Prävention
Wenn die Zecke zusticht

Ostbayern ist Risikogebiet. Zecken übertragen FSME ebenso wie Borreliose. Beides kann verheerende Folgen haben.

24.04.2019 | Stand 16.09.2023, 5:42 Uhr
Susanne Wolf

Bei Temperaturen über 8 °C sind wieder Zecken unterwegs. Stechen sie zu, können sie folgenschwere Erkrankungen auslösen. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Nur 2,5 bis 4,5 Millimeter misst der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus). Er ist die hierzulande häufigste Zeckenart. So unscheinbar sein Äußeres auch ist, so gefährlich kann sein Stich sein. Denn: Zecken können Viren und Bakterien auf Menschen übertragen, die Erkrankungen wie die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) sowie die Neuroborreliose hervorrufen. Gegen FSME kann man sich impfen lassen, doch das machen nicht viele – was oft verheerende Folgen hat. Weit mehr Menschen erkranken jedoch an Borreliose. Dafür gibt es noch keinen Impfstoff, aber es bestehen – früh erkannt – gute Heilungschancen.

An Borreliose ist Annemarie Appl aus Luhe-Wildenau erkrankt. „Ich hatte letztes Jahr eine Zecke am Arm, in der Nähe des Ellbogens“, sagt sie. „Da wir einen Hund haben und am Waldrand wohnen, ist das schon öfter vorgekommen.“ Sie entfernt die „winzig kleine Zecke“ und schenkt dem Ganzen keine weitere Beachtung.

Gesichtshälfte ist gelähmt

Zwei Wochen später dann der Schock beim Frühstück: „Beim Trinken ist mir der Kaffee wieder aus dem Mund gelaufen“, erinnert sich die 70-Jährige. „Mein Mann hat gesagt, dass eine Gesichtshälfte nach unten hängt. Wir dachten, ich habe einen Schlaganfall.“

Aber nicht jede Zecke ist Träger der Bakterien. „Man schätzt, dass zwischen zehn und 30 Prozent der Zecken Borrelien tragen“, erläutert der Neurologe. „Selbst wenn eine Zecke Borrelien überträgt, heißt das noch lange nicht, dass man krank wird.“ Bricht die Infektion aus, gibt es unterschiedliche Krankheitsbilder. Die einen haben eine Hautrötung, die Wanderröte, die anderen wie Appl Lähmungen.

Frühe Behandlung ist wichtig

Prof. Dr. Pels rät, nach einem Stich nicht gleich in Panik zu verfallen. „Treten Symptome auf, ist die Borreliose gut behandelbar.“ Die frühe Form entsteht einige Tage bis Wochen nach dem Stich. „Patienten entwickeln oft nachtsbetonte, massive, ausstrahlende Schmerzen – ähnlich einem Bandscheibenvorfall, da die Nervenbahnen betroffen sind.“ Therapiert werde mit Antibiotika. Bei der Wanderröte reichen meist Tabletten, bei schlimmeren Symptomen wie Sensibilitätsstörungen und Lähmungen braucht es Infusionen.

Da Borrelien Nervenwurzeln befallen und schwächen, ist die frühe Behandlung wichtig. „Sonst kann es zu dauerhaften Lähmungen führen.“ Schlimmstenfalls können Nervenwurzeln so stark geschädigt werden, dass „die Lähmung bleibt“. Aber: „Früherkannt bildet sich die Symptomatik im Idealfall ganz zurück“, so Prof. Dr. Pels. „Ganz selten – nach Monaten bis Jahren – gibt es sogenannte chronische Spätstadien einer neurologischen Manifestation der Borreliose. Das sind dann richtig schwere Erkrankungen des Rückenmarks oder Gehirns, einhergehend mit Lähmungserscheinungen der Arme oder Beine“, sagt Prof. Dr. Pels.

Appl muss nach der Nervenwasseruntersuchung – durch die Borreliose-Bakterien und FSME-Viren diagnostiziert werden können – über zwei Wochen stationär behandelt werden. Heute geht es ihr wieder gut. „Ich bin hellauf begeistert. Alles ist weg“, freut sie sich. Trotzdem rät sie den Menschen in der Region zur Impfung – auch wenn diese nur gegen FSME schützt. „Leider konnte man bisher noch keinen effektiven Impfstoff gegen Borrelien finden“, erklärt Dr. Lukas Kremmler, Facharzt für Neurologie am Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg.

Teile des ZNS entzünden sich

Im Gegensatz zur Wanderröte bei Borreliose gibt es „keine Hautveränderungen, die auf FSME hindeuten“, sagt er. „Nach dem Stich passiert erst mal nichts. Dann geht es los mit Symptomen wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen – allem, was man als grippalen Infekt bezeichnen würde.“

„FSME kann man nicht ursächlich behandeln“, erläutert Dr. Kremmler. „Ist die Krankheit ausgebrochen, können wir nur die Beschwerden lindern.“ In den schwersten Fällen sind intensivmedizinische Maßnahmen notwendig. Es kann sogar so weit führen, dass Menschen an den Folgen eines Zeckenstichs sterben. „Ausschließlich die Impfung kann die Erkrankung sicher verhindern.“ Zwar tragen nur rund fünf Prozent der Zecken die Viren in sich, erklärt Prof. Dr. Pels, trotzdem wurden 2018 beim Robert Koch-Institut (RKI) deutschlandweit 583 FSME-Erkrankungen gemeldet.

Viele neue Infektionen erwartet

Bei circa zehn bis 30 Prozent der Infizierten, die das schwere Krankheitsbild haben, sei die Heilung problematisch. Der Grund: Vor allem durch die Hirnentzündung können neurologische Spätfolgen bleiben. „Nach einem Jahr klagen rund 50 Prozent der Schwererkrankten noch über kognitive Konzentrationsstörungen.“ Das könne verhindert werden: „Von den Erkrankten sind 95 bis 98 Prozent nicht geimpft. Das hätten sie ganz klar verhindern können“, rügt Dr. Kremmler.

„Die FSME-Impfung rate ich dringend allen Bewohnern hier in Bayern an, weil sie die schwere Erkrankung sehr zuverlässig verhindern kann.“Dr. Lukas Kremmler, Facharzt für Neurologie

Da Bayern Risikogebiet ist und in Ostbayern jährlich überdurchschnittlich viele FSME-Fälle gemeldet werden, sollte sich auf Empfehlung des RKI jeder hier impfen lassen. „Wenn es wieder so heiß wird und die Leute den Großteil ihrer Freizeit im Grünen verbringen, kann man von noch steigenden Infektionszahlen ausgehen“, so Dr. Kremmler.

„Die Zecken haben von den Temperaturen im letzten Sommer und in diesem Winter profitiert. Es wird wohl mindestens die Zahlen von Erkrankungen sowohl der Borrelien als auch der FSME von 2018 erreichen“, prognostiziert er. Prof. Dr. Pels fügt hinzu: „Das Ganze hängt nicht nur an der Zahl der (infizierten) Zecken, sondern auch am Freizeitverhalten der Leute. Schützen sich die Leute gut, gibt es weniger Infektionen.“ Schützen kann man sich beispielsweise durch helle Kleidung oder indem man sich zu Hause absucht und duscht.

Dr. Kremmler resümiert: „Es sind hauptsächlich zwei Erkrankungen, die hierzulande von Zecken übertragen werden. Gegen die eine kann man effektiv impfen – und es gibt keinen Grund, sich nicht impfen zu lassen –, die andere kann man verhindern, indem man adäquat danach guckt und sich duscht, denn die Zecke braucht Stunden, bis sie ein geeignetes ,Nest‘ gefunden hat und zusticht.“

Weitere interessante News und Artikel rund ums Thema „Gesundheit“ gibt es hier.