ihnen anschließend geht. Ich schätze die Meinung der Hausärzte sehr. Dann sollte man sich erkundigen, welche Operationsmethode angewandt wird und ob, wie bereits angesprochen, beispielsweise die Muskulatur durchtrennt wird oder nicht. Außerdem ist es sehr wichtig, wie viel Erfahrung eine Klinik und die dort arbeitenden Chirurgen haben. Es hilft ja nichts, wenn eine Klinik im Jahr 500 Knieoperationen durchführt, der Chirurg selber aber nur 50 davon. Es sollte immer jemand sein, der diese Operation im Tagesgeschäft durchführt und über sehr viel Routine verfügt. Eine große Anzahl solcher Operationen in einer Klinik spricht außerdem dafür, dass sie gut ausgerüstet und auf jede Eventualität vorbereitet ist. Wir führen in der Asklepios-Klinik im Jahr zwischen 1400 und 1700 Knie- und Hüftprothesenoperationen durch und verfügen damit über die Routine und die Ausrüstung, dass wir auch auf plötzlich auftretende Situationen reagieren können. Die gesetzlich geforderte Mindestzahl von 50 Kniegelenkprothesen-Operationen pro Jahr finde ich persönlich zu niedrig angesetzt, als dass eine Klinik oder ein Operateur damit die angesprochene Routine bekommen könnte.

Wie haben sich die eingesetzten Gelenke in den vergangenen Jahren verändert?

In den letzten 20 Jahren gab es eigentlich keine richtungsweisende Veränderung in der Endoprothetik. Wir setzen heute noch sehr ähnliche Knieprothesen ein wie vor 20 Jahren. Es ist auch nicht sinnvoll, hier immer dem neuesten Trend zu folgen, da diese künstlichen Gelenke ja im besten Fall mehrere Jahrzehnte halten sollen und das tun diese langzeiterprobten Modelle. Das wissen wir. Ob neue Modelle halten, was sie versprechen, weiß man erst nach 15 bis 20 Jahren.

Gibt es bei der Endoprothetik unterschiedliche Arten von Ersatzgelenken?

Natürlich kommt es bei der Art des eingesetzten Gelenks auf die Bedürfnisse des Patienten an. Ist nur ein Teil des Gelenks betroffen, wird auch nur dieser Teil ersetzt. Je nach Schaden gibt es entsprechende Arten von Prothesen. Aber es gibt keine Unterschiede nach der Beanspruchung. Dass ein künstliches Gelenk bei einem älteren Patienten in der Regel länger hält, liegt am Faktor Mensch. Die Knochen eines jungen Menschen werden, einfach ausgedrückt, häufiger vom Körper erneuert und umgebaut. Das führt dazu, dass sich das künstliche Gelenk lockern kann und weitere Operationen notwendig werden.

Bezahlt die Krankenkasse alle künstlichen Gelenke?

Ist die Indikation korrekt, zahlt die Krankenkasse genau das, was der Patient braucht. Da gibt es keine Einschränkungen.

Sie operieren in Bad Abbach mit dem von Ihnen entwickelten „System der bildfreien Navigation“. Wie funktioniert das?

Das ist eine computergestützte Navigation für den Operationssaal und wird von uns vorwiegend beim Einsetzen von Knieimplantaten verwendet. Früher war es so, dass der Operateur vom Knie körperaufwärts nur wenige Zentimeter gesehen hat. Ab da sind das Bein und der restliche Körper mit sterilen Tüchern abgedeckt, sodass der Operateur die Körperachse nicht richtig feststellen kann. Das muss er aber, um festzustellen, ob das Bein wirklich gerade ist und er das Implantat im exakt richtigen Winkel einsetzt. Mit Hilfe der Navigationstechnik können die künstlichen Gelenke millimetergenau eingebracht werden. Dabei erhält der Chirurg während der Operation präzise Echtzeitinformationen über die Lage der Implantate und kann diese dementsprechend justieren. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass es uns hilft, die Spannung der Bänder am Gelenk exakt einzustellen. Aufgrund der Informationen, die das System während der Operation erhält, errechnet es, welches Band gegebenenfalls verlängert werden muss. Wir haben dieses Verfahren 2001 gemeinsam mit der Firma Brainlab aus München entwickelt und es wird mittlerweile weltweit eingesetzt.

Wo genau liegen die Vorteile dieser Behandlung für die Patienten?

Er bekommt ein exakt gerades Bein. Wir liegen mit unserem System zu 96 Prozent innerhalb einer Toleranz von drei Grad Abweichung. Ohne die computergestützte Navigation liegen erfahrene orthopädische Chirurgen nur zu 75 Prozent innerhalb dieser geringen Abweichung. Das bedeutet, dass statistisch gesehen ein Viertel aller ohne dieses System operierten Patienten im Anschluss ein schiefes Bein haben. Mit dem System liegt die Quote nur noch bei vier Prozent Abweichungen. Der Patient bekommt mit dieser High-Tech-Operationsmethode eine optimal eingesetzte Prothese mit idealer Bandspannung für die beste Funktionalität.

Wird diese Technik auch von der Krankenkasse übernommen?

Nein. Aber es wird auch kein Cent auf den Patienten umgelegt. Wir leisten es uns als Universitätsklinikum, dieses präzise Verfahren bei unseren Patienten anzuwenden.

Wie belastbar sind künstliche Gelenke?

Die Gelenke sind für alltägliche Belastungen ausgelegt. Stoßbelastungen oder Stop-and-Go-Belastungen wie beim Squash, Tennis oder Basketball sollte man unbedingt vermeiden. Das würde die Prothese aushalten, aber die Verbindung zwischen Knochen und Prothese auf Dauer nicht. Zu empfehlen sind gleichmäßige Bewegungen wie Radfahren, Wandern, kontrolliertes Skifahren oder Schwimmen. Das ist ja auch der Grund, warum wir eine Prothese einsetzen – damit das Leben der Patienten wieder normal und schmerzfrei weitergehen kann.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat.Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.

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