Interview
„Osteopathie ergänzt Schulmedizin gut“

Peter Hopp ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Physiotherapeut und Osteopath am MVZ im Gewerbepark.

22.09.2019 | Stand 16.09.2023, 5:21 Uhr
Kerstin Hafner

Orthopäde und Osteopath Peter Hopp erklärt den kraniosakralen Rhythmus zwischen Hinterhauptsbein (im Bild) und Kreuzbein. Foto: Kerstin Hafner

Herr Hopp, die Kombination aus Arzt und Osteopath ist doch relativ selten. Wie sind Sie denn dazu gekommen, beides in Personalunion zu vereinen?

Ich habe mir schon in der Jugend einen Kreuzbandriss beim Fußballspielen zugezogen und daher früh Bekanntschaft mit der Physiotherapie gemacht. Für mich war sofort klar: Das will ich beruflich machen. Ich hätte dafür auch beinahe das Gymnasium geschmissen, habe auf Wunsch meines Vaters dann aber doch noch Abitur gemacht. Danach mein Physio-Examen und 1992 bis 1996 die Osteopathie-Ausbildung. Das war eigentlich ganz witzig, denn zu dem Zeitpunkt schwappte die Osteopathie gerade erst nach Deutschland und war bei Ärzten als etwas extrem Alternativmedizinisches, fast schon Esoterisches verpönt. Erst danach habe ich 1999 zu studieren begonnen und nach dem Staatsexamen meinen Facharzt in Orthopädie und Unfallchirurgie draufgesattelt.

Wie wenden Sie beides im Alltag an?

In der Regel getrennt: Ich habe einmal wöchentlich osteopathisch-neuraltherapeutische Spezialsprechstunde. Für eine ausführliche osteopathische Anamnese bleibt in den normalen orthopädischen Sprechstunden keine Zeit. Aber es kommt schon vor, dass meine Kollegen hier am MVZ einen Patienten zu mir überstellen, wenn zum Beispiel MRT-Befunde unauffällig sind, die Patienten aber weiter über Schmerzen klagen.

Nennen Sie doch mal ein Beispiel. Wem konnten Sie osteopathisch helfen?

Ein Patient wurde zu mir geschickt mit ausstrahlenden Schmerzen ins Bein und einem unauffälligen MRT der Lendenwirbelsäule. Keine Bandscheiben- oder Gleitwirbelthematik, was man zunächst naheliegenderweise vermutet hatte. Ich untersuchte ihn osteopathisch und erspürte bei der Palpation(manuelle Untersuchung durch Ertasten der Körperstrukturen, Anm. d. Red.) eine Bewegungsstörung im Becken, die wir anschließend per MRT abklären ließen. Es handelte sich um ein großes Lipom, einen gutartigen Tumor, der auf den Ischias-Nerv drückte. Dieses Lipom wurde operativ entfernt und der Patient war danach schmerzfrei.

Ein gutes Beispiel für den interdisziplinären Ansatz der Osteopathie. Sie dringt in die Schnittstellen zwischen den Spezialgebieten ...

Es handelt sich um eine ganzheitliche Methode, mit der man viele Nischen abdecken kann, und wie man an oben genanntem Beispiel erkennt, lässt sie sich auch sehr gut in die Schulmedizin integrieren. Allerdings möchte ich schon eine Warnung vor dem aktuellen „Modetrend“ aussprechen. Man kann ja kaum ein Lifestyle-Magazin aufschlagen, ohne dass Osteopathen als Heilsbringer gelobt und skeptische Schulmediziner als borniert verteufelt werden.

„Die Osteopathie ist eine ganzheitliche Methode, mit der man viele Nischen abdecken kann.“Peter Hopp, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Physiotherapeut und Osteopath

Es stimmt, dass die Osteopathie aufgrund unbestreitbarer Erfolge inzwischen salonfähig geworden ist, aber der Begriff Osteopath ist in Deutschland immer noch kein geschützter Begriff und es springen gerade wegen des neuen Hypes um die Ganzheitlichkeit doch Einige in der Branche auf den Zug auf. Da bezeichnen sich dann Leute nach ein paar Fortbildungswochenenden als „Physiotherapeut mit osteopathischen Techniken“, obwohl sie keine fundierte Ausbildung genossen haben. Eine solche verlangt 1500 Fortbildungsstunden. Für Patienten stellt diese Grauzone ein Problem dar. Um als Osteopath zu arbeiten beziehungsweise offiziell in Erscheinung zu treten, muss man in Deutschland Arzt oder Heilpraktiker sein. Ärzte, Heilpraktiker und Osteopathen dürfen diagnostizieren, Physiotherapeuten nicht.

Und neben diesem Problem der Abgrenzung ist die Osteopathie also nicht das neue ganzheitliche Wundermittel für eine bewusster lebende Gesellschaft?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es fasziniert mich, dass ich mit osteopathischen Techniken sogar vegetative Entgleisungen eines Organismus auffangen kann und sich bei chronischen Schmerzpatienten die mit der Zeit entwickelte Überempfindlichkeit so regulieren lässt, dass der Patient danach eine andere Schmerzwahrnehmung und eine subjektiv bessere Lebensqualität hat. Aber ich kann bei schweren Fällen den Schmerz nicht wegzaubern. Wenn ich höre, dass ein Patient mit einem endgradig zerstörten Knie, bei dem nun mal nur noch eine Endoprothetik helfen kann(ein künstliches Gelenk, Anm. d. Red.)einen hohen vierstelligen Betrag an einen Osteopathen überwiesen hat, der ihm versprochen hat, ihn schmerzfrei zu bekommen, dann kann ich mich nur über den Kollegen wundern und ärgern. Ziel der Osteopathie bei chronischen Problemen kann auch lediglich die Beschwerdelinderung sein, so dass zum Beispiel Schmerzmittel reduziert und dadurch Organe geschont werden können.

Noch ein kurzer Ausflug in die verschiedenen Techniken und Einsatzgebiete bitte ...

Da wäre zunächst die Parietale Osteopathie, deren Techniken eigentlich an diejenigen der manuellen Therapie angelehnt sind – einer Zusatzausbildung für Physiotherapeuten. Sie beschäftigt sich mit dem Bewegungs- und Stützapparat des Körpers, den Muskeln, Muskelfaszien, Gelenken, Sehnen und Bändern. Indikationen wären zum Beispiel Bandscheibenprobleme, Schleudertrauma oder ein Tennisellbogen. Bei der Kraniosakralen Osteopathie stehen Schädel, Wirbelsäule und Kreuzbein mit dem darin enthaltenen zentralen Nervensystem im Mittelpunkt der Betrachtung. Hinterhauptsbein und Kreuzbein bewegen sich im gesunden Zustand synchron und bilden quasi eine Einheit. Indikationen sind unter anderem Skoliose, Kopfschmerzen, Kieferfehlstellungen, Nebenhöhlenentzündungen oder ADHS.

Die Viszerale Osteopathie beschäftigt sich mit den inneren Organen, deren Faszien, den Lymphgefäßen, Blut- und Nervenbahnen. Alle Organe sollten eine Eigenbewegung vollführen können. Ist dem nicht so, muss man diese Beweglichkeit wiederherstellen. Dabei gibt es zum Beispiel direkte und indirekte Techniken. Bei ersteren gelingt es eventuell sofort, ein Organ wieder von Position A nach B zu schieben, bei letzteren erreicht man ein Annähern an Position B und muss auf das Ansprechen des Körpers bis zur nächsten Sitzung warten. Man gibt dem Körper in diesem Bereich quasi eine Hilfestellung zur Selbstheilung.

Alle Welt spricht heutzutage von den Faszien, den Bindegewebshüllen der Organe ... warum sind sie so wichtig?

Die Gleitfähigkeit des Bindegewebes ermöglicht die zuvor genannte Eigenbewegung der Organe oder Gelenke – auch Gelenke haben Faszienhüllen. Diese natürliche Beweglichkeit ist Voraussetzung für das optimale Funktionieren von Organen, denn der Organstoffwechsel wird durch Bewegungsstörungen beeinflusst. Nieren zum Beispiel haben ein relativ hohes spezifisches Eigengewicht und können etwa bei einem Autounfall ins kleine Becken rutschen und dort mit der Zeit verkleben. Die Bewegungsstörung wird eine Funktionsstörung auslösen und Schmerzen bereiten. Der Idealzustand eines Organismus ist, wenn sich alle parietalen, viszeralen und kraniosakralen Strukturen in Bewegung befinden.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.