Recht
Sie studieren nur auf dem Papier

Das Scheinstudium ist verbreitet. Doch was verbirgt sich eigentlich dahinter, wer betreibt es und wie häufig kommt es vor?

02.11.2017 | Stand 16.09.2023, 6:25 Uhr
Anna-Leandra Fischer

Durch die Vorlage des Studentenausweises profitieren Scheinstudenten von vielen Vorteilen. Foto: Fischer

Was genau ist eigentlich ein Scheinstudium?

Scheinstudenten sind an einer Universität oder Fachhochschule immatrikuliert – und damit auf dem Papier Studenten. In Vorlesungen oder andere Kurse gehen sie allerdings nicht. Bereits im Jahr 1988 hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil(BVerwG 5 B 151/87)das Scheinstudium als ein Studium „ohne die Absicht, einen berufsqualifizierenden Abschluss anzustreben“, definiert. Theo Ziegler, Oberstaatsanwalt und Sprecher der Staatsanwaltschaft Regensburg bezeichnet einen Studenten, der „sich nur als Student einschreibt, ohne das Studium betreiben zu wollen“ als Scheinstudent. Der Studentenstatus bringt viele Vergünstigungen mit sich. Durch die Inanspruchnahme von Leistungen, die ihnen andernfalls nicht zustünden, können sich Scheinstudenten des Betrugs strafbar machen, sagt Theo Ziegler, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Regensburg.

Wie verbreitet ist das Scheinstudium?

Niemand kann genau sagen, wie viele Scheinstudenten es gibt. Denn sie bleiben größtenteils unbemerkt und werden, weil sie keinen Abschluss erwerben, unter der Abbrecherquote registriert. Oberstaatsanwalt Ziegler ist kein Fall bekannt, in dem ein Scheinstudent strafrechtlich wegen Betrugs belangt wurde. In Regensburg sind Scheinstudenten aber auch nicht völlig fremd: Zumindest kennen viele Studenten an der Universität Regensburg jemanden, der nur eingeschrieben ist, aber keine Veranstaltungen besucht. Laut Uni-Pressestelle sind Scheinstudenten „nicht ohne weiteres identifizierbar“, da sie keine Beratungsangebote wahrnähmen und somit nicht in Erscheinung treten. Allerdings seien in Regensburg auch schon Scheinstudenten ertappt worden. Zu der genauen Anzahl der Fälle machte die Universität jedoch keine Angaben.

Was wird in Deutschland gegen Scheinstudenten unternommen?

Vonseiten der Uni Regensburg erwarten Scheinstudenten Folgen im Rahmen des hochschulrechtlich Möglichen, aber keine strafrechtliche Verfolgung. Dazu zählen endgültiges Nichtbestehen des Studiengangs und die darauffolgende Exmatrikulation oder die Exmatrikulation wegen Missbrauchs. Matthias Ruckdäschel ist Anwalt in Regensburg und zählt Hochschulrecht zu seinen Fachgebieten. Ihm ist kein Fall von strafrechtlicher Verfolgung eines Scheinstudenten bekannt, aber ein Urteil des Sozialgerichts Berlin aus dem Jahr 2007(S 6 R 2323/07). Dadurch wurde einer Scheinstudentin im 34. Fachsemester die Halbwaisenrente nicht weiter ausbezahlt. Wegen des Scheinstudiums an sich wurde sie allerdings nicht belangt.

Zugangsbeschränkungen und Eignungstests, wie sie an vielen großen Universitäten üblich sind, richten sich nicht primär gegen Scheinstudenten. Allerdings können sie diese von der Bewerbung abschrecken, da sie mit einem Mehraufwand oder besseren Noten verbunden sind. In Regensburg gibt es zulassungsbeschränkte und –freie Fächer, aber in allen Prüfungs- und Studienordnungen sind Studienhöchstfristen oder Fristen für die letzte Prüfungswiederholung vorgeschrieben. Diese engmaschigen Fristenregelungen seien hilfreich, um Scheinstudien entgegenzuwirken, so die Pressestelle der Universität Regensburg. Fragt man Regensburger Studenten, so seien die meisten Scheinstudenten für Fächer ohne besondere Voraussetzungen eingeschrieben.

Wie beurteilt ein Anwalt für Hochschulrecht die rechtliche Lage?

„Das Scheinstudium selbst ist kein Betrug“, sagt Dr. Matthias Ruckdäschel, „es wird aber zum Betrug, wenn man auf dieser Grundlage Leistungen beansprucht“. Durch die Inanspruchnahme von Vorteilen jeglicher Art – wie sozialversicherungsrechtliche Vorteile, Vorteile im öffentlichen Nahverkehr oder bei Museumsbesuchen – lägen deshalb je nach Einzelfall mehrere Betrugsstraftaten vor. Ruckdäschel ist bisher – genau wie dem Staatsanwalt Theo Ziegler – kein Fall von strafrechtlicher Verfolgung bekannt. Die erwartete Strafe sei von Fall zu Fall unterschiedlich, der Strafrahmen richte sich aber nach Paragraf 263 des Strafgesetzbuchs. Nach diesem Paragrafen für Betrug könnten Scheinstudenten theoretisch mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe rechnen.

Was sind die Gründe für ein Scheinstudium?

Hört man sich am Regensburger Campus um, gibt es vor allem zwei Zeiträume, zu denen sich Studenten zum Schein einschreiben: zwischen Abitur und Studium oder zwischen Bachelor- und Masterstudiengang. Demnach nutzten viele frischgebackene Abiturienten das Scheinstudium für die Überbrückungszeit – oft ein Jahr Pause zum Reisen oder Arbeiten. Auch wer den Bachelor zum Ende des Wintersemesters in der Tasche hat, aber erst zum nächsten Wintersemester mit dem Masterstudiengang anfangen kann, sucht eine Lösung für das halbe Jahr dazwischen. So gehe es vielen Studenten, sagt eine Studentin. Es gibt aber auch Fälle, in denen sich schon im Berufsleben angekommene Menschen mit festem Verdienst als Studenten registrieren lassen.Darauf hatte der damalige Aufsichtsratsvorsitzende des RVV, Hans Schaidinger, schon 2012 aufmerksam gemacht. Er sagte damals der MZ, es gebe Berufstätige, die mit dem Semesterticket zu ihrem Arbeitsplatz pendeln.

Welche Vorteile bringt das Scheinstudium?

Scheinstudenten profitieren von vielen verschiedenen Vorteilen. Ein günstiges Semesterticket für Bus und Bahn ist in Regensburg schon im Semesterbeitrag enthalten, Studenten der OTH Amberg-Weiden können sich Tickets zum vergünstigten Tarif kaufen. Wie viele Scheinstudenten den Nahverkehr in und um Regensburg nutzen, könne man aber nicht einschätzen, sagt Kai Müller-Eberstein, Geschäftsführer des RVV. „Ein Student, der eingeschrieben ist und ein gültiges Semesterticket besitzt, kann vom RVV nicht belangt werden“, sagt er. Es sei die Aufgabe der Hochschule dem Missbrauch des Semestertickets nachzugehen.

Ein anderer Grund für ein Scheinstudium kann die Krankenversicherung sein, die für immatrikulierte Studenten sehr günstig ist: Alle unter 25 bezahlen im Studium nur knappe 80 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung. Daneben haben Studenten BAföG-Anspruch und einen Anspruch auf ein Staatsdarlehen ohne Zinsen. Auch das Kindergeld, das alle in Schul- und Berufsausbildung bis zum 25. Lebensjahr erhalten, sehen Scheinstudenten bei Nachfrage als Vorteil. Das günstige Mensaessen, andere Vergünstigungen bei vielen Freizeitaktivitäten wie Kino oder Theater und Rabatte bei vielen großen Onlinehändlern spielen neben diesen enormen Geldersparnissen auch eine Rolle. Wenn man sich am Regensburger Campus umhört, können aber auch nicht-finanzielle Aspekte zum Scheinstudium verführen: Viele Unternehmen vergäben Praktikumsplätze nur für immatrikulierte Studenten, weil sie hier weniger Sozialabgaben zahlen müssten.

Welche Folgen hat ein Scheinstudium für Hochschulen und Gesellschaft?

Für die Universität wirken sich Scheinstudenten negativ aus, weil sie die Studierendenstatistik verfälschten, sagt die Pressesprecherin der Uni Regensburg. Ein weiteres Problem: Falls Scheinstudenten ein zulassungsbeschränktes Fach studieren, nehmen sie so anderen, wirklich interessierten Studenten den Platz weg. Hört man sich bei Regensburger Studenten um, so sind die meisten Scheinstudenten allerdings für Fächer ohne besondere Voraussetzungen eingeschrieben. Auch organisatorische Probleme wie eine fehlerhafte Raumverteilung können die Folge von zu vielen Scheinstudenten sein. Und nicht zuletzt finanzieren alle Steuerzahler die Hochschulen und damit auch die Angebote, die Scheinstudenten in Anspruch nehmen – oder eben auch nicht.

Wir haben mit einem Scheinstudenten gesprochen und gefragt was seine Beweggründe waren. Sehen Sie hier das Interview:

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