Interview
Mathematik hat für ihn eine eigene Faszination

Prof. Dr. Gerd Faltings ist Träger der Fields-Medaille, der höchsten Auszeichnung seines Fachs. Bei einem Kongress in Regensburg sprach er mit der MZ.

29.02.2012 | Stand 16.09.2023, 21:05 Uhr

Regensburg.Das Thema klingt für Uneingeweihte etwas sperrig: „Algebraische Zykel und L-Funktionen“ ist der Titel einer Konferenz, zu der die gleichnamige Regensburger Forschergruppe noch bis Freitag rund 40 Mathematiker an die Universität Regensburg eingeladen hat. Unter ihnen ist auch Prof. Dr. Gerd Faltings, der bislang einzige deutsche Träger der Fields-Medaille – sozusagen des „Nobelpreises“ für Mathematik. Zusammen mit Prof. Dr. Guido Kings von der Forschergruppe sprach er mit der MZ über Mathematik im Alltag, Frauen in diesem Fachgebiet und Mathematikerwitze.

Herr Faltings, Sie haben 1986 mit nur 32 Jahren für den Beweis der Vermutung von Mordell die Fields-Medaille bekommen. Macht Sie das stolz?

Faltings: Ich finde, stolz kann man darauf sein, wofür man das bekommen hat und nicht, dass man später noch einen Preis kriegt.

Sie kommen aus einem sehr naturwissenschaftlich geprägten Elternhaus: Ihr Vater war Physiker, Ihre Mutter war Chemikerin. Hat Sie das stark beeinflusst?

Faltings: Ja, ich glaube von der Mentalität her wird man schon beeinflusst. Ich merke es auch an meinen Töchtern: Sie sind 23 und 25 und beide studieren Mathematik – und das, obwohl ich sie nicht dazu angetrieben habe.

Kings: Gerade unter Mathematikern ist es sehr häufig, dass die Kinder auch in die mathematische Profession gehen. Das ist ein bisschen so wie bei Ärzten oder Anwälten. Die Begeisterung, die die Eltern da vermitteln, schlägt sich bis zu den Kindern durch.

Mathe gilt bei vielen Schülern als unbeliebtes oder schweres Schulfach. Haben Sie bei Ihren Töchtern versucht, zu helfen?

Faltings: Nein, ich habe mich gerade im Matheunterricht in der Schule immer ganz rausgehalten. Wenn ich was erklären wollte, kam als Antwort: Das erklärt der Lehrer aber anders. Und damit war ich unten durch.

In der Liste der Fields-Preisträger habe ich keine einzige Frau gefunden. Gibt es denn keine namhaften Mathematikerinnen?

Faltings: Es gibt ein paar, aber es sind wenige. Ich meine, es gibt schon Unterschiede, wie Männer und Frauen denken. Kann sein, dass das in der Mathematik eine Rolle spielt.

Kings: In Frankreich oder in Italien gibt es sehr viel mehr Mathematikerinnen als in Deutschland. Bei unserer Konferenz ist etwa Prof. Dr. Hélène Esnault zu Gast – sie hat zwar nicht die Fields-Medaille gewonnen, aber wie Herr Faltings auch den Leibniz-Preis und gehört mit Sicherheit zu den ganz großen Mathematikerinnen in Europa und auf der ganzen Welt. Ich glaube nicht, dass Frauen in irgendeiner Weise in Mathematik schlechter sind als Männer. Meine Frau hat auch Mathematik studiert.

Warum hat Mathe bei deutschen Schülern so ein schlechtes Image?

Kings: Das Problem ist, dass aus dem Elternhaus in Bezug auf Mathematik zumeist negatives Feedback kommt: „Ich war in Mathe auch immer schlecht und aus mir ist trotzdem irgendwas geworden“ oder „Das muss man nicht können“. Es wird niemals vermittelt, dass es etwas Tolles sein könnte, mathematisch zu denken und Zusammenhänge zu verstehen. Dabei haben kleine Kinder ein Interesse am Zählen und am Begreifen von elementaren mathematischen Zusammenhängen. Wenn man das nicht durch solche Bemerkungen herabwürdigt, könnte man viel erreichen.

Was fasziniert Sie an Mathematik?

Faltings: Mich fasziniert persönlich, dass es richtig und falsch gibt und dass man das selber feststellen kann.

Wozu kann man Mathematik im Alltag gebrauchen?

Regensburg.Faltings: Zum Beispiel beim Einkaufen oder bei der Steuererklärung...

Kings: Eigentlich können Sie heutzutage ohne Mathematik überhaupt nichts mehr machen. Sie benutzen elektronische Geräte wie CD-Spieler, laden etwas aus dem Internet herunter – dahinter stecken sehr aufwändige mathematische Verfahren. Und auf Ihrer Scheckkarte haben Sie ganz viel Zahlentheorie für die Verschlüsselungsverfahren, die da benutzt werden. Es ist leider so, dass die Benutzung technischer Geräte zwar immer weiter zunimmt, aber das Verständnis für die mathematischen Grundlagen, die dahinterstehen, immer weiter abnimmt.

Herr Faltings, Sie haben mehrere Jahre in Princeton gelehrt – sind die Bedingungen für wissenschaftliches Arbeiten in den USA besser als in Deutschland?

Faltings: Die äußeren Voraussetzungen sind sicher günstiger – die Anzahl der Lehrverpflichtungen und wie viel Verwaltung man machen muss, das ist doch sehr viel weniger. Und die Gehälter sind auch höher als in Deutschland. Die Forschung ist allerdings im Prinzip überall dasselbe – weil wir nur wenige Geräte brauchen, ist das nicht so aufwändig.

Kennen Sie Mathematikerwitze? Und finden Sie die komisch?

Kings: Ich kenne Mathematikerwitze, aber so richtig komisch finde ich die nicht. Die meisten, die ich kenne, sind im Wesentlichen Insider-Witze.

Faltings: Soll ich einen erzählen? Also: Sind zwei Leute in der Kneipe, da kommen vier raus. Sagt der Mathematiker: Wenn jetzt noch zwei reingehen, ist keiner mehr da. – Ah, da können wir doch drüber lachen.

Wenn Sie aus der Geschichte einen berühmten Mathematiker treffen könnten, mit wem würden Sie gerne mal eine fachliche Diskussion führen?

Faltings: Ich glaube, das hätte keinen Zweck, weil ich mehr wüsste als die früher. (überlegt) Also, Gauß wäre vielleicht nicht nett genug, aber vielleicht Dirichlet.

Kings: Mich würde es mehr zu jemandem mit sehr universellem Anspruch ziehen, etwa David Hilbert. Aber ich würde Herrn Faltings zustimmen: Das Fachwissen, das Herr Hilbert hat, das verstehen wir heute im Wesentlichen mindestens so gut. Was mich faszinieren würde, wäre die Art und Weise der Gesamtschau auf die Dinge: Wie sieht er die Mathematik? Wie versteht er die Zusammenhänge? Hilbert war jemand, der eine sehr große Perspektive hatte auf die Mathematik.