Gastronomie
Die Erben der Knacker mit allem

Die Reisingers führen die letzte Würstlbude im Zentrum. Ihre Vorfahren erfanden den Klassiker mit Senf, Gurke und Meerrettich

24.01.2018 | Stand 16.09.2023, 6:12 Uhr

Wilhelm Reisinger jun. verkörpert die vierte Generation der Familie Schmidl/Reisinger, einer „Dynastie“, die seit den 40er-Jahren in Regensburg Würstl verkauft. 2011 übergab seine Mutter Theresia Reisinger den Stand am Neupfarrplatz an ihren Sohn. Seither grillt vornehmlich nur noch auf dem Christkindlmarkt. Foto: mt

Die erste original Regensburger Knacker mit allem des Jahres 2018 isst Wilhelm Reisinger jun. selbst: zur Qualitätskontrolle – wie jeden Tag, wenn der Inhaber der gleichnamigen Wurstbraterei um 8.30 Uhr am Neupfarrplatz aufsperrt. Trotzdem wohnt der Wiedereröffnung nach der alljährlichen Christkindlmarkt-Pause an diesem Mittwoch etwas Besonderes inne. Denn in der Altstadt hat die freistehende Wurstbraterei unterdessen Seltenheitsstatus, ja,die Reisingers sind nach dem Ende des Imbissstands „Würstl-Toni“ vor ungefähr einem Jahrwohl sogar die einzig verbliebenen, die die traditionelle Knacker mit allem zum Mitnehmen im Zentrum noch anbieten. „Meine Familie hat als erste mit einem Stand angefangen, jetzt sind wir eben wieder die Ersten“, sagt Reisinger. Viele Geschäfte habe seine Familie in der Altstadt kommen und gehen gesehen. „Am Ende entscheidet der Kunde, was sich auf Dauer hält.“

Er verkörpert die vierte Generation der Familie Schmidl/Reisinger, einer „Dynastie“, die seit den 40er-Jahren in Regensburg Würstl verkauft, jahrelang auf der Dult vertreten war und am Christkindlmarkt nach wie vor eine feste Instanz ist. Legendäres haben die Reisingers/Schmidls in diesen Jahren an den verschiedenen Ständen erlebt: Mal kaufte sich der Indie-Rock-Star Pete Doherty am Neupfarrplatz eine „Currywurst to go“, mal holte sich ein Brautpaar noch direkt vor der Hochzeit zur Stärkung eine Knacker-Semmel, mal hielt der Chauffeur der Fürstin Margarete am Kornmarkt die Kunden kurz auf, damit sich Durchlaucht persönlich ihre Weißwürste abholen konnte. Auch Schwiegertochter Gloria und deren Sohn Albert schauten schon zum Weißwurstessen vorbei, genauso wie Oberbürgermeister Joachim Wolbergs.

Der Würstlwender ist ein Psychologe

„Wer es ist, ist eigentlich egal. Es macht mit jeder Kundschaft Spaß“, sagt Wilhelm Reisinger. „Das ist auch etwas, das den Beruf ausmacht: Du nimmst dir für jeden Zeit – nicht nur für den, der Geld dalässt“, sagt seine Mutter Theresia Reisinger, geborene Schmidl. Und Wilhelm Reisinger ergänzt: „Man ist eine Mischung aus Psychologe, Friseur und Würstlwender.“

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Im Herbst kamen zuletzt eher die Touristen zum Stand am Neupfarrplatz, im Januar geht es dort generell etwas ruhiger zu. „Da kommen nur die ganz Harten“, sagt Wilhelm Reisinger. Über die Jahre sind den Reisingers zahlreiche Kunden ans Herz gewachsen, und sie diesen ebenfalls. „Es sind so viele dabei, die bei meinen Eltern schon Kunden waren. Und heute kommen auch deren Kinder und kaufen sich ihre Semmeln“, sagt Theresia Reisinger. „Das ist das Schöne: Wenn man miterlebt, wie Kunden über Generationen treu bleiben – wenn man mit ansehen kann, wie deren Kinder groß werden.“ Seit mehr als 50 Jahren vertrauen die Reisingers auch der gleichen Metzgerei aus Kumpfmühl. Der Urgroßvater aus der Metzgerei habe schon den Urgroßvater von Wilhelm Reisinger beliefert.

Der Betrieb atmet Geschichte. „Wir können da schon weng was vorweisen“, sagt Wilhelm Reisinger. Dass Heinrich Schmidl eine solche Würstl-Dynastie folgen würde, damit hätte der Ur-Großvater wohl selbst nicht gerechnet. Den Grundstein dafür legt der gelernte Metzgergeselle aus Straubing-Bogen mit seiner Ehefrau Theresia, als diese 1946 an einem Holzstand am Kornmarkt/Herzoghof damit beginnen, im Wasser erhitzte Würste anzubieten. Schon zuvor war Schmidl immer wieder an der Rennbahn am Rennweg mit einem Bauchladen unterwegs gewesen. 1950 kehrt sein Sohn, Heinrich Schmidl jun., dann aus der Kriegsgefangenschaft zurück und eröffnet gemeinsam mit seiner Frau Maria einen weiteren Stand in einem Hausflur in der Drei-Helm-Gasse (neben dem heutigen Foto Porst-Geschäft).

Dort wird über Holzkohle gegrillt. „Diese Brat- und Brutzelstellen sind unwiderstehliche Anziehungspunkte. Sie mögen noch so versteckt in Nebengassen und Hauseingängen liegen. Der Duft allein wirbt und beunruhigt die Nasen und den Magen“, schreibt die Mittelbayerische damals. „Um dem abzuhelfen, geht man halt hin und verlangt ,Regensburger‘“.

1955 zieht der Stand von Heinrich Schmidl jun. dann hinter das alte Postgebäude. Auch die Geburtsstunde der Knacker mit allem fällt in diese Zeit. Erfunden wird sie – nach den Angaben der Familie Reisinger/Schmidl – als Gemeinschaftsprojekt mit der Familie Fuchs, die am Christkindlmarkt 1954 vis-à-vis einen Stand hatte. „Meine Mutter wollte einfach mehr Kunden anlocken und ihnen etwas neues bieten“, erzählt Theresia Reisinger heute. Süßer Senf, Gurke, Meerrettich: Erst habe ihre Mutter wegen der zusätzlichen Zutaten und dem damit verbundenen zeitlichen Aufwand noch Bedenken gehabt. „Aber das hat dann so eingeschlagen – das hätten wir uns nie gedacht.“

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Würstlbrater verhungern nicht

Doch nicht jeder mochte den Bratwurst-Geruch vor der Tür haben. Als Heinrich Schmidl 1962 verstirb und der Qualm der Braterei die Gemüter der Mitarbeiter der Post zunehmend erhitzt, übernimmt der Junior den elterlichen Stand am Kornmarkt. Auch Tochter Theresia packt ab 1964 mit an. In den 70er-Jahren errichtet Heinrich Schmidl jun. dann einen neuen Stand am Nordende des Kornmarkts, der in den 80ern von seiner anderen Tochter Erika und ihrem Mann Anton Erl übernommen wird – dem „Würstl-Toni“. Theresia Reisinger macht sich zu dieser Zeit vor allem mit dem Stand auf dem Christkindlmarkt einen Namen. Nach der Renovierung des Neupfarrplatzes eröffnet sie dort 1997 einen permanenten Stand: die Wurstbraterei Reisinger. Das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern ist schon länger getrübt.

Als Theresia Reisinger der Würstlstand am Neupfarrplatz 2011 dann zu viel wird, zögert ihr Sohn keine Sekunde: Jahrelang hat er eine Elektrofirma geleitet – die sperrt er sofort zu und übernimmt die Braterei. „Schließlich ist das ein Job, bei dem man nicht verhungern kann“, scherzt er. Dann sagt er wieder ernst: „Das war immer mein Traumberuf. Es muss uns nicht reich machen, aber wir müssen davon leben können.“ Solange es geht, wolle er den Stand auf jeden Fall weiterführen. Und fügt – wieder mit einem Augenzwinkern – hinzu: „Bis uns die Wurstzange und das Messer zu schwer werden.“

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