Dokumentation
Uni Erfurt erforscht den DDR-Kinoalltag

Auf einer digitalen Landkarte der Uni Erfurt werden DDR-Kinos dokumentiert. Die Plattform ist Kern einer Untersuchung.

12.08.2021 | Stand 12.08.2021, 4:30 Uhr
Historikerin Christiane Kuller forscht an der Uni Erfurt zum DDR-Kinoalltag. −Foto: Martin Schutt/picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Ob Kosmos in Berlin, Capitol in Leipzig oder Gloria-Palast und Union-Theater in der Provinz – für Generationen früherer DDR-Bürger sind Namen wie diese mit Kinoerinnerungen verbunden. Aber vor allem jenseits der größeren Städte hat sich die ostdeutsche Filmtheaterlandschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten massiv gelichtet. Auf einer digitalen Landkarte der Universität Erfurt werden die DDR-Kinos dokumentiert. Die Plattform ist Kern einer Untersuchung von Historikern und Kommunikationswissenschaftlern zum DDR-Kinoalltag. 376 Standorte sind auf der Online-Karte inzwischen dokumentiert, seit sie im Herbst freigeschaltet wurde.

Kino-Alltag eine echte Forschungslücke

Die Wissenschaftler wollen ein Stück Alltagsgeschichte der DDR sichtbar machen, das bisher kaum im Mittelpunkt zeitgeschichtlicher Forschungen stand. „Es gibt zwar relativ viel Forschung zur Kinopolitik in der DDR und den Filmverboten nach 1965“, sagt die Historikerin Christiane Kuller, die das Projekt zusammen mit dem Kommunikationswissenschaftler Patrick Rössler leitet. „Aber der Kino-Alltag selbst und die Lebenserfahrungen der DDR-Bürger damit sind eine echte Forschungslücke.“

Bei den Filmverboten bezieht sie sich auf das berüchtigte XI. Plenum der SED-Spitze 1965. In dessen Folge war nahezu ein kompletter Jahrgang an nicht ins ideologisches Bild passenden DDR-Spielfilmen verboten worden.

Nach Einschätzung der DEFA-Stiftung, die das filmische Erbe der DDR bewahrt, ist das Erfurter Forschungsprojekt bislang einmalig, wie Sprecher Philip Zengel sagt. „Ich bin sehr gespannt, wie sich das entwickelt.“ Die Universität kann auf einen eigenen Fundus aus Plakaten, Programmen oder Ankündigungsfotos von 4500 in der DDR aufgeführten Spielfilmen aus dem Bestand des früheren Progress-Filmverleihs zurückgreifen.

Kino wurde zur Bar

Eine Hauptrolle aber spielen ostdeutsche Hobby-Cineasten: Ehemalige Kinobesucher, Filmvorführer und auch Menschen, die als Statisten bei DEFA-Filmen mitgespielt haben, tragen frühere Kino-Standorte in die Online-Karte ein, steuern auch alte Tickets, Plakate, Filmprogramme und schriftliche Erinnerungen bei. Kinostandorte in den heutigen Bundesländern Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind digital erfasst – und mit ihnen teils auch Geschichten um die Lichtspielhäuser. So ist etwa für das einstige Alhambra Luckenwalde vermerkt, dass der Betrieb um die Jahrtausendwende eingestellt und dort eine Bar eröffnet wurde.

Zu den „Fütterern“ der Plattform gehört René Hube aus Wünsdorf bei Berlin. Für den heute bei einem Autoersatzteilvertrieb arbeitenden 61-Jährigen war Kino „das größte Kulturerlebnis, das es in der DDR gab“, wie er erzählt. „Was sollte man sonst anstellen?“ Als Kind zog es ihn zu den Märchenfilmen, als Teenager zu den DEFA-Indianerfilmen, später zu den westlichen Produktionen. „Für „Otto – der Film“ habe ich auf dem Zeltplatz Kallinchen drei Stunden angestanden“, erinnert er sich. Auch für den Film der schwedischen Popband „Abba“ fuhr er extra auf einen Campingplatz. (dpa)